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ZUR PERSON: „Wir sind vom Arabischen Frühling beeinflusst“

Der Student und Demonstrant Mark Bray über „Occupy Wall Street“ als Widerstand gegen ein System zugunsten der Banken und zulasten der Bürger

Der Aktivist

Mark Bray, 29, studiert Europäische Geschichte an der Rutgers University in New Jersey. Er war während der Bush-Regierung in der Antikriegsbewegung aktiv und gehört zur Zeit zum Kern von „Occupy Wall Street“. Bray arbeitet im Medien-Team mit.

Die Initiative

Seit einem Monat tut „Occupy Wall Street“ genau was der Name verspricht: Einige hundert Demonstranten besetzen die Wall Street, genauer gesagt den kleinen Zuccotti Park ein paar Meter nördlich der Finanzmeile. Die Bewegung fühlt sich dem „Arabischen Frühling“ verbunden, hat keine Anführer und keine gemeinsame Botschaft.

„Occupy Wall Street“ ist jetzt einen Monat alt. Wer führt die Bewegung an?

Niemand. Wir haben keine offizielle Führung, keine Hierarchie. Jeden Tag trifft sich die Vollversammlung und jeder darf sich beteiligen. Hier werden die wichtigen Entscheidungen auf Konsens-Basis gefällt. Für die kleinen Dinge im Alltag sind verschiedene Arbeitsgruppen zuständig. Essen, Abfall, Medizinische Versorgung, die Bücherei, Pressearbeit mit Videos und Webseite, Rechtsberatung. Diese Gruppe ist zur Zeit besonders wichtig, da uns gerade wieder mit dem Rauswurf aus dem Park gedroht wurde.

Gibt es inzwischen eine klare Botschaft der Demonstranten?

Wir wollen keine vorgefertigte Liste von Forderungen aufsetzen und dann den Leuten aufdrücken. Wir wollen ein Forum bieten und hören, was andere zu sagen haben. Unsere Methode ist dabei ein wichtiger Teil der Botschaft. Ansonsten geht es überwiegend um zwei Probleme: Wir sind für wirtschaftliche Gerechtigkeit und gegen den massiven Einfluss von Geld in der Politik. Unsere Kritik gegenüber der Wall Street fängt mit der Finanzkrise an. Viele hart arbeitende Leute haben ihre Jobs und ihre Häuser verloren, doch die Politiker haben sich vor allem um die Interessen der Finanzindustrie gekümmert. Die enge Verbindung von Geld und Politik ist wohl der größte Teil des Problems.

Wen spricht die Bewegung an? Die Wall Street oder doch eher Washington?

Wir rechnen nicht damit, dass man uns an der Wall Street zuhört. Leider rechnen wir auch nicht damit, dass die Regierung in Washington etwas tun wird. Wir bekommen zwar immer mehr Unterstützung von prominenten Politikern. Aber das ist nicht unser Anliegen. Stattdessen versuchen wir vor allem die „Main Street“ anzusprechen, die 99 Prozent der Amerikaner, die von der aktuellen Politik nicht profitieren. Wir bauen eine Volksbewegung auf.

Eine Bewegung, die von links kommt, jubelte vor drei Jahren über den Sieg von Barack Obama. Wie enttäuscht sind Sie?

Ich war immer pessimistisch, weil mir die Beziehungen zwischen Geld und Politik klar waren. Aber dass 44 Prozent der Demokraten unsere Bewegung positiv einschätzen und 33 Prozent noch unentschlossen sind, zeigt schon den Frust der Leute. Obama hat ihre Erwartungen nicht erfüllt. In den letzten Jahren ist vieles schlechter geworden, und das heißt: Wenn wir den Einfluss von Geld in der Politik nicht abstellen, dann spielt es gar keine Rolle, wer im Weißen Haus sitzt.

Das klingt aussichtslos. Wer kann denn überhaupt noch etwas verändern?

Gute Frage. Und wenn sich mehr Leute diese Frage stellen, dann haben wir schon etwas erreicht. Wenn Bürger etwas verändern wollen, können sie ihrem Abgeordneten schreiben, einer Partei beitreten. Doch was können sie tun, wenn das alles nicht hilft? Das kann ich auch nicht beantworten. Aber wir sind auf einem guten Weg. Dass es hier zu einer so großen Protestaktion kommt, hätte man vor ein paar Monaten nicht für möglich gehalten.

Also glauben Sie, dass die Proteste letztlich etwas bewirken werden?

Ich bin Geschichtsstudent und neige dazu, mir Dinge mit langfristiger Perspektive anzuschauen. Ich glaube nicht, dass in ein paar Jahren alles anders sein wird. Ich glaube aber, dass man in der Zukunft auf diesen Moment, diese Bewegung als einen Wendepunkt zurückblickt, an dem sich geändert hat, wie Leute ihre Situation beurteilen und sich in den Prozess einbringen. So gesehen, bin ich langfristig schon optimistisch.

Ist die Bewegung vom „Arabischen Frühling“ beeinflusst?

Auf jeden Fall. Als der „Arabische Frühling“ begann, am Tahrir-Platz in Kairo, da hat das auch Leuten hier in den USA Hoffnung gegeben. Der Gedanke, einen Protest auf einem öffentliche Platz zu organisieren, etwa einen Park zu besetzen, war in den USA neu. Ich will trotzdem keine direkten Parallelen zu Ägypten und anderen arabischen Ländern ziehen, denn der Kontext ist natürlich ein anderer.

Trotzdem fühlen Sie sich der Bewegung in der arabischen Welt verbunden?

Ja, denn es gibt Gemeinsamkeiten. Das beginnt bei der Organisation über Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke. Es gibt „Occupy Seoul“, „Occupy London“, „Occupy Buenos Aires“. Alle diese Städte haben ihre eigenen Proteste, aber die Methodik ist dieselbe: Widerstand der Bürger gegen ein System, das sie benachteiligt. Wenn das in verschiedenen Städten in aller Welt stattfindet, dann gibt einem das schon ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Und das beeindruckt die Amerikaner?

Auf jeden Fall. In den sechziger Jahren gab es eine starke Protestkultur. Heute höre ich immer wieder: Na ja, so ist es eben nicht mehr. Heute beschränken sich die meisten Amerikaner darauf, alle zwei oder vier Jahre wählen zu gehen – wenn überhaupt. Ich war schon vor einigen Jahren in der Antikriegsbewegung engagiert. Viele, die damals für den Krieg waren, haben gesagt, dass es eben nur einen Weg gebe, Diktatoren auszuschalten und Demokratie in ein Land zu bringen, und zwar über das Militär. Der „Arabische Frühling“ hat gezeigt, dass das nicht stimmt. Eine Bewegung aus dem Volk kann genauso viel erreichen, oder mehr.

Wie lange können die Leute hier an der Wall Street noch in der Kälte durchhalten?

Wir stellen uns auf eine lange Zeit ein. Wir haben ein Komfort-Komitee, das warme Kleidung und Schlafsäcke sammelt. Es denkt hier eigentlich keiner daran, einzupacken. Ein anderer Aspekt ist aber viel wichtiger: Je mehr unsere Bewegung an Schwung gewinnt, desto weniger wichtig ist, dass die Leute tatsächlich hier wohnen und schlafen. Hier im Park schlägt symbolisch das Herz der Bewegung, aber das ist längst nicht alles.

Wie viele Leute leben momentan im Park?

Ich habe keine genauen Zahlen. Es ist aber schwer, nachts einen Schlafplatz zu finden, weil der ganze Platz belegt ist. Es sind auf jeden Fall mehr als 500 Leute, die hier dauerhaft sind.

Warum gab es Ärger mit der Polizei?

Den ersten Zwischenfall gab es, als ein Polizist vier junge Frauen mit Tränengas angriff, obwohl diese überhaupt nichts getan hatten. Dann gab es mehr als 700 Verhaftungen auf der Brooklyn Bridge. Rund um den Park herrscht eine sehr dominante Polizeipräsenz. Die Medien berichten seit Tagen, wie teuer das für die Stadt New York ist. Angeblich hat man schon 3,2 Millionen Dollar für Überstunden zahlen müssen. Die Polizisten selbst beschweren sich darüber nicht.

Wie sind die Beziehungen zu den Medien?

Zunächst haben wir kaum Aufmerksamkeit bekommen. Dann hieß es, wir seien schlecht organisiert und chaotisch. Erst seit dem großen Mittwochsmarsch mit Gewerkschaften und Studenten bemühen sich die Medien um eine offene Berichterstattung. Die aktuelle Ansicht vieler Medien ist, dass wir durchaus einen Grund haben für unsere Proteste, dass sich die Bewegung aber letztlich den Demokraten oder Republikanern anschließen muss. Das passt ja auch zu der Entwicklung, dass sich immer mehr Politiker positiv zu uns äußern. Bill Clinton und Al Gore etwa, auch Nancy Pelosi.

Die Demokraten entdecken die Bewegung.

Sicher ist das Strategie von Nancy Pelosi, und ich gehe davon aus, dass die Demokraten versuchen werden „Occupy Wall Street“ in den Wahlkampf aufzunehmen. Wir wollen aber weiter klarmachen, dass es uns um Ergebnisse geht, und dass sich ohne handfeste Ergebnisse unser Verhältnis zu den Parteien nicht ändern wird.

Wer unterstützt noch den Protest?

Die Gewerkschaften sind ein starker Partner, auch Schüler und Studenten, einige Stimmen aus dem religiösen Umfeld. Und Prominente. Susan Sarandon war hier, Michael Moore und Russell Simmons. Kanye West kam vorbei und Mike Myers marschierte bei einer Demo mit.

Es scheint hier sehr viel Musik und Entertainment zu eben.

Es gibt eine Gruppe an der Westseite des Parks, die eigentlich den ganzen Tag Musik macht. Wir hatten ein Konzert mit afro-amerikanischen Gruppen, einen Chor, der Friedenslieder gesungen hat. Wir haben eine Bücherei und einen Bastel-Workshop, wo Schilder gemalt werden können. Wir versuchen, „Occupy Wall Street“ auch zu einem kulturellen Happening zu machen.

Das Interview führte Lars Halter

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