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Vielfältiges Erbgut. Insgesamt 88 Millionen Varianten haben Forscher des „1000-Genome-Projekts“ in den DNS-Bausteinen des Menschen entdeckt.

© Science Source, Mauritius Images

"1000-Genome-Projekt": Lauter kleine Unterschiede

Sieben Jahre lang hat das „1000-Genome-Projekt“  DNS entziffert und das Erbgut von 2500 Menschen studiert. Erkenntnis: Ein paar Gene sind überflüssig.

Ob es nun jemand aus Nairobi, aus Rio oder ein Urberliner ist, der seine Abstammung bis in die Eckkneipe der ersten wendischen Siedlung zurückverfolgen kann – so unterschiedlich Menschen äußerlich und in ihrem kulturellen Gebaren auch sein mögen, in ihren Zellen unterscheidet sich ihr Erbgut nur an durchschnittlich vier bis fünf Millionen Stellen. „Nur“, betont Jan Korbel. Denn bei drei Milliarden Bausteinen, aus denen sich das menschliche Erbgut zusammensetzt, sind fünf Millionen Unterschiede so wenig, dass über 99 Prozent des Erbguts bei allen Menschen identisch sind.

Viele Genvariationen machen keinen Unterschied

„Das bestätigt die Theorie, dass alle heute lebenden Menschen von einer relativ kleinen Gruppe aus Afrika abstammen“, sagt der Forscher von den Europäischen Molekularbiologielabors EMBL in Heidelberg. Dennoch sind es die Unterschiede, die Korbel und hunderte seiner Kollegen interessieren, die seit sieben Jahren im Rahmen des „1000-Genome-Projekts“ das Erbgut von 2504 Menschen aus 26 Populationen studiert haben. Die Ergebnisse stellen sie jetzt im Fachblatt „Nature“ vor.

Die Variationen einzelner Buchstaben im Erbgutcode oder der Umbau ganzer DNS-Abschnitte kann mal harmlos und mal Ursache für Krankheiten sein. „Viele Variationen, die wir gefunden haben, insgesamt 88 Millionen, machen möglicherweise gar keinen Unterschied, weil sie nicht in Genen oder anderen wichtigen Erbgutregionen liegen“, sagt Korbel. „Sehr überrascht“ habe ihn jedoch, dass im Erbgut mancher Menschen einzelne der rund 20 000 Gene des Menschen komplett fehlen können, ohne dass die DNS-Spender einen erkennbaren Nachteil dadurch hätten. Insgesamt 200 solcher „verzichtbarer“ Gene entdeckte das Konsortium. Für Ärzte, die im Erbgut ihrer Patienten nach der Ursache für die Symptome ihrer Patienten suchen, sei es wichtig zu wissen, dass Mutationen in diesen Genen wohl eher nicht infrage kommen.

200 verzichtbare Gene - je nach Umwelt

„Diese Gene spielen eine Rolle im Immunsystem und sind zum Beispiel an der Erkennung von Antikörpern beteiligt“, sagt Korbel. Im Normalfall sind sie zum Überleben nicht nötig, wohl aber, wenn jemand krank wird. „Es sind Gene, von denen wir vorher schon wussten, dass sie zwischen Menschen sehr variieren können, dass so viele von ihnen aber komplett fehlen können, haben wir nicht erwartet.“ Erklären lasse sich das damit, dass Menschen aus unterschiedlichen Regionen unterschiedlichen Krankheitserregern ausgesetzt sind, so dass bestimmte Gene bei dem einen wichtig, bei anderen unnötig sind.

Ein zweites Mal wurden die Forscher überrascht, als sie sich einen bestimmten Mutationstyp genauer ansahen. Unter den 88 Millionen Erbgutvarianten fanden sie auch etwa 60 000, bei denen große DNS-Stücke verloren gingen (Deletion), an andere Orte im Erbgut versetzt (Translokation) oder in der Leserichtung umgedreht wurden (Inversion). „Solche Inversionen sind schon lange bekannt, aber bislang konnten wir sie noch nie in vielen Menschen studieren“, sagt Korbel. Ein Problem, denn Inversionen können Krebs oder Erbkrankheiten wie die Bluterkrankheit auslösen. Das Konsortium habe erst technische Schwierigkeiten lösen müssen, die damit zusammenhängen, dass beim Erbgutsequenzieren normalerweise nur kleine DNS-Stücke entziffert werden können, um dann vom Computer zusammengesetzt zu werden. Um Inversionen studieren zu können, mussten jedoch lange DNS-Stücke komplett entziffert werden. „Jetzt können wir bis zu 20 000 Bausteine große DNS lesen.“

Beim Kopieren der DNS geht manchmal alles durcheinander

Dabei erkannten die Forscher, dass bei einer Inversion viel mehr passiert, als dass nur ein Stück DNS gedreht wird. „Das Umdrehen ist nur sehr selten exakt, an den Grenzen werden Bausteine wiederholt oder gehen verloren“, sagt Korbel. „Das Enzym, dass die DNS vor einer Zellteilung verdoppelt, macht vermutlich Fehler, springt in die falsche Richtung, auf den falschen Strang der Doppelhelix, und bringt so alles durcheinander.“

Solche Ergebnisse des 1000-Genome-Projekts dienen zunächst der Grundlagenforschung, dem besseren Verständnis der Krankheitsentstehung. Doch bereits jetzt hilft die öffentlich zugängliche Datenbank, in der die Genomdaten gespeichert werden, auch in der kliniknahen Forschung. „Praktisch keine humangenetische Analyse kommt noch ohne die Unterstützung unserer Datenbank aus“, sagt Korbel. Wenn Krebsforscher zum Beispiel das Erbgut von hunderten von Patiententumoren analysieren, um erbliche Krebsrisikofaktoren aufzuspüren, dann brauchen sie nicht alle drei Milliarden Bausteine entziffern. Viel kostengünstiger und effektiver ist es, nur einige wenige, charakteristische Mutationen nachzuweisen und dann mit den Daten des 1000-Genome-Projekts zu vergleichen. Denn ein paar charakteristische Bausteinabfolgen in einer riesigen Genregion reichen, um abzuleiten, wie der restliche Abschnitt aussieht. So wie ein paar Fahnen schnell erkennen lassen, in welchem Land man sich befindet. Deshalb erleichtert die Arbeit des Konsortiums die Suche vieler Forscher nach Genvarianten, die Diabetes, Schizophrenie oder andere Krankheiten beeinflussen.

Nur Exil-"Deutsche" wurden sequenziert

Das war nur möglich, weil sich die anonymen DNS-Spender dazu bereit erklärt haben, ihre Gendaten öffentlich einsehbar zu machen, sagt Korbel. Deutsche waren nicht darunter. „Höchstens ehemalige Deutsche, die irgendwann mal nach Amerika ausgewandert sind“, sagt Korbel.

Warum das 1000-Genome-Projekt am Ende über 2500 Menschen sequenzieren konnte? „Die Sequenzierkosten sind während des Projekts so stark gefallen, dass wir uns plötzlich viel mehr leisten konnten, als ursprünglich geplant war.“

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