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Wirtschaft: Zwiespältiges Urteil über die Firmen in der Nazizeit

Symposium zu Vestrickungen deutscher Unternehmen im IG-Farben-Hochhaus / Degussa kooperiert mit Jüdischem WeltkongreßVON ROLF OBERTREIS,FRANKFURT (MAIN)Wer sich wesentliche neue Erkenntnisse erhofft hatte, wurde enttäuscht.Es wäre auch eine Überraschung gewesen, denn immer noch halten viele Unternehmen ihre Geschichte während der Nazi-Zeit weitgehend im Dunkeln.

Symposium zu Vestrickungen deutscher Unternehmen im IG-Farben-Hochhaus / Degussa kooperiert mit Jüdischem WeltkongreßVON ROLF OBERTREIS,FRANKFURT (MAIN)

Wer sich wesentliche neue Erkenntnisse erhofft hatte, wurde enttäuscht.Es wäre auch eine Überraschung gewesen, denn immer noch halten viele Unternehmen ihre Geschichte während der Nazi-Zeit weitgehend im Dunkeln."Unternehmen und Unternehmer im Nationalsozialismus" hieß das Thema eines Seminars der "Gesellschaft für Unternehmensgeschichte" am vergangenen Wochenende in Frankfurt.Es war das erste Mal, daß Historiker aus Deutschland, Israel und den USA öffentlich mit deutschen Unternehmern über die Nazizeit debattierten.Und dies an belasteter Stelle: In der ehemaligen Zentrale des Chemiekonzerns IG Farben.Auch wenn das meiste, was referiert wurde, bekannt war, brachte das Treffen mit mehreren hundert Teilnehmern ein konkretes Ergebnis: Der Frankfurter Chemie-Konzern Degussa wird zusammen mit dem jüdischen Weltkongreß versuchen, den Verbleib von Edelmetallen aus jüdischem Besitz aus der Nazizeit zu klären.Dies vereinbarte Michael Jansen, der Generalbevollmächtigte des Unternehmens, mit Israel Singer, dem Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses am Rande der Veranstaltung.Gleichzeitig will die Degussa der Holocaust-Gedenkstätte in Yad Vashem wichtige Dokumente aus dem Unternehmensarchiv zur Verfügung stellen.Schließlich hat der Konzern mit der Uni Köln ein Forschungsprojekt über die Rolle des Unternehmens als größte Edelmetall-Scheideanstalt Europas während der Nazizeit vereinbart. So langsam bewegt sich etwas: Auch Bahn-Chef Heinz Dürr hat unlängst den Frankfurter Historiker Lothar Gall beauftragt, bis 1999 die Geschichte der Bahn kritisch zu durchleuchten.Gleichwohl: Viele Unternehmen können sich nicht zu einer kritischen Eigenbetrachtung durchringen.Nicht umsonst bedauerte Professor Peter Hayes von der Northwestern University in den USA, daß man noch lange werde warten müssen, bis Genaueres über Firmen wie Henkel, Merck, die Rüttgerswerke oder Wintershall bekannt werde.Das Urteil über die Unternehmer, die bislang Einblick in ihre Archive gewährten oder über die Material ausgewertet werden konnte - wie VW, die Deutsche Bank oder IG Farben - fiel zumindest zwiespältig aus.Sie in Bausch und Bogen zu verurteilen, dazu kann sich Professor Henry Turner von der Yale University nicht durchringen.Er plädiert für Nachsicht, fordert "eine gebührende Berücksichtigung der damaligen Umstände sowie der menschlichen Natur".Trotzdem steht für ihn fest, daß deutsche Unternehmer keinen nennenswerten Widerstand gegen das NS-Regime ausübten, daß sich viele "willig" von den Nazis einspannen ließen.Andere seien in Verbrechen des Regimes verwickelt gewesen.Professor Harold James von der Princeton University verweist auf die unrühmliche Rolle der Geldhäuser bei der Arisierung jüdischen Vermögens und ihr rücksichtsloses Verhalten im besetzten Europa.Die Manager der Deutschen Bank "kannten die kriminellen Seiten des Regimes.Sie wußten auch, daß ein Netz von Konzentrationslagern Deutschland durchzog." Trotzdem kann sich auch James nicht zur Verurteilung etwa von Hermann Josef Abs durchringen.VW muß sich im Rückblick den Vorwurf von Professor Hans Mommsen gefallen lassen, daß es Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aktiv und nicht gezwungenermaßen beschäftigte.Als "aktiven Komplizen des Regimes" bezeichnet der Historiker VW.Das Urteil von Professor Peter Hayes fällt in dieser Hinsicht über die IG Farben noch vernichtender aus.Er spricht von einer brutalen Ausnutzung von schlecht entlohnten ausländischen Arbeitern, ganz abgesehen davon, daß IG Farben 1941 direkt neben dem KZ Auschwitz eine Fabrik baute. Die Lektion der Geschichte deutscher Unternehmen in der Nazizeit bleibt nach Ansicht von Hayes "höchst relevant für die Gegenwart und für die Zukunft".Aus einem Grund: Weil sich jene Manager, die sich an den Verbrechen direkt oder indirekt beteiligten, dies nicht aus grober Machtlust und rassistischer Besessenheit getan hätten, "sondern aus menschlichen Schwächen - vor allem einer Flucht in die Ichbezogenheit und die Sekundärtugenden wie Fleiß und Pflicht - und aus ihrer Bereitschaft, sich nach den gegebenen Tatsachen zu richten." An die Gefahren solcher Impulse wollten die Historiker in Frankfurt erinnern.

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