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Zu normal? Auf dem Campus der Uni Bremen.

© Uni Bremen

40 Jahre Uni Bremen: Wilde Jahre, starke Jahre

Von der einstigen „Roten Kaderschmiede“ wandelte sich die Bremer Universität seit ihrer Gründung 1971 zu einer der großen und anerkannten Unis in Deutschland. Manchen geht die Anpassung zu weit.

„Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“: So reimten 1967 Studenten, um gegen das verkrustete Hochschulsystem zu protestieren. Beeinflusst von der Studentenbewegung, gründete das SPD-geführte Bremen 1971 eine betont demokratische „Reformuniversität“. Zurzeit feiert die Uni gerade mit mehreren Veranstaltungen ihren 40. Geburtstag, zum Beispiel auf einem Empfang des Bremer Senats. Und wer begrüßt vor der Rathaustür die Honoratioren mit Tröten und Transparenten? Eine Schar von 30 linken Studierenden mit dem Motto: „Unter den Talaren: Muff von 40 Jahren!“ Die Unileitung betreibe einen „Ausverkauf der Universität“ an die Interessen der Wirtschaft, darunter gar ein Rüstungslieferant.

Und das an einer Hochschule, die einst als antikapitalistische „Rote Kaderschmiede“ galt. Die Betonburg am Stadtrand mit zunächst 420 Studierenden sollte dem Talar-Muff eine „Wissenschaft im Dienste des Volkes“ entgegensetzen. Die damals noch mitregierende FDP sah schon frühzeitig Verfassungsfeinde am Werk und verließ noch vor der Uni-Eröffnung ihre Koalition mit der SPD.

In der Tat wurde anfangs manchmal mehr über den wahren Weg zur Revolution debattiert als gründlich geforscht. Unionsregierte Länder verweigerten die Anerkennung des Bremer Lehrerexamens, und selbst SPD-geführte Länder stiegen schließlich aus der Mitfinanzierung aus. Besonders hart traf die junge Uni, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sie zunächst nicht in ihre Reihen aufnahm und folglich nicht mit Drittmitteln förderte.

Aber bald kam die Wende. Auf Druck der SPD-Landesregierung wurden neue Professuren mit gemäßigteren Kandidaten besetzt. Die heiß umkämpfte Drittelparität, also die gleichberechtigte Mitbestimmung von Lehrenden, Lernenden und Hauspersonal, wurde nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgeschafft. Und mit dem Antritt von Rektor Jürgen Timm 1982 öffnete sich die Uni verstärkt für die Belange der Wirtschaft.

So entwickelte sich der Stachel im Fleisch des Hochschulwesens allmählich zu einer halbwegs normalen Universität mit heute über 18 000 Studierenden. 1986 wurden die Bremer auch endlich in die DFG aufgenommen. Sie finanziert heute sechs Sonderforschungsbereiche. Bei der Einwerbung von Drittmitteln steht die Uni bundesweit auf einem der oberen Rangplätze. Der einstige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker sprach schon von einem „Wunder an der Weser“. Die Uni gehört heute auf einigen Gebieten zur internationalen Spitzenklasse, etwa in der Geowissenschaft, der Raumfahrt- oder der Hirnforschung. 2006 war sie die einzige norddeutsche Hochschule, die fast zu einer der zehn Elite-Unis ernannt worden wäre.

Manchen Kritikern geht der Wandel allerdings zu weit. Sie beklagen eine Vernachlässigung der Geistes- und Sozialwissenschaften und einen Verrat an den Gründungsprinzipien, vor allem dem der „gesellschaftlichen Verantwortung“. Besonders umstritten: die Tierversuche mit Makaken-Affen und eine Stiftungsprofessur des Satellitenbauers OHB, der auch für die Bundeswehr arbeitet. Aus Sicht der Kritiker ist das ein Verstoß gegen einen Uni-Beschluss von 1986, keine Rüstungsforschung zu betreiben.

Uni-Rektor Wilfried Müller bekannte bei der Feier, dass er 1982 als junger Professor gegen die Öffnung zur Wirtschaft gewesen sei. Nachträglich empfinde er sie aber als „unabdingbar“, um die „äußere Akzeptanz“ zu steigern. Dank einer „Mischung aus Traditionsbewahrung und Lust zur Innovation“ sei die einstige Außenseiter-Hochschule heute „eine der interessantesten und erfolgreichsten mittelgroßen Universitäten Deutschlands“ – mit weiterhin flacher Hierarchie und fächerübergreifender Forschung. Müller bekam freundlichen Applaus. Die wilden Jahre, sie sind in Bremen wohl wirklich vorbei. Eckhard Stengel, Bremen

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