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Wirtschaft: Zu mehr Kundenorientierung finden

In Dienstleistungsgesellschaften gibt es mehr Arbeitsplätze / Selbstbedienungsmentalität überwindenVON ROLAND BERGER Die Bedeutung der Dienstleistungen in der Arbeitswelt des 21.Jahrhunderts ist am Donnerstag das Thema des Dienstleistungskongresses der debis AG in Berlin.

In Dienstleistungsgesellschaften gibt es mehr Arbeitsplätze / Selbstbedienungsmentalität überwindenVON ROLAND BERGER

Die Bedeutung der Dienstleistungen in der Arbeitswelt des 21.Jahrhunderts ist am Donnerstag das Thema des Dienstleistungskongresses der debis AG in Berlin.Die gesamtwirtschaftliche sowie beschäftigungspolitische Relevanz des Dienstleistungssektor erläutert Roland Berger, Vorsitzender der Geschäftführung der Unternehmensberatung Roland Berger & Partner GmbH.Im Strukturwandel von einer klassischen Industriegesellschaft zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft liegt Deutschland weit zurück: Nur 45,6 Prozent der deutschen Erwerbstätigen arbeiten im privaten Dienstleistungssektor.Das ist wenig im Vergleich zum EU-Durchschnitt (47,6 Prozent) und liegt weit unterhalb von Ländern wie Irland (52,8 Prozent) oder Großbritannien (57,6 Prozent).Gerade diese Länder aber zählen in den 90er Jahren zu den wirtschaftlich erfolgreichsten.So wuchs das Bruttoinlandsprodukt Irlands zwischen 1991 und 1996 durchschnittlich um 7,0 Prozent und das Großbritanniens um 2,1 Prozent, während es in Deutschland lediglich 1,4 Prozent waren.Die USA, mit 60,8 Prozent Beschäftigungsanteil die dienstleistungsintensivste Wirtschaft der Welt, erreichten im Durchschnitt ein jährliches BIP-Wachstum von 2,9 Prozent.Während Deutschland im Dienstleistungsaußenhandel ein Defizit von 44,8 Mrd.US Dollar (1995) hat, erwirtschaften die USA einen Überschuß von 53,2 Mrd.US Dollar. Ein starker Dienstleistungssektor bedeutet aber nicht allein mehr Wachstum.Im Gegensatz zu den traditionellen Wirtschaftsstrukturen ist die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft weniger kapitalintensiv, so daß die Produktivität des Faktors Arbeit langsamer zunimmt.Dadurch liegt die sogenannte Beschäftigungsschwelle in Nationen mit einem großen Anteil an Dienstleistungen niedriger.In den USA genügt ein reales Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent, um neue Arbeitsplätze zu erzeugen ­ die deutsche Volkswirtschaft dagegen braucht 2,3 Prozent jährliches Wachstum, ehe zusätzliche Beschäftigung entsteht.Das eben ist der Hintergrund, warum Deutschland in den 90er Jahren 6,6 Prozent seiner Arbeitsplätze verloren hat. Deutschland kann auch zukünftig ein Industrieland sein, in dem technisch anspruchsvolle und im globalen Wettbewerb bestehende Industrieprodukte entwickelt und gebaut werden.Aber ebenso wie sich die Industrie in den vergangenen hundert Jahren gewandelt hat, wird sie sich auch in Zukunft weiterentwickeln.Im Hinblick auf die Dienstleistungen heißt das, daß auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette (Logistik, F & E, Montage, Kundendienst) Dienstleistungen die Produktion durchdringen und ergänzen werden.Ein starker industrieller Sektor und mehr Dienstleistungen bedingen und stützen sich gegenseitig.Dabei entstehen in den unternehmensnahen Servicebereichen qualitativ hochwertige, wissensintensive Arbeitsplätze mit exzellenten Zukunftsperspektiven, etwa in den Bereichen Design, Forschung und Entwicklung, Softwaredienste, Beratung, Projektmanagement, Logistik, Financial Engineering oder Umweltschutz.Damit solche Dienstleistungen ihr innovatives Potential voll entfalten können, müssen sie umfassender, als es bislang in Deutschland der Fall ist, aus den Fertigungsunternehmen ausgelagert werden. Wissensintensive Dienste und Industrien erzeugen ein kreatives Umfeld, das Angebote und Innovationen im Bereich der personen- und konsumnahen Dienste anregt und ergänzt.Beide gemeinsam eröffnen umfassende Perspektiven für gesamtwirtschaftliche Dynamik und damit für mehr Beschäftigung.Wie groß die Lücke aktuell ist, zeigt zum Beispiel der Vergleich der Erwerbstätigen im Gesundheitswesen: Während in den USA 7,3 Prozent aller Erwerbstätigen in diesem Bereich arbeiten, sind es in West-Deutschland lediglich 3,1 Prozent.Durch eine Reihe von soziokulturellen Prozessen stehen die Chancen gut, daß sich personennahe Dienstleistungen in Deutschland auf breiter Basis entfalten können.Zunehmende Freizeitorientierung, die steigende Frauenerwerbsquote oder die wachsende Zahl älterer Menschen führen zu einer erhöhten Nachfrage nach personen- und konsumorientierten Diensten wie Betreuung, Pflege, Hauswirtschaft, Information oder Unterhaltung.Um diesem Trend entgegenzukommen und das in ihm liegende Potential in Nachfrage und damit Beschäftigung umzuwandeln, müssen die Deutschen insgesamt noch zu mehr Kundenorientierung finden. Wir müssen unsere Bildunginstitutionen auf den Bedarf einer Wissens- und Dienstleistungsökonomie ausrichten.Dies impliziert ein verstärktes Bildungsangebot sowie die inhaltliche Neuausrichtung von Ausbildungsgängen in den zentralen Innovations- und Servicefeldern (Unterhaltung, Medien/Information, Beratung, Gesundheit, Financial Engineering, Ingenieurswesen).Deutschland braucht eine Renaissance der Selbständigkeit.Um dies zu erreichen, benötigen wir zum einen Anreizsysteme, die unternehmerisch begabte Menschen dazu motivieren, das Risiko zur Innovation auf sich zu nehmen.Zum anderen gehört dazu auch ein gesellschaftliches Klima, das technologischen, sozialen und strukturellen Fortschritt bejaht und das die Leistungen von Innovatoren und Unternehmern positiv anerkennt und fördert.Wir müssen radikal mit der gegenwärtigen Selbstbedienungsgesellschaft brechen und wieder zu einer Leistungsgesellschaft werden, in der Eigenverantwortung und das Engagement für gemeinschaftliche Ziele die führende Rolle übernehmen.

ROLAND BERGER

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