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40 Jahre Wissenschaftszentrum Berlin: Seid politisch!

Beim Festakt im Roten Rathaus forderte Lord Dahrendorf Intellektuelle auf, sich öffentlich einzumischen.

Als „Jungbrunnen der Sozialforschung“ bezeichnete Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse am Dienstag im Roten Rathaus das Wissenschaftszentrum Berlin – und lobte dessen Nachwuchsförderung. Elitär und verstaubt komme das WZB zu seinem 40. Jubiläum jedenfalls nicht daher. Tatsächlich integrierte WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger auch Nachwuchswissenschaftler in den von ihr selbst moderierten Festakt. Von jungen Mitarbeitern referierte Zukunftsvisionen zur Gesundheitsvorsorge, Bildung oder Finanzwelt wechselten sich ab mit Grußworten und Festreden. Für akademische Berliner Festakte unkonventionell auch die musikalische Untermalung: Arien aus Opern und Operetten, vorgetragen von einem eigens aus Wien eingeflogenen Ensemble.

Ausgelassen belacht und beklatscht wurden Visionen wie diese: Im Jahr 2049 gehen Eltern und Schüler im Süden und Südwesten Deutschlands auf die Straße, um auch dort den Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem zu erzwingen. Ansonsten sehen sie sich gezwungen, in die Reformländer umzuziehen, um ihren Kindern optimale Lernbedingungen zu bieten. Den neuen, von der seit 2007 amtierenden Präsidentin Allmendinger eingeführten WZB-Forschungsschwerpunkt „Bildung, Ausbildung und Arbeitsmarkt“ würdigte Bundespräsident Horst Köhler. Aufgabe der Politik sei es, mit guter Bildung für alle Gerechtigkeit zu schaffen. In Deutschland müsse jeder Einzelne für die Gesellschaft gewonnen werden – „durch das Einlösen des Versprechens, dass Aufstieg durch Bildung möglich ist“. Dies setze Wissen voraus, welche Faktoren den Bildungserfolg fördern oder behindern. Geliefert werde dieses Wissen künftig vom Nationalen Bildungspanel, an dem das WBZ maßgeblich mitarbeitet.

Lord Ralf Dahrendorf, langjähriger Direktor der London School of Economics und seit 2005 Forschungsprofessor am WZB, hielt ein Plädoyer für eine neue Rolle der Sozialwissenschaft. Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise, eines „Einbruchs von Strukturen und Mentalitäten“, müssten Sozialwissenschaftler als „öffentliche Intellektuelle“ agieren. Sie sollten eine breite öffentliche Diskussion anregen, die auf eine Änderung der Mentalitäten ziele und „den Weg zu einem Kapitalismus der Verantwortung“ zeige. Es gehe auch darum, das abgehobene Führungspersonal auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen – etwa durch gedeckelte Bonuszahlungen. Wesentlich wären aber „ein Wandel des Zeitgeistes“.

Jutta Allmendinger nutzte den Festakt, um für mehr Unterstützung zu werben. Der Mut, den es verlangte, das WZB 1970 in Berlin zu gründen, wünsche sie sich auch heute: Man tue sich schwer mit neuen Forschungsansätzen, das gelte für ihr Haus ebenso wie für das ganze Land, sagte Allmendinger. An Bundesforschungsministerin Annette Schavan appellierte sie, vor dem Hintergrund des Konjunkturpakets II nicht die Fortsetzung des Forschungspakts und der Exzellenzinitiative aus dem Blick zu verlieren. Beide seien für die Zukunft der Wissenschaft außerordentlich wichtig.

Geehrt wurde auch die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum. Sie erhielt den mit 100 000 Euro dotierten A.SK Social Science Award, den das WZB seit 2007 vergibt. Ausgezeichnet wurde Nussbaum, die in Chicago lehrt, für ihre Arbeiten zum „capabilities“-Ansatz in der Sozialwissenschaft. Danach misst sich Wohlfahrt nicht allein am Einkommen, sondern auch daran, inwieweit es eine Gesellschaft ihren Bürgern ermöglicht, ihre individuellen Potenziale zu entfalten.

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