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Ein antikapitalistisches Graffiti in Nikosia.

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Zyperns Bankenkrise: Schreckensszenario im Mittelmeer

Aus Furcht vor einem Ansturm auf die Konten schließen die Banken in Zypern. Die Menschen kommen nicht an ihr Geld - eine Insel im Ausnahmezustand. Mit seinem „Nein“ zum Rettungspaket spitzt das Parlament die Krise zu.

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Als Wolfgang Schäuble am Dienstagmorgen aus seinem Fenster sieht, da weiß er schon, dass dieser Tag anders verlaufen würde als gehofft. Und nicht unbedingt besser. Zum einen, weil draußen im Garten zehn Zentimeter Neuschnee liegen und er seinen Flieger nach Frankfurt nicht rechtzeitig bekommen wird. Aber vor allem, weil aus dem seriösen deutschen Finanzminister, der er gestern noch war, über Nacht ein Mann geworden ist, der einen Tabubruch begangen haben soll. Einer, der leichtfertig mit den Sparguthaben europäischer Rentner hantiert und der dafür – das wird dieser Tag noch zeigen – die Quittung serviert bekommt.

„Diebstahl“, sagt einer dieser Rentner. So einfach sei das. „Raub.“ Andreas Theophanis heißt er und er sitzt auf einer Parkbank, die sich 2500 Kilometer von Schäubles Ministerium entfernt an der Platia Eleftherias, dem Freiheitsplatz in der verwinkelten Altstadt von Nikosia, befindet. Er füttert die Tauben. Etwas trockenes Brot kann er für die Vögel erübrigen. Aber Theophanis hat Sorgen. „Ich möchte gerne an mein Geld“, sagt der 66-Jährige. Rund 4000 Euro hat der Pensionär auf dem Konto. „Jetzt will mir der Staat davon 300 Euro abnehmen“, sagt Theophanis, es wäre sein Beitrag zur Bankenrettung. Der Rentner könnte den Verlust zwar verschmerzen. „Aber ich fürchte, dabei bleibt es nicht – ich will mein Geld in Sicherheit bringen“, sagt er.

Doch Theophanis kommt nicht heran. Die beiden Bankfilialen an der Platia Eleftherias sind an diesem Dienstag ebenso geschlossen wie alle anderen Geldinstitute auf Zypern. Auch im Online-Banking geht nichts. Das soll sich voraussichtlich erst kommenden Dienstag ändern.

So entschließt sich die britische Regierung am Dienstag zu einer ungewöhnlichen Überweisung. Sie lässt eine Million Euro in Bar in einen Hubschrauber verladen, um das Geld nach Zypern zu fliegen. Es ist, erklärte das Verteidigungsministerium in London, als Notversorgung für die 3000 Militärs, zahlreiche Regierungsangestellte sowie deren Familien gedacht, die auf der Insel leben. Auch sie sind vom normalen Geldverkehr abgeschnitten.

Denn von einem Tag auf den anderen ist der zyprische Euro zur Geisel geworden. Man sollte meinen, dass die konservative Regierung Zyperns, erst seit Anfang März im Amt, alles daransetzen würde, dem Rentner Theophanis und seinen 800 000 Landsleuten möglichst schnell aus der Klemme zu helfen. Aber sie hat sich zu einem anderen Weg entschlossen. Präsident Nikos Anastasiadis sucht die Kraftprobe – mit Berlin, mit dem Euroraum, mit den reichen russischen Anlegern, die auf ihn setzen. Es ist ein weiteres Kapitel in Sachen europäischer Finanzkrisendynamik, bei der die Kleinen sich von den Großen nichts diktieren lassen wollen, bei der Parlamente auf ihre Autonomie pochen und in hektischen Beratungen zwischen Parteien und Regierungen eine Lösung gesucht wird, die man glaubte schon gefunden zu haben.

Zypern von den Finanzmärkten abgeschnitten - ein Schreckensszenario

5,8 Milliarden Euro – das ist die Summe, die Zypern mithilfe des eigenen Bankensektors aufbringen muss, ergänzt um noch einmal knapp eine Milliarde aus Privatisierungserlösen, damit Europa weitere zehn Milliarden an Hilfen für die Inselrepublik bereitzustellen geneigt ist. Auf diesen Rettungsdeal hatten sich die Finanzminister in der Nacht zu Samstag in Brüssel verständigt. Doch als er am Dienstagabend im Parlament von Nikosia zur Abstimmung gestellt wurde, gab es nicht einen Abgeordneten, der mit Ja votierte.

Es war die Kleinsparerbeteiligung, die dem entgegenstand. Dass niemand ausgenommen werden sollte von der Sanierung der Staatsfinanzen, auch jene wie der Rentner Theophanis nicht, deren bescheidenes Sparguthaben eine Lebensleistung widerspiegelt. Immerhin sah ein Kompromissvorschlag vom Dienstag vor, einen Freibetrag für Guthaben bis zu 20 000 Euro von der geplanten Teilenteignung einzuräumen. Doch auch für diese modifizierte Version zeichnete sich keine Mehrheit ab. Sie verstoße gegen den Schutz des Eigentums, den die zyprische Verfassung festschreibt, aber auch gegen europäisches Recht, sagten Oppositionsabgeordnete. Der Präsident der Zentrumspartei Diko rief den Parlamentariern zu: „Wir sagen Nein. Und wir sagen Nein für unsere Kinder und Enkel. Vor uns liegt ein Leidensweg, aber wir werden es schaffen.“

Der stellvertretende Disy-Vorsitzende fasste die Lage nach der Abstimmung so zusammen: „Wir stehen kurz vor einer ungeordneten Insolvenz.“

Da ist es plötzlich, das Schreckensszenario. Zypern ist von den Finanzmärkten abgeschnitten. Um seine Bankeinlagen von 70 Milliarden Euro abzusichern, benötigt es dringend neues Geld. Doch nach dem Nein von Nikosia ist die Geschäftsgrundlage für die Vereinbarung entfallen, die die Euro-Finanzminister am Samstagmorgen nach einer dramatischen Nachtsitzung ausgehandelt hatten. Und in Brüssel beeilte man sich denn auch umgehend zu betonen, dass es für Europa und EZB keine Verhandlungsspielraum mehr gebe.

Bereits am Montag hatte sich Zyperns Präsident Anastasiadis hilfesuchend an Kanzlerin Angela Merkel gewandt. Doch er holte sich am Telefon eine Abfuhr. Mit der Troika müsse er verhandeln, soll Merkel ihn beschieden haben. Als habe Berlin mit dieser ganzen Sache unmittelbar gar nichts zu tun.

In ihrer Not griffen die 19 Abgeordneten der Regierungspartei von Nikos Anastasiadis zu dem verwegenen Mittel, sich bei der Abstimmung im Parlament zu enthalten. Als habe ihr Chef die Beschlüsse von Brüssel nicht mitgetragen. Als stärke es ihre Verhandlungsposition gegenüber Europa, sich nicht festzulegen.

Dass es so kommen könnte, erfuhr Wolfgang Schäuble am Dienstagmittag. Sein zyprischer Amtskollege Michalis Sarris rief ihn an. Man werde das umstrittene Sparprogramm nicht durchs Parlament bekommen, sagte der. Ob man nicht doch ein wenig locker lassen kann in Berlin?

Er hat es also kommen sehen, aber es ist für den Minister eine vertrackte Situation. Lässt er gegenüber Zypern locker, bürgen deutsche Rentner für zyprische Rentner. Bleibt er in der Sache hart, müssen deutsche Rentner fürchten, dass es auch für ihre Spareinlagen keine Garantien gibt. Jedenfalls schlägt Schäuble aus den Medienberichten des Vormittags diese Angst entgegen, dass heute die Zyprioten dran seien und morgen die Deutschen.

Schäuble ist deshalb gereizt. Er ist für alle der Verantwortliche. Gleich morgens im Deutschlandfunk wird er mit dem Vorwurf überfallen, er habe am Freitag letzter Woche in Brüssel darauf bestanden, dass in Nikosia jeder Kleinsparer zur Zwangsabgabe herangezogen werde. Die zypriotische Regierung hatte das behauptet und sich noch dazu bei der eigenen Bevölkerung darüber beschwert, dass man von Schäuble und den anderen Eurostaaten-Ministern so unter Druck gesetzt worden sei, dass man nicht habe „Nein“ sagen können.

Schäubles Tonfall ist anzumerken, wie er mit sich ringt, um nicht aus der Haut zu fahren. Immer wieder sagt er, nicht er, sondern die zypriotische Regierung habe die Kleinsparerlösung gewollt. Und er muss den Vorwurf unterdrücken, den er allzu gern sehr laut loswerden würde: Zypern will unser Geld, um die russischen Großanleger zu schonen. Deshalb müssen die Kleinsparer dran glauben, was denen aber niemand zu sagen traut. Und da passt es gut ins Bild, dass in ganz Europa die Deutschen ohnehin verhasst sind. Erst haben sie die Griechen in die Armut geschickt, jetzt auch noch die Zyprioten.

Hatte Anastasiadis den Ernst der Lage nicht verstanden, oder pokert er?

Noch immer sind in Zypern die Banken geschlossen.
Noch immer sind in Zypern die Banken geschlossen.

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Auf die Frage, was bei einer Verweigerung des Parlaments in Zypern geschieht, weiß der Minister keine Antwort. Anastasiadis’ Regierung müsse sich dann eben etwas neues einfallen lassen.

Wenig später muss der Finanzminister den Abgeordneten des Bundestages die Lage erklären. Er wird an diesem Tag erst einmal versuchen, Zeit zu gewinnen – und den Vorwurf des Diebstahls aus der Welt zu schaffen. So sollen die Deutschen bei den Beratungen in Brüssel ohnehin eine andere Lösung favorisiert haben: Die Bankeigentümer in Zypern hätten auf Teile ihres Vermögens verzichten sollen, Kleinsparer wären außen vor geblieben. Doch Anastasiadis habe das abgelehnt. Er habe das russische Anlegerparadies nicht gefährden wollen, heißt es. Dann lieber eine gestaffelte Zwangsabgabe, bei der auch Kleinsparer zur Kasse gebeten werden.

Es muss weit nach Mitternacht gewesen sein, als man endlich zu einer Lösung fand. Und auch das erst, nachdem dem Präsidenten aus Nikosia mit klaren Worten vor Augen geführt wurde, dass die beiden größten Banken seines Landes pleite seien und ohne die Hilfe der europäischen Zentralbank ihre Schalter nicht mehr öffnen würden. „Anastasiadis schien den Ernst der Lage in seinem Land noch immer nicht verstanden zu haben“, erinnert sich ein Teilnehmer.

Oder aber er pokert besser als Schäuble.

Noch am vergangenen Freitag hatte er versichert, die Bankguthaben blieben unangetastet – um dann am Samstag mit einer Vereinbarung aus Brüssel heimzukehren, die auf das Gegenteil hinauslief. Das „Nein“ hat ihm sein Parlament abgenommen. Nun könnten abermals die Forderungen des IWF auf den Tisch kommen, die Bankeigner mit einem sogenannten „Bail-In“ zu beteiligen. Bei einer solchen Lösung würden die Anteilseigner der Banken das benötigte Kapital aufbringen müssen, nicht jene, die dort nur ihr Geld deponieren.

Aus europäischer Sicht ist Zypern kein systemrelevanter Teil des Bankengeflechts. Die Insel könnte sich eine neue Währung geben, ohne dass allzu große Abschreibungen im Euroraum vorgenommen werden müssten. Allerdings setzt das voraus, dass die Filialen zyprischer Banken in Griechenland gegen die Pleite abgeschirmt werden. Acht Prozent der griechischen Einlagen, die bei zyprischen Banken bilanziert sind, müssten neue Eigentümer finden.

Aber nicht nur in Berlin, Athen und anderen europäischen Hauptstädten wurde die Entwicklung in Nikosia am Dienstag genau verfolgt. Der russische Präsident Wladimir Putin war der Erste, zu dem Anastasiadis telefonisch Kontakt suchte. Putin hatte die geplante Zwangsabgabe als „gefährlich und unprofessionell“ kritisiert. Die Empörung kommt nicht von ungefähr – zu den ausländischen Anlegern auf Zypern zählen vor allem auch Russen.

In einem Nebensatz sagte Premier Dmitri Medwedew in Moskau allerdings auch, es sei „grundsätzlich wünschenswert“, dass das Geld russischer Staatsbürger in Finanzinstituten in der Heimat angelegt werde – ein kaum misszuverstehender Fingerzeig an die Steuerflüchtlinge, die Zypern zu ihrem Domizil gemacht haben.

Noch am Dienstag brach Zyperns Finanzminister Sarris nach Moskau auf. Bei den Gesprächen dort dürfte er darum bitten, die Laufzeit für einen russischen Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu verlängern und die Zinsen zu senken. Dass sich Moskau dazu tatsächlich bereit erklärt, gilt an einem Tag, an dem überall Rechnungen mit Unbekannten aufgestellt werden, nicht als völlig ausgeschlossen. Denn Sarris kommt nicht nur als Bittsteller. Er hat auch was.

Schließlich verfügt die Regierung in Nikosia über Daten, an denen auch Medwedew sehr interessiert sein dürfte – Angaben über die Bankkonten russischer Staatsbürger. Und Zypern hat Erdgas. Es ist noch nicht erschlossen. Aber Russland könnte sich fragen, warum es ein Land fallen lassen soll, das bald sehr reich sein dürfte.

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