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International ist die ICE-3-Weiterentwicklung Velaro ein Verkaufsschlager. In Spanien, China und Russland fährt er recht zuverlässig – nur hierzulande hakt es.

© dapd

Zu wenig Züge: Bahn fürchtet Frost und Frust

Die Deutsche Bahn erwartet im Winter wieder Verspätungen und Zugausfälle – und schiebt die Schuld auf Siemens.

Die Bahn weiß, wie das Wetter wird. Seit Neuestem bekommt sie von einem Vorhersagedienst präzise Prognosen über Sonne, Stürme, Regen oder Schnee. Die Meteorologen sollen sogar Vorschauen für bestimmte Regionen machen können – wenn etwa im Landkreis Teltow-Fläming mit Blitzeis zu rechnen ist, im nahen Berlin dagegen nicht. So will das Unternehmen schneller auf die Unbillen des Wetters reagieren können.

Den Bahn-Kunden im Fernverkehr wird das allerdings nicht besonders viel nützen. Sie müssen auch in diesem Winter mit Zugausfällen und Verspätungen rechnen, wenn es kalt wird und viel Schnee fällt. Der Grund: Die Bahn verfügt nur über 253 ICE-Züge – eine Reserve ist praktisch nicht vorhanden. Die erhofften 16 neuen ICEs vom Elektrokonzern Siemens wird die Bahn frühestens im nächsten Jahr bekommen. Der Staatskonzern übte am Donnerstag heftige Kritik an seinem Lieferanten. „Unsere Kunden fühlen sich von Siemens im Stich gelassen“, sagte Fernverkehrschef Berthold Huber in Berlin. Man habe die Züge „jetzt sehr, sehr gut gebrauchen können“. Siemens bat um Nachsicht. „Es tut uns sehr, sehr leid“, bekannte ein Sprecher.

Die Züge vom Typ Velaro D, einer ICE-3-Weiterentwicklung, waren nicht für bestimmte Verbindungen, sondern als Reserve geplant. Denn der Bahn fehlen seit Jahren etwa zwölf ICEs. Die gesamte Flotte muss seit 2008 häufiger als geplant zur Kontrolle in die Werkstätten, nachdem eine ICE-Achse gebrochen war.

Zwischen der Bahn und Siemens hat die erneute Panne zu Verstimmungen geführt. Konzernchef Rüdiger Grube soll sich beim Siemens-Leiter Peter Löscher heftig beschwert haben. Eigentlich hatten die ersten Züge bereits Ende 2011 ausgeliefert sein sollen. Löscher hatte Grube später als Liefertermin für acht ICEs den heutigen Freitag versprochen.

Frühestens in zwei Monaten werden die ersten Züge nun einsatzfähig sein, sagte Bahn-Technikvorstand Volker Kefer. Bei Prüffahrten hatten Ingenieure Probleme mit der Software festgestellt. Beispielsweise könne es eine Zwangsbremsung auf offener Strecke geben, wenn der ICE den Kontakt zu einem Sicherungssystem verliere. „Das können wir in der Praxis natürlich nicht gebrauchen“, sagte Kefer. Auch bei der Kupplung zweier ICEs funktionierten die Computer nicht einwandfrei, ebenso gab es Mängel in den Speisewagen.

Nicht zum ersten Mal produziert die Bahn-Industrie mangelhafte Züge.

Einen neuen Liefertermin wollte Siemens nicht nennen. Auch Kefer zeigte sich unsicher. Die Software müsse nach der Überarbeitung noch einmal zugelassen werden. „Das geht nicht in Tagen oder Wochen.“ Die Bahn rechnet gleichwohl damit, alle 16 Züge bis Ende 2013 zu bekommen.

Für die Bahn ist die Verzögerung teuer. „Der Markt ist so gut, dass wir dringend neue Fahrzeuge brauchen, wenn wir die Nachfrage bedienen wollen“, sagte Fernverkehrsmanager Huber. Wegen der gestiegenen Spritpreise verkauft die Bahn seit Monaten deutlich mehr Tickets. Mit den neuen Zügen hätte sie bis zu 3200 Sitzplätze zusätzlich anbieten können.

Auch die Expansionspläne in Europa muss die Bahn verschieben. Die ICEs werden zunächst nur eine Zulassung für das deutsche Gleisnetz bekommen. Auf der Strecke von Frankfurt am Main nach Paris würden sie erst 2014 einsetzbar sein, 2015 auf der Route nach Belgien und 2016 in Nordfrankreich. In dem Jahr könne man auch erst darüber nachdenken, Verbindungen nach London aufzunehmen. Das war ursprünglich einmal für 2013 vorgesehen.

Zu möglichen Schadenersatzforderungen an Siemens wollte sich Kefer noch nicht äußern. Das werde man erst, wenn alle Exemplare geliefert seien. Die Bahn hat allerdings bereits die Lieferung eines weiteren Zuges im Gegenwert von 30 bis 35 Millionen Euro ins Gespräch gebracht.

Mit den ICE-Problemen setzt sich die Pannenserie der Bahn-Industrie fort. Seit Jahren habe sie es nicht geschafft, auch nur einen mängelfreien Zug auszuliefern, klagen Manager der Branche. Der spektakulärste Fall waren die Qualitätsmängel des Branchenführers Bombardier beim Regionalzug Talent 2. Monatelang standen Dutzende neu produzierte Züge auf Abstellgleisen, weil sie nicht wie gewünscht funktionierten und das Eisenbahn-Bundesamt die Zulassung verweigerte.

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