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Wandlungsfähig. 1968 veränderte die Gesellschaft, die Urania galt plötzlich als verstaubt. Doch sie kam zurück ins Bewusstsein der Stadt.

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125 Jahre Urania in Berlin: Wissenschaft für alle

Sternenkunde, Volksbildung und Propaganda: In den 125 Jahren seit ihrer Gründung hat sich die Berliner Urania immer wieder neu erfunden.

„Urania“ ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie. Sie ist die Muse der Astronomie und der Wissenschaft, die den Mythos überwinden und die Welt verbessern wollte. Doch das gelang nur sehr bedingt. Die Welt wurde verbessert und verschlechtert. Menschen flogen zum Mond und zerstörten die Erde. Mythos wurde zur Wissenschaft und Wissenschaft zum Mythos. Die Berliner Urania hat diesen Prozess begleitet und gestaltet. Sie hat Wissenschaftsgeschichte gemacht und sie der Öffentlichkeit vermittelt. Dies in nunmehr 125 Jahren und in sechs deutschen Staaten: Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Bundesrepublik, DDR und – seit der Wiedervereinigung – in der „Berliner Republik“.

Die Urania-Idee hatte drei Väter: Der Astronom und erfolglose Poet Max Wilhelm Meyer wollte Wissenschaft ins Theater bringen. Der Berliner Professor und Leiter der Sternwarte Wilhelm Foerster wollte Wissenschaft mit Theater verbinden. Der Erfinder und Industrielle Werner von Siemens schließlich beschaffte durch die Gründung einer Aktiengesellschaft das Kapital.

Meyer und Foerster wandten sich 1887 mit zwei Denkschriften an die Öffentlichkeit. Meyer setzte sich durch. Die im Titel enthaltene Frage: „Was soll die URANIA dem Publikum bieten?“ wurde mit „Verbreitung der Freude an der Naturerkenntnis“ beantwortet. Dieser Werbespruch zeigte Wirkung. Vor allem bei Bankiers, Industriellen und anderen Wohlhabenden. Schon im Februar 1888 verfügte die Urania über ein Aktienkapital von 205 000 Mark. Am 3. März 1888 fand ihre Gründungsversammlung statt.

Sogleich wurde mit dem Bau des ersten Urania-Gebäudes in der Invalidenstraße begonnen, auf dem Landesausstellungspark in Berlin-Moabit. Die im Juli 1889 eröffnete Urania beherbergte Abteilungen für Astronomie, Physik, Mikroskopie, Präzisionsmechanik und das „Wissenschaftliche Theater“ Meyers. 1896 zog die Urania in ein neues Gebäude in der Taubenstraße 48–49 um, nur die Sternwarte blieb in der Invalidenstraße.

In der alten Urania referierten die bedeutendsten Wissenschaftler ihrer Zeit und veröffentlichten ihre Forschungsergebnisse in der hauseigenen Zeitschrift „Himmel und Erde“. Forscher führten ihre wissenschaftlichen Experimente auch in der Urania selber durch, auch Besucher konnten wissenschaftlich experimentieren. Ein Konzept, mit dem auch die heutigen Science Center erfolgreich sind.

Die Attraktion der alten Urania war das „wissenschaftliche Theater“. Themen wie „Das Leben in der Urzeit“ oder „Von der Erde bis zum Monde“ wurden in farbenprächtigen, mit elektrischen Lampen angestrahlten Bühnenbildern gezeigt. Seit der Jahrhundertwende bot die Urania außer naturwissenschaftlichen Themen auch Diavorträge zur Erd- und Völkerkunde an – mit selbst entwickelten neuartigen Projektionsgeräten.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten die Vorträge über die Kolonien einen propagandistischen Charakter. Nach dem Kriegsausbruch standen dann explizit „Vaterländische Vorträge“ auf dem Programm, die der „Erweckung und Pflege vaterländischer Gesinnung“ dienen sollten.

In der Nazi-Zeit gab es auch Vorträge zur "Rassenkunde"

Trotz der Unruhen in der Nachkriegszeit stiegen die Besucherzahlen weiter an; 1921 wurden über 300 000 gezählt. Doch dann kam es zur Krise. Die vergleichsweise hohen Eintrittsgebühren konnten viele nicht mehr zahlen, zudem ging man in der Freizeit lieber ins Kino. Die Aktionäre fürchteten um ihre Einlagen und erzwangen 1928 den Verkauf des Gebäudes in der Taubenstraße. Damit wurden die Schulden gedeckt und die Auflösung der Aktiengesellschaft verhindert. Doch die Urania konnte nun keine naturwissenschaftlichen Experimente mehr durchführen und eigene Forschungen betreiben, die zunehmend populärwissenschaftlichen Vorträge fanden in gemieteten Sälen statt.

In der Weimarer Republik hatte sich die Urania als unpolitisch verstanden. Nach dem 30. Januar 1933 aber sah sie sich wie alle Kultur- und Bildungsinstitutionen dem totalen Herrschaftsanspruch des NS-Regimes ausgesetzt. Was die Zeitgenossen „Gleichschaltung“ nannten, sollte Hugo von Abercron, ein verdienter Ballonfahrer, Dr. h.c. und Oberst a.D., exekutieren. Seine Einsetzung als Urania-Leiter wollte Vorstandsmitglied Fritz Anselm Arnheim nicht hinnehmen, er reichte Klage beim Amtsgericht Charlottenburg ein, zunächst mit Erfolg. Doch letztlich wurde Abercron als Vorsitzender bestätigt. Arnheim musste den Vorstand wegen seiner „nichtarischen“ Herkunft verlassen. 1942 ist er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn nach Auschwitz deportiert und dort ermordet worden.

Die „arisierte“ und „gleichgeschaltete“ Urania führte ihren Betrieb in Zusammenarbeit mit der Lessing-Hochschule weiter. Es referierten zwar auch einige Größen des Dritten Reiches, doch beliebter und verbreiteter waren Vorträge über Reisen in nahe und ferne Länder. Hinzu kamen Veranstaltungen zur „Rassenkunde“.

Die Initiative zur Neugründung der Urania ging von dem früheren Mitarbeiter des Reichspropagandaministeriums Otto Hennig aus. In einer Denkschrift rief er dazu auf, Lehren aus der Diktatur, dem von Deutschen entfesselten Zweiten Weltkrieg und der Atombombe der Amerikaner zu ziehen. Die Neubesinnung solle im Geiste Humboldts geschehen. Hennigs Plan wurde von verschiedenen in- und ausländischen Dichtern und Wissenschaftlern, Künstlern und Politikern unterstützt, die neue Urania 1954 mit einem Vortrag über „Wunder und Rätsel der Natur“ eröffnet.

Die Urania betrieb nun Volksbildung in der „Frontstadt des Kalten Krieges“, aber auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau und mit großem Erfolg beim Publikum – bis Ende der 60er Jahre. 1968 hatte die Welt, aber nicht die Urania verändert. Damit verlor sie die junge Generation, die Besucherzahlen gingen bis in die 80er Jahre dramatisch zurück. Doch mit Vorträgen über aktuelle politische Fragen und Probleme der modernen Naturwissenschaft, von der Atomtechnik bis zum Umweltschutz kam die Urania zurück ins Bewusstsein der Stadt, 1988 konnte sie ihr 100. Jubiläum selbstbewusst begehen.

Der Fall der Mauer 1989 und die deutsche Wiedervereinigung 1990 bedeuteten zunächst einmal das Ende einer anderen Urania-Geschichte – in der DDR. Sie hatte 1954 mit der Neugründung der „Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“ im Ostteil Berlins begonnen. Erst 1966 nahm sie den Zusatznamen „Urania“ an. Mit weit über 50 000 Mitgliedern gehörte sie zu den Massenorganisationen. Sie betrieb Volksbildung und Volkspropaganda. Beides mit großem Erfolg. Die Besucherzahlen waren immens. Ende der 70er Jahre waren es schon über zehn Millionen, die jährlich die über 300 000 Vorträge der Urania besuchten. Danach wurden es noch mehr. Besonders beliebt waren die Vortragsreihen über „Weltall-Erde-Mensch“, „Weltpolitik-aktuell“ und „Urania – international“. Seit Mitte der 70er Jahre wurden die Urania-Vorträge auch im Radio und im Fernsehen gesendet. Hörer und Zuschauer konnten über das Telefon Fragen stellen, die dann meist live von Experten beantwortet wurden. Die Urania der DDR ist 1990 aufgelöst worden.

Heute bietet die Berliner Urania neue Erkenntnisse aus allen Wissensgebieten und ein vielfältiges Kultur- und Reiseprogramm. Vorträge zu aktuellen Fragen der Natur- und Geisteswissenschaften, zu Medizin und Gesundheit sowie über andere Länder und Kulturen gehören ebenso zum Programm wie Podiumsdiskussionen, Filme, Führungen, Seminare und künstlerische Darbietungen. Als größtes Programmkino Berlins hat die Urania ein vielfältiges Filmprogramm. Rund 1800 Vereinsmitglieder und über 80 Kooperationspartner unterstützen das ohne staatliche Förderung finanzierte Bildungsangebot.

Der Autor ist Kurator der Ausstellung „Mythos und Wissenschaft – 125 Jahre Urania“, die am heutigen Dienstag um 19 Uhr im Haus An der Urania 17, 10787 Berlin, eröffnet wird. Zuvor hält Wolfgang Wippermann dort um 17.30 Uhr einen Vortrag zum Thema.

Wolfgang Wippermann

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