zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Zitterpartie um die Energienovelle

Klage vor dem Verfassungsgericht noch möglich / Streit auch um DurchleitungspreiseVON TOM WEINGÄRTNER BONN.Der Bundesrat hat am Freitag die Energierechtsnovelle der Koalition abgelehnt, aber darauf verzichtet, Einspruch dagegen einzulegen.

Klage vor dem Verfassungsgericht noch möglich / Streit auch um DurchleitungspreiseVON TOM WEINGÄRTNER BONN.Der Bundesrat hat am Freitag die Energierechtsnovelle der Koalition abgelehnt, aber darauf verzichtet, Einspruch dagegen einzulegen.Damit kann das Gesetz, mit dem die Monopole der Gas- und Stromversorger beseitigt werden sollen, nach Ansicht der Regierung in Kraft treten.Völlig sicher ist das noch nicht.Denn die SPD-geführte Länderkammer geht davon aus, daß sie der Neuordnung der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen zustimmen muß.Die Sozialdemokraten prüfen nun, ob sie die Öffnung der Leitungsnetze durch eine Klage vor dem Verfassungsgericht rückgängig machen können.In Bonn werden die Aussichten dafür aber als gering erachtet.Für Industrie und Verbraucher wäre das sicher von Vorteil: Setzt der Bundespräsident das Gesetz durch seine Unterschrift in Kraft, brechen neue Zeiten in der Energiewirtschaft an.Besonders Großkunden können sich ihren Stromlieferanten dann aussuchen und zwar den billigsten.Mit der Zeit werden aber auch kleinere Verbraucher vom Wettbewerb profitieren.Möglich wird das durch drei Maßnahmen: die Aufhebung der Gebietsmonopole, die Verpflichtung, auch fremden Strom durch das eigene Netz zu befördern, und durch das Recht, zusätzliche Leitungen zu bauen.Mit ihrem Widerstand gegen das Gesetz hat sich die Opposition zum Wortführer der Kommunen gemacht, die mit der Abschaffung der Versorgungsmonopole für Strom und Gas wichtige Pfründe verlieren.Zwar dürfen sie auch künftig eine Konzessionsabgabe von den Netzbetreibern erheben, ihre Stadtwerke, die selber Strom erzeugen oder verteilen, müssen sich aber mit geringeren Margen zufrieden geben.Aus Verärgerung über die Pläne der Regierung hat der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) kürzlich ein Gespräch mit dem Wirtschaftsminister platzen lassen.Die kommunalen Betriebe befürchten zudem, daß ihnen auf die Dauer die attraktiven Großkunden verlorengehen.Mit den günstigeren Angeboten der großen Stromkonzerne oder ausländischer Anbieter werden viele Stadtwerke nicht mithalten können.Versuchen sie es dennoch, werden ihre Gewinne wesentlich geringer ausfallen.Diese Mittel, so argumentieren die Kommunalpolitiker, würden dann bei der Erfüllung anderer kommunaler Aufgaben wie beispielsweise dem Öffentlichen Nahverkehr fehlen.Günter Rexrodt hält das für Panikmache.Ohnedies hat sich Rexrodt mit seinen Vorstellungen nur teilweise durchgesetzt.Auf Betreiben der kommunalen Spitzenverbände, die auch in der Union eine starke Lobby haben, mußte der Wirtschaftsminister seinen Gesetzentwurf nachbessern.Ausnahmen vom Wettbewerb gelten auch künftig bei der Einspeisung von Strom, der aus erneuerbaren Energiequellen oder Kraft-Wärme-Koppelung gewonnen wird.So dürfen beispielsweise keine neuen Leitungen in solche Gebiete verlegt werden, die bislang aus Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen versorgt werden.Das schränkt den Verhandlungsspielraum der Stromkunden deutlich ein.Bis zum Jahr 2005 erhalten die Kommunen außerdem das Recht, billige Stromlieferungen selber abzunehmen und weiterzuverkaufen.Stadtwerke, die selber keinen Strom erzeugen, können mit dieser Regelung sogar ein besseres Geschäft machen als heute.Freilich nur vorübergehend.Die SPD will dieses sogenannte Alleinkäufermodell deshalb unbefristet im deutschen Energierecht festschreiben.Städte und Gemeinden, sagt ihr Energieexperte Volker Jung, hätten nach dem Grundgesetz eine Versorgungspflicht.Diese Wiedergeburt des Monopols im neuen Gewand lehnt die Koalition ab.Wie hart die Konkurrenz um die Stromkunden am Ende wird, hängt allerdings nicht nur davon ab, ob das neue Gesetz doch noch vom Bundespräsidenten oder dem Verfassungsgericht gestoppt wird.Mindestens ebenso wichtig wird sein, welche Preise die Netzbetreiber durchsetzen können.Davon hängt ab, ob sich der Einkauf von Strom von anderen Erzeugern rechnet.Der Wirtschaftsminister möchte das der Wirtschaft selber überlassen.Zwischen ihren Verbänden, dem VDEW für die bisherigen Versorgungsunternehmen (EVU) und dem VIK für die industriellen Erzeuger, wird seit Monaten verhandelt.Eine Einigung ist noch nicht in Sicht.Die netzbetreibenden EVU wollen, daß in den Preisen für die Nutzung der Leitungen auch die Entfernung zwischen Erzeuger und Verbraucher berücksichtigt wird.Die industriellen Erzeuger wollen einen entfernungsunabhängigen "Briefmarkentarif".Daran sind auch die Kommunen und das Kartellamt interessiert, denn grundsätzlich gilt: Je unabhängiger der Preis von der Entfernung ist, desto größer wird die Auswahl der möglichen Lieferanten.Die Wettbewerbshüter haben schon klar gemacht, daß sie keine Vereinbarung zwischen den Verbänden akzeptieren werden, die den Briefmarkentarif nicht wenigstens ermöglicht.Zumindest die größeren Betriebe sind schon dabei, sich von den Monopolen zu lösen.Interessant wird der Wettbewerb zuerst für jene Konzerne, die über ein breites Filialnetz in der Fläche verfügen.Sie brauchen den Strom nicht mehr beim jeweiligen Gebietsmonopolisten einzukaufen und können ihre gesamte Nachfragemacht einsetzen, um günstige Konditionen zu erhalten.Die Telekom etwa will ihren Strom künftig nicht mehr vor Ort bestellen, sondern ihre gesamte Leistung von dem Erzeuger beziehen, der ihr das günstigste Angebot macht.

TOM WEINGÄRTNER

Zur Startseite