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„Die Beschäftigten haben die Krise besser überstanden als die Betriebe“, sagt Martin Kannegiesser. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

ZUR PERSON: „Wir sind nicht das Friseurhandwerk“

Gesamtmetallchef Martin Kannegiesser über die Stärke der deutschen Industrie, prekäre Beschäftigung und Fledermäuse

Herr Kannegiesser, wie geht's den Fledermäusen?

Ich hoffe gut. Wir unternehmen ja einiges, damit die sich in der Nähe unseres Werkes wohl fühlen.

Die Flugbahn der Fledermäuse war ein Problem bei der Erweiterung Ihres Stammwerks in Vlotho. Wie haben Sie das gelöst?

Durch Ausweichflächen und rund 200 Nistkästen, die wir angeschafft haben. Da wir es mit zehn unterschiedlichen Arten zu tun haben, brauchten wir auch unterschiedliche Nistkästen.

Eine ärgerliche Sache.

Nicht unbedingt. Auf der einen Seite ist man ja stolz, wie prima alles bei uns geregelt ist. Vieles macht ja Sinn. Aber es ist natürlich mühsam. Rund zwei Jahre haben wir gebraucht. Jetzt haben wir die zehn Hektar und im nächsten Jahr wollen wir bauen.

Ein ähnliches Bauprojekt ist in England in Arbeit. Gibt es da auch Fledermäuse?

Bestimmt. Aber nicht da, eine Stunde nördlich von London, wo wir ein neues Werk planen. In England ist es schwierig, überhaupt ein Grundstück zu bekommen. Grund und Boden sind dort ganz überwiegend in der Hand von Immobilien- und Projektentwicklern. Die Kommunen haben kaum Einfluss. Deshalb hat allein die Grundstückssuche anderthalb Jahre gedauert.

Neubauten in Westfalen und England, der Betrieb im Erzgebirge wird ausgebaut – müssten Sie als Weltmarktführer nicht auch in China produzieren?

Davon bin ich noch nicht überzeugt. Der Druck aus Asien ist im Moment nicht bedrohlich, aber in den kommenden fünf bis zehn Jahren werden die Chinesen zu einem ernsthaften Wettbewerber.

Und wie stellen Sie sich darauf ein?

Es gibt zwei Strategien. Entweder man geht hin und produziert dort. Oder man bleibt hier und stellt sich der Herausforderung – mit hoher Produktivität, Innovation und Investitionen.

Geld genug zum Investieren haben Sie?

Wir haben im Schnitt der letzten zehn, 15 Jahre ordentlich verdient. Wenn man spart, dann kann man auch investieren.

Vor anderthalb Jahren sagten Sie, „die kommenden ein, zwei Jahre sind für unsere Industrie entscheidend“. Heute geht es der deutschen Industrie und vor allem dem Maschinenbau herausragend. Was sind die wichtigsten Gründe?

Wir hatten unsere großen Strukturkrisen in den 80er und 90er Jahren und dann wieder Anfang 2000. Seitdem haben wir eine Menge verändert. Die jüngste Krise war und ist ja nicht eine Krise der Industrie, sondern eine Finanz- und Schuldenkrise. Wir waren immer stark auf den Weltmärkten, obwohl man uns als kranken Mann Europas verspottet hat. Jetzt sind wir in den Bereichen an der Spitze, in denen die Welt einen besonderen Bedarf hat: Technologie zur Ressourceneinsparung, Mobilität, Infrastruktur, Energieeffizienz, Umweltschutz. Unser Produktportfolio deckt die Nachfrage der Welt. Davon profitieren wir und sind deshalb so schnell aus der Krise gekommen.

Viel schneller als andere.

Ja. Bei den Franzosen etwa gab es reichlich Häme, auch über unsere Exportorientierung, als wir schneller und tiefer in die Krise rutschten als andere. Aber die Grundstruktur unserer Industrie ist in Ordnung. Das sehen die jetzt auch. Allein mit Dienstleistungen und Popkultur kann man keinen Blumentopf gewinnen.

Gewinn machen die Metallfirmen wie noch nie, ob Kannegiesser oder Daimler.

Viele verdienen gut, aber in dem Tempo wird das nicht weitergehen. Wir sind eingeklemmt zwischen den ständig steigenden Materialpreisen auf der einen und dem Preisdruck auf unsere Erzeugnisse auf der anderen Seite. Unsere Kunden verdienen nicht genug, als dass sie höhere Preise akzeptieren könnten. Wenn wir das aktuelle Preisniveau im nächsten Jahr halten können, dann bin ich froh. Vor allem aber haben wir einen hohen Nachholbedarf: Krise und Beschäftigungssicherung haben tiefe Löcher in die Finanzen unserer Firmen gerissen.

Sie bauen schon vor und warnen die IG Metall vor hohen Lohnforderungen.

Nein, das wäre zu billig. Es geht doch nicht um den einen oder anderen Prozentpunkt, sondern um Augenmaß. Berthold Huber sagt ja selbst, dass die Volatilität in der Branche immer größer wird. Die Ertragslage wird 2012 ein Stück runter gehen. Wir müssen unsere Betriebe krisensicherer machen.

In diesem Jahr brummt es jedenfalls. Bleibt es bei den von Ihnen prognostizierten zusätzlichen 80 000 Arbeitsplätzen?

Ich denke schon. Seit April 2010, dem Wendepunkt nach der Krise, sind 120 000 Stammarbeitsplätze in unserer Industrie entstanden. Und bis Jahresende sollten nochmals 60 000 bis 80 000 hinzukommen. Dann wäre der Stellenverlust, den es in der Krise gab, fast ausgeglichen.

Bekommen Sie die Leute, die Sie suchen?

Wir könnten Ingenieure zusätzlich gebrauchen, doch alles in allem haben wir bisher immer ausreichend Fachkräfte bekommen. Wir arbeiten mit Hochschulen zusammen und kümmern uns seit Jahren um diesen Bereich und pflegen die Netzwerke. Bei den Ausbildungsstellen sinken die Bewerberzahlen, aber auch hier kommen wir noch gut zurecht.

Sie sind ein guter Arbeitgeber?

Na ja, wir bemühen uns. Unsere Ausbildung ist gut und wird von Jugendlichen und Eltern geschätzt. Wir kooperieren mit den Schulen und kümmern uns auch um Jugendarbeit. Heute Abend bin ich zum Beispiel auf dem Fußballplatz, da spielen die Jugendmannschaften, die von uns die Trikots bekommen. Das ist ganz wichtig. Man muss in der Region Netzwerke und Freundschaften pflegen.

Übernehmen Sie die Azubis?

In der Regel ist das selbstverständlich. Keiner ist ja so blöd und steckt 30 000 Euro in die Ausbildung und lässt den jungen Mann oder die junge Frau dann gehen.

Die Berufe in der Metallindustrie könnten noch attraktiver werden, wenn die Übernahme nach der Ausbildung sicher wäre, wie das die IG Metall fordert.

Die Übernahme ist doch die Regel. Und warum sollte das gut sein, wenn wir eine Art Beamtenlaufbahn versprechen? Leistungsträger motiviert man so nicht. Die Gewerkschaft verstehe ich, weil sie Werbung bei den jungen Leuten machen will. Das ist legitim, jeder versucht, seinen Marktanteil zu erhöhen. Aber in diesem Fall wäre das kontraproduktiv.

Wieso?

Eine Verpflichtung erzeugt nur Widerstände bei vielen Unternehmern. Schlimmstenfalls reduzieren die dann sogar ihre Ausbildung. Wir müssen immer mehr in die Förderung ausbildungsschwächerer Jugendlicher investieren, weil unser Fachkräftebedarf künftig stärker als bisher aus diesem Bereich gedeckt werden muss. Eine Verpflichtung zu unbefristeter Beschäftigung schon bei Abschluss eines Ausbildungsvertrages läuft diesem Ziel genau zuwider, würde gerade die ausbildungsfreundlichen Betriebe zum Austritt aus der Tarifbindung provozieren. Auch die Gewerkschaften sollten sich fragen, weshalb Jugendarbeitslosigkeit bei uns praktisch nicht existiert.

Der IG Metall geht es um die Bekämpfung prekärer Beschäftigung: Befristete, unsichere Arbeitsverhältnisse für Junge, Leiharbeit und Minijobs.

Manche in der IG Metall muss man immer wieder daran erinnern, dass wir die Metallindustrie sind und nicht das Friseurhandwerk. Es gibt in unserer Branche keine prekäre Beschäftigung in nennenswertem Umfang, nur 3,2 Prozent haben befristete Verträge und weniger als fünf Prozent sind Zeitarbeiter.

Aber der Lohn dieser Leiharbeiter liegt um bis zu 770 Euro im Monat unter dem niedrigsten Metalltarif. Vom gleichen Lohn für gleiche Arbeit kann keine Rede sein.

Das sind extreme Beispiele, die teilweise auch künstlich gebildet werden. Die unteren Tarifgruppen bei uns sind fast gar nicht mehr besetzt. Und viele Zeitarbeiter kamen aus der Arbeitslosigkeit und hatten keine Ausbildung, selbstverständlich verdienen die weniger. Wer zehn Jahre im Betrieb ist, hat doch ein ganz anderes Wissen und entsprechend eine ganz andere Produktivität. Diese Stammkräfte müssen besser gestellt werden.

Die erste Tarifrunde nach der Krise gibt es im nächsten Frühjahr, die IG Metall will eine teure Aufschwungdividende.

Ach, ob teuer oder nicht, wir müssen etwas finden, was angemessen ist. Wir haben uns in der Krise mit der IG Metall darauf verständigt, unbedingt die Beschäftigung zu halten. Das war wahnsinnig teuer für die Betriebe. Alles in allem ist die Krise glimpflich abgegangen – übrigens sehr viel glimpflicher für die Mitarbeiter als für die Betriebe. Jetzt möchten wir die Unternehmen für die Zukunft krisensicherer machen. Unsere Richtgröße ist und bleibt die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität im mittelfristigen Trend.

Bevor das Tarifspektakel beginnt, feiern Sie im November den 70. Geburtstag. Spüren Sie keine Altersschwäche?

Selten. Allerdings geht es immer schneller rauf und runter, die Zyklen werden kurzfristiger, die Produkte müssen ständig angepasst werden – das unternehmerisch zu begleiten, zehrt schon an der Konstitution. Es wird alles immer schneller, aber das hat mein Vater in den 60er Jahren auch schon gesagt.

Was haben Sie noch vor in den nächsten zehn oder 20 Jahren?

Wir wollen das Unternehmen weiter stabilisieren und unsere Standorte in Deutschland wetterfest machen. Unsere weltweite Präsenz möchte ich ausbauen. Alles in allem ist es eine tolle Aufgabe, die Mannschaft weiterzubringen, junge Leute in die Führung zu integrieren.

Der Mannschaftsführer bleibt also noch eine Weile auf dem Platz?

Ja. Hoffentlich merke ich rechtzeitig, wann andere es besser können.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

KARRIERE

Martin Kannegiesser wurde 1941 in Posen geboren und wuchs in Westfalen auf. In Vlotho in der Nähe von Bielefeld besitzt er ein Unternehmen für Wäschereitechnik. Kannegiesser übernahm die Firma im Jahr 1968 von seinem Vater und baute sie zum Weltmarktführer mit rund 1300 Mitarbeitern aus. Das Unternehmen baut unter anderem große Wasch-, Mangel- und Bügelmaschinen für Hotels und Krankenhäuser. Kannegiesser ist verheiratet und hat eine Tochter. Im kommenden November feiert er seinen 70. Geburtstag.

VERBAND

Seit elf Jahren ist Martin Kannegiesser Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der mächtigste deutsche Industrieverband, der die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mit einem dreistelligen Millionenbetrag finanziert, ist Gegenspieler der IG Metall. Unter Kannegiesser wurde der Flächentarifvertrag reformiert, indem Öffnungsklauseln für betriebliche Belange geschaffen wurden. Kannegiesser wird wegen seiner Sachlichkeit und Zuverlässigkeit auch in der IG Metall geschätzt. Er verkörpert die Sozialpartnerschaft.

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