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In der Sache einig, in der Umsetzung weit auseinander: DGB-Chef Michael Sommer, der langjährige Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zwei Jahren.

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Zoff um die Tarifeinheit: Angst vor dem „Tarifknast“

Beamtenbund und Ärzte mobilisieren gegen die Regierungspläne zur Tarifeinheit. Jetzt hängt alles ab vom DGB-Kongress in zwei Wochen.

Angela Merkel und Sigmar Gabriel legen Ärzte und Lokomotivführer in Ketten und stecken sie in den Tarifknast, damit sie nicht länger mit Streiks die Bürger quälen. Das sieht bestimmt gut aus und kann am 1. Mai um 11 Uhr vor dem Bundeskanzleramt bestaunt werden, wenn der Beamtenbund und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund als Merkel/Gabriel verkleidete Aktivisten gegen Gewerkschafter vorgehen lassen. Sinn des Sache: Dem Volk mit einer Performance verständlich machen, was die Pläne der Koalition in Sachen Tarifeinheit bedeuten könnten. Das Thema ist so komplex, dass ein kleines Schauspiel helfen kann.

So haben sich das jedenfalls Klaus Dauderstädt, Bundesvorsitzender des Beamtenbundes, und Rudolf Henke, Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, gedacht. Am Montag stellten sie in Berlin ihre Abwehrargumente gegen die schwarz-roten Pläne vor und betonten dabei, wie „unangenehm überrascht“ sie über die Formulierungen im Koalitionsvertrag waren. Dort heißt es nämlich, „wir wollen den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich verankern“.

Mit dem Grundsatz der Tarifeinheit ist die Formel gemeint: Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag. Das Bundesarbeitsgericht hat aber vor vier Jahren diesen Grundsatz zugunsten der grundgesetzlichen Tarifpluralität aufgehoben, nun dürfen also alle möglichen Gewerkschaften Tarifverträge durchsetzen – auch mit Hilfe von Streiks. Um dem entgegenzuwirken, hatten die im Koalitionsvertrag erwähnten „Spitzenorganisationen“ der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, gemeint sind DGB und Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, 2010 eine Vorschlag für eine Gesetzesänderung vorgelegt, wonach die größte Gewerkschaft im Betrieb Vorrang bekommt vor den kleineren; insbesondere sollten die kleinen nicht streiken dürfen, solange der Tarifvertrag der großen Gewerkschaft gültig ist. Bundeskanzlerin Merkel hatte damals mehrfach eine entsprechende Gesetzesänderung zugesagt; Widerstände in Teilen der Union sowie in der FDP und schließlich verfassungsrechtliche Bedenken ließen das Projekt aber in der Schublade verschwinden. Nun gibt es einen neuen Versuch, diesmal mit dem Koalitionspartner SPD und unter Federführung des SPD-geführten Arbeits- und Sozialministeriums.

Arbeitsministerin Andrea Nahles wollte ursprünglich in dem „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ neben der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auch die Tarifeinheit regeln. Und entschied sich dann aber anders: Zu komplex, zu viel Konfliktpotenzial. Jetzt wartet sie den DGB-Bundeskongress ab, der in der zweiten Maiwoche in Berlin stattfindet und bei dem es womöglich Beschlüsse gegen ein Gesetzt zur Tarifeinheit gibt. Darauf setzen Henke und Dauderstädt. Wenn eine der beiden „Spitzenorganisationen“ nicht mehr will, so das Kalkül von Beamtenbund, Marburger Bund und anderen Berufsgewerkschaften, dann ist das Thema tot. Andernfalls wären möglicherweise die kleinen Gewerkschaft tot, „zum Untergang verdammt“, wie Dauderstädt meinte. Henke sprach vom „ungleichen Recht für verschiedene Gewerkschaften“ und kündigte eine Klage in Karlsruhe an, sofern ein Gesetz kommt.

Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken machen die beiden Funktionäre auch praktische Gründe geltend. Es sei überhaupt nicht klar wer wie entscheide, was ein Betrieb ist, wie man die Stärke der in dem Betrieb vertretenen Gewerkschaften feststellen wolle und wie man wechselnde gewerkschaftliche Mehrheiten in dem Betrieb zu berücksichtigen habe. Alles in allem eine „schwer zu handhabende bürokratische Monströsität“, sagte Henke. Das von den Arbeitgebern „herbeigeredete Streikchaos“ sei bislang ausgeblieben, die Bundesrepublik rangiere im internationalen Vergleich der Streikhäufigkeit auf den hintersten Plätzen. Es gebe also keinen Handlungsbedarf. „Lasst die Finger von der Tarifeinheit“, appellierte Dauderstädt an die große Koalition.

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