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Fidget Spinner lässt man auf dem Finger rotieren.

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Zum Durchdrehen: Wie der Fidget Spinner zur Geschäftsidee des Jahres wurde

Einen Fidget Spinner braucht man nicht – aber jeder will ihn haben. Sein rasanter Aufstieg zeigt, wie Trends entstehen. Und wer davon profitiert.

Von Carla Neuhaus

Auf einmal spinnen sie alle. Und das wegen eines Stücks Plastik, das man auf dem Finger kreisen lassen kann. Fidget Spinner heißen die Teile, die Kinder und teils auch Erwachsene derzeit unbedingt haben wollen. Die Dinger sind unscheinbar, kosten in der Standardvariante nur wenige Euro – und doch steckt dahinter ein Riesengeschäft. Die Geschichte der Fidget Spinner ist zu einem Lehrstück darüber geworden, wie wahnsinnig schnell sich ein Trend inzwischen verbreiten kann. Wie quasi über Nacht ein Markt für ein Produkt entsteht, das eigentlich niemand wirklich braucht – das aber jeder kauft.

Ursprünglich sollten Fidget Spinner Kinder beruhigen

Dabei sind Fidget Spinner eigentlich nur eine Art neu entdeckter Kreisel. Die meisten „Spinner“ sind handtellergroß. In der Mitte steckt ein Kugellager, um das sich drei Flügel drehen. Balanciert man den Spinner auf der Fingerspitze und gibt ihm einen kleinen Schubs, wirbelt er sekundenlang surrend herum. Wem das zu langweilig ist, der lässt ihn von einem Finger zum nächsten wandern, wirft ihn hoch oder hantiert gleich mit mehreren Fidget Spinnern. Der Name kommt vom englischen Begriff Fidget, was so viel wie Zappelphilipp heißt. Angeblich soll das Hantieren mit dem Spinner Kinder beruhigen. Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Im Gegenteil. In vielen Schulen sind die Spinner bereits verboten, weil sie die Kinder ablenken statt beruhigen. Dem Erfolg des Spinners tut das aber keinen Abbruch.

Es ist schwer zu rekonstruieren, wie dieser Trend in die Welt kam. Als mögliche Erfinderin gilt die Amerikanerin Catherine Hettinger. Sie hat sich bereits 1993 eine Art Fidget Spinner ausgedacht. Hettinger hat den damals sogar schützen lassen und ihn dem Spielwarenkonzern Hasbro angeboten. Ein Vertrag kam aber nicht zustande, der Patentschutz lief 2005 aus. Dementsprechend hat Hettinger von dem heutigen Erfolg des Fidget Spinner wenig. Dabei ist ohnehin umstritten, ob die neuen Fidget Spinner auf Hettingers Handkreisel zurückgehen. Denn der hatte weder Kugellager noch rotierende Arme. Hettingers Modell sah eher wie ein kleiner Plastikhut aus, den man auf dem Finger balancierte.

Torqbar und Fidget Cube waren Vorläufer

Teilen muss sich Hettinger den Ruhm deshalb mit Scott McCoskery. Seine Geschichte geht so: Angeblich war er lange Zeit einer dieser Menschen, die in Meetings ständig mit ihrem Kugelschreiber klicken. Als Alternative dachte der Amerikaner sich ein Spielzeug für Erwachsene aus und nannte es Torqbar. Der Torqbar ist ein Fidget Spinner mit nur zwei Armen, der aus Metall hergestellt wird und entsprechend teuer ist. Seine ersten Handkreisel fürs Büro verkaufte McCoskery bereits im Herbst 2015. Als er ein Jahr später anfing, seinen Torqbar in größerer Stückzahl über den eigenen Onlineshop zu vertreiben, brach der angeblich bereits nach 45 Minuten aufgrund des Ansturms zusammen.

Der Fidget Cube ist als Alternative für all diejenigen gedacht, die ständig mit dem Kugelschreiber klicken.
Der Fidget Cube ist als Alternative für all diejenigen gedacht, die ständig mit dem Kugelschreiber klicken.

© Getty Images/iStockphoto

Das lag aber womöglich schlichtweg daran, dass zur selben Zeit Gründer aus dem US-Bundesstaat Colorado anfingen, per Crowdfunding Geld für einen „Fidget Cube“ einzusammeln. Das wiederum ist ein größerer Würfel, der an allen Seiten mit Tasten, Schaltern und Rädern versehen ist: Auch er sollte in erster Linie helfen, Stress abzubauen. Hatten die Erfinder des „Fidget Cubes“ gehofft, 15 000 Dollar einzusammeln, gaben die Unterstützer ihnen letztlich sechs Millionen Dollar. Ein Erfolg, der viele Nachahmer anlockte. Einer dieser Trittbrettfahrer muss dann den heute so verbreiteten Fidget Spinner erfunden haben. Weil es aber kein Patent gibt, ist unklar, wer dieser Jemand ist.

Fidget-Spinner verbreiten sich schneller als einst das Tamagotchi

Dass auf einmal alle von einem Spielzeug begeistert sind, ist dabei an sich nichts Neues. Die Beliebtheit des Fidget Spinner erinnert an die Verbreitung des Hula-Hoop-Reifens oder des Zauberwürfels. Andere denken ans Tamagotchi, das virtuelle Küken, das man füttern musste, damit es nicht stirbt. Was beim Fidget-Spinner aber anders ist, ist die Geschwindigkeit, mit der er sich verbreitet hat. Anfang des Jahres hat sich der Trend in den USA herumgesprochen, ab April in Deutschland. Und dann ging alles ganz schnell. „Quasi über Nacht wollten alle einen Fidget Spinner haben“, sagt Willy Fischel vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels.

Dieses Tempo dürfte auch an den sozialen Netzwerken liegen. Haben sich neue Trends früher langsam von Schulhof zu Schulhof verbreitet, geht das durch Facebook und YouTube heute sehr viel schneller. Allein im vergangenen Monat haben Nutzer mehr als neun Millionen Fidget-Spinner-Videos auf der Plattform YouTube hochgeladen. Vor der Kamera zeigen Nutzer Kunststücke mit ihrem Handkreisel oder erklären die Vorzüge der unterschiedlichen Varianten – von den einfachen Spinnern aus Plastik, über jene mit Kugellagern aus Keramik bis hin zu denen, die im Dunkeln leuchten. Nicht wenige dieser Videos sind bereits millionenfach angeklickt worden. Der Trend hat sich so verselbstständigt. Warum kann keiner so recht sagen, alle staunen nur. Bei Mediamarkt-Saturn etwa heißt es: „Ohne Frage gab es bisher nur wenige Produkte, die so einen großen Hype ausgelöst haben.“

Händler hatten die Nachfrage unterschätzt

Die Händler hat der plötzliche Ansturm auf die Fidget Spinner völlig überrascht. Zeitweise waren die Spinner vielerorts ausverkauft. Um die Nachfrage möglichst schnell bedienen zu können, orderten die Händler die Fidget Spinner deshalb zwischenzeitlich über den teureren Luftweg, statt sie wie sonst per Schiff transportieren zu lassen. Und doch dürfte ein großer Teil des Geschäfts an den deutschen Händlern schlichtweg vorbeigehen. Denn viele Kunden bestellen die Fidget Spinner über Amazon, wo die Handkreisel bereits seit Wochen zu den meistverkauften Waren in der SpielzeugKategorie zählen. Doch sucht man bei Amazon nach der Händlerinformation, stößt man bei den Fidget Spinnern fast ausschließlich auf Namen und Adressen aus China. Franz Jordan, Amazon-Experte bei Marketplace Analytics, sagt, das sei kein Zufall. Waren es früher größtenteils deutsche Händler, die Produkte in Asien ein- und dann hierzulande über Amazon verkauft haben, treten die chinesischen Fabriken verstärkt auch auf der deutschen Amazon-Seite selbst als Verkäufer auf. Jordan sagt, das liege vor allem daran, dass der Onlinehändler ihnen einen Großteil der Arbeit abnehmen. „Amazon kümmert sich sowohl um die Logistik als auch um den Kundenservice.“ Will ein Chinese seine Fidget Spinner in Deutschland vertreiben, muss er sie also nicht mehr selbst verschicken. Auch muss er sich nicht um Retouren kümmern oder auf die Mails von Kunden antworten.

Statt der Standard-Kreisel sind inzwischen Fidget Spinner angesagt, die im Dunkeln leuchten.
Statt der Standard-Kreisel sind inzwischen Fidget Spinner angesagt, die im Dunkeln leuchten.

© dpa

Die deutschen Händler haben dabei das Nachsehen – und zwar auch weil die Preise stark fallen. Hat ein Fidget Spinner Anfang des Jahres noch an die zehn Euro gekostet, liegt der Preis längst unter fünf Euro. So zeigt gerade das Beispiel der Fidget Spinner, wie sich der globale Handel verändert hat.

Fraglich ist, wie lange der Trend noch anhält

Dabei ist die Konkurrenz aus Asien längst nicht das einzige Problem der Händler hierzulande. „Ein Trend, der so schnell aufkommt, kann auch ebenso so schnell wieder vorbei sein“, sagt Verbandschef Fischel. Zwar geht man etwa bei Mediamarkt-Saturn davon aus, dass der Trend zum Fidget Spinner „sicherlich noch einige Monate anhalten“ werde. Doch ob der Fidget Spinner auch Weihnachten noch ein Thema sein wird, daran haben die meisten Experten so ihre Zweifel. Wer als Händler dann noch Kartons voller Fidget Spinner herumstehen hat, hat verloren.

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