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Wirtschaft: Zurück zum Neuen Markt

Ein neues Börsensegment soll Start-ups helfen. Doch die Skepsis ist noch groß.

Alle 20 Stunden wird in Berlin eine neue Firma gegründet, vor allem in der Internetbranche. Neun von zehn Start-ups scheitern allerdings. Meist fehlt es schlicht an Geld und an risikobereiten Investoren – und dies in einem Land, in dem Geld und Vermögen ausreichend vorhanden sind.

Geht es nach Philipp Rösler (FDP), so soll bei der Kapitalbeschaffung künftig die Börse helfen. Der Bundeswirtschaftsminister will ein neues Hochrisiko-Segment in Deutschland einrichten, eine Art „Neuen Markt 2.0“. Die Gespräche mit der Deutschen Börse „stehen zwar noch am Anfang, sollen aber zügig mit weiteren Beteiligten, etwa Unternehmen, Investoren und Analysten fortgesetzt werden“, kündigte Ministeriumssprecher Adrian Toschev an. Das Projekt stößt indes nicht überall nur auf Gegenliebe.

Feuer und Flamme ist der Bundesverband Deutsche Startups, in dem junge Unternehmen wie der Kreditmarktplatz Smava, die Brillenfirma Mister Spex, das Hotel- und Reiseportal Trivago oder die Berliner Firma Mobile Event Guide vertreten sind, die kürzlich ein siebenstelliges Investment von Ex-AWD-Chef Carsten Maschmeyer einheimsen konnte. Etwa 120 der im Verband vertretenen rund 200 Start-ups, davon ein Drittel aus Berlin, seien „potenziell an einem Börsengang interessiert“, sagt Verbandssprecher Florian Nöll. Er schätzt, dass „in spätestens zwölf bis 14 Monaten“ die ersten Firmen an der Börse seien. Sollte dies in Frankfurt nicht möglich sein, kämen auch Regionalbörsen oder ausländische Märkte in Betracht. Für den Börsengang geeignet hält der Verband vor allem Firmen mit einem Jahresumsatz zwischen 30 und 50 Millionen Euro und 100 bis 500 Mitarbeitern.

Dass in Deutschland Wagniskapital fehlt, belegen auch die Zahlen: Während hierzulande nur 0,021 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Start-ups und Wagnis-Investments fließen, ist es in den USA mit 0,2 Prozent das Zehnfache. Jedes dritte deutsche Start-up, so Nöll, benötige frisches Kapital jenseits der Grenze von einer Million Euro. Doch auch die Banken, die seit der Finanzkrise zur Reduzierung von Risiken gezwungen sind, stehen kaum als Geldgeber zur Verfügung. Crowdinvesting-Firmen, die kleine Summen zur Investition poolen, stellen meist nur kleinere einstellige Millionenbeträge bereit. Und ausländischen Beteiligungsfirmen wie Venture-Capital-Fonds fehlt in Deutschland die Möglichkeit, ihre Investitionen mittelfristig über einen Börsengang wieder loszuwerden. Erfolgreiche Start-ups wie Zalando oder Soundcloud mussten vor allem den internationalen Kapitalmarkt anzapfen.

Wie erfolgreich eine Start-up-Szene mit gutem Zugang zu Risiko- und Wachstumsgeldern sein kann, zeigt Israel, das nach dem amerikanischen Silicon Valley als zweitbeste Innovations-Region der Welt gilt. Ideen wie der UBS-Stick, das erste Instant-Messaging-System ICQ, das Epiliergerät, das Solarfenster, der Staubsauger-Roboter, das weltweit erfolgreiche Spiel Rummikub oder das Übersetzungsprogramm Babylon stammen aus Israel und konnten sich dank ausgeklügelter Finanzierungsprogramme über die Startphase hinaus etablieren oder an andere Unternehmen beziehungsweise Anleger verkauft werden. Das Ergebnis: An der US-Hightech-Börse Nasdaq sind aktuell mehr israelische Firmen notiert als Unternehmen aus Europa, Japan, Korea, Indien und China zusammen.

Das deutsche Aktieninstitut DAI glaubt, dass ein neues Börsensegment trotz der Erfahrungen mit dem Neuen Markt gute Chancen hätte. Röslers Idee sei „rundum begrüßenswert für alle Beteiligten“, so Gerrit Fey, Leiter der Kapitalmarktpolitik beim DAI. „Wir haben optimale Voraussetzungen: viele innovative Unternehmen, viel privates Geld und viele institutionelle Anleger.“

Das Scheitern des Neuen Marktes (siehe Kasten) sei auch keine deutsche Spezialität gewesen, sondern ein internationales Problem. Wichtig sei jedoch, dass in einem neuen Börsensegment der Anlegerschutz nicht zu kurz komme. Auch der Startup-Verband hält die Regulierung eines neuen Risikosegments für besonders wichtig, „um Zockermentalitäten vorzubeugen“. Denkbar sei, das Management der Börsenkandidaten mit Haltefristen an die eigenen Aktien zu binden.

Kritiker bemängeln, dass mit dem „Entry Standard“ bereits ein Marktsegment existiere, das kleinen Firmen mit dem Wunsch, Eigenkapital über die Börse aufzunehmen, eine günstige Finanzierung biete. Eine Notwendigkeit für ein weiteres Börsensegment bestehe nicht, heißt es beim Bankhaus M.M. Warburg. Notiert werden kann im Entry Standard gegen eine Jahresgebühr von 5000 Euro jedes Unternehmen, das mindestens zwei Jahre alt ist, über mindestens 750 000 Euro Grundkapital verfügt und einen Mindeststreubesitz von zehn Prozent anstrebt.

Allerdings richtet sich der Entry Standard bisher weniger an neue, innovative Firmen aus der Hightech- und Internet-Welt als an bereits etablierte kleinere Unternehmen aller Branchen, von Finanzdienstleistungen über Medizin bis zu Rohstoffen und Hightech. Für die Anleger war der Entry Standard in der Summe auch bisher ein sehr schlechtes Geschäft: Der Gesamtindex hat sich in den letzten siebeneinhalb Jahren mehr als halbiert.

Auch manch einem Gründer ist eine „Wiederbelebung gescheiterter Modelle“ in einem Neuen Markt 2.0. ein Dorn im Auge. Junge Firmen benötigten keine „Börse light“, die hohe Erwartungen bei Anlegern schüre und dank niedriger Transparenzstandards zu Missbrauch verführe, sagt etwa Ben Esser vom OnlineTextilien-Unternehmen Urbanara. Die Firma plant aktuell eine Finanzierung über die Crowdinvesting-Plattform Bergfürst, die künftig Summen bis zu zehn Millionen Euro stemmen will. Beteiligen an Crowd-Projekten kann sich jeder, allerdings ist die Branche größtenteils völlig unreguliert.

Wie ein Neuer Markt 2.0 heißen könnte und welche Bedingungen Anleger und Unternehmen vorfinden sollten, wird „derzeit noch hinter verschlossenen Türen besprochen“, so Nöll. Erste konkrete Ergebnisse erwartet der Start-up-Spezialist erst gegen Jahresende.

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