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Studieren unter deutscher Fahne. Die German University in Cairo (GUC) ist ein Prestigeprojekt der deutschen Bildungs- und Außenpolitik. Eröffnet wurde sie 2003, inzwischen sind 10 000 Studierende eingeschrieben.

© LAIF

Ägypten: Deutsche Uni in Kairo wirft Studierende raus

Die Deutsche Universität in Kairo wirft mehrere Studierende raus, die mehr Sicherheitsmaßnahmen und bessere Studienbedingungen fordern. Die Studierenden kritisieren das demokratische Verständnis des Präsidiums. Dieses rückt die Protestierenden in die Nähe des IS.

Eine „Vermittlerin und Förderin der demokratischen Entwicklung in Ägypten“ – so sieht sich die German University in Cairo (GUC). Mit diesem Anspruch wurde sie vor mehr als zehn Jahren gegründet und so steht es bis heute auf der Webseite der Uni. Die GUC ist die größte Hochschule im Ausland, die von Deutschland finanziell unterstützt wird, ein Prestigeprojekt der deutschen Außen- und Bildungspolitik. Doch in und um die GUC passieren spätestens seit der Revolution in Ägypten vom Januar 2011 Dinge, die nicht zum Selbstverständnis der Uni passen. Politisch aktive Studenten werden mundtot gemacht, nicht mehr zu Klausuren zugelassen – und nun auch rausgeworfen.

Suspendiert wegen "Anstiftung zu Unruhen und Aufruhr"

Der Vorsitzende der Studierendenvertretung, Karim Naguib, wurde vor einigen Tagen wegen „Anstiftung zu Unruhen und Aufruhr“ suspendiert. Acht weitere Kommilitonen, die sich auch in der Studentenvereinigung engagiert hatten, müssen ein bis vier Semester lang Zwangspause machen.

Die GUC will Politik vom Campus fernhalten

„Die GUC will lieber brave Studenten, die nur pauken und sich nicht engagieren“, sagt Nadine Kassab. Die 21-Jährige studierte bis vor Kurzem Management an der GUC und war Vize-Vorsitzende der Studentenvereinigung. Kassab ist wütend auf den Universitätspräsidenten Mahmoud Abdelkader. Tatsächlich scheint die Unileitung seit der Revolution studentisches Engagement nur dann zulassen zu wollen, wenn es darum geht, Freizeit- oder Kulturangebote für die 10 000 Kommilitonen zu organisieren. Das bestätigen universitätsnahe deutsche Kreise in Kairo. Ägyptische Hochschulchefs und insbesondere die der GUC seien der Auffassung, eine Universität sei kein Ort für Politik. Das habe sich seit dem Antritt von General al Sisi als Präsident verschärft, vielerorts seien politisch aktive Professoren und Studierende entlassen und inhaftiert worden.

Massenproteste gab es schon 2012

Nicht zum ersten Mal sieht sich die Leitung der GUC dem Vorwurf ausgesetzt, unverhältnismäßig hart gegen Studenten vorzugehen. Massenproteste löste schon 2012 der Rauswurf zweier Studierender aus. Diese hatten nach dem Tod eines Kommilitonen während Unruhen in Port Said gemeinsam mit anderen Studierenden auf dem Campus gegen den Militärrat demonstriert.

Das GUC-Präsidium machte die Exmatrikulation zwar später rückgängig, beharrte aber auf dem Standpunkt, man „müsse Studenten ein Zeichen setzen, wenn etwas zu weit geht“, wie die damalige Vizepräsidentin sagte. Immer wieder würden Präsidium und die „Student Union“ aneinandergeraten, sagen Insider.

Aktueller Anlass: Ein tödlicher Unfall

Die aktuellen Proteste haben sich an einem tödlichen Unfall entzündet. Im März dieses Jahres wurde eine Studentin am Campus der Universität von zwei Bussen der Hochschule überfahren. Kurz darauf starb Yara Tarik an inneren Blutungen. „Wir wollen studieren, nicht sterben“, riefen hunderte Studierende und forderten mehr Sicherheitsmaßnahmen auf und rund um den Campus.

Und sie forderten eine Trauerzeit für Yara ein, der Lehr- und Prüfungsbetrieb könne nicht einfach so weiter gehen, wenn eine Mitstudentin durch Fahrlässigkeit gestorben ist. Die Aktivisten blockierten Türen zu Hörsälen, in denen Klausuren geschrieben werden sollen, stellten sich davor auf und versuchten, den Prüfungswilligen lautstark klar zu machen, dass sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könnten. Es kam zu hitzigen Wortgefechten und körperlichen Konfrontationen, auch mit dem Unipräsidenten.

In Trauer. Studierende bilden das Wort „Yara“. Das ist der Name der Studentin, deren Tod Proteste auslöste.
In Trauer. Studierende bilden das Wort „Yara“. Das ist der Name der Studentin, deren Tod Proteste auslöste.

© GUC-Insider

Karim Naguib, der suspendierte Sprecher der Studentenvereinigung, schickt ein Video über einen Facebook-Chat. (Das Video kann man hier auf der Webseite der Studierendenzeitung "GUC-Insider" sehen). Es zeigt ihn vor einer schwarzen Limousine. Der Universitätspräsident hat sich in seinem Wagen verschanzt, einige Studenten bitten den obersten Uni-Manager lautstark um ein Gespräch. Sie wollen den Fall Yara Tarik endlich aufarbeiten. Der Präsident will aber nicht mit den Studierenden diskutieren und weist stattdessen seinen Chauffeur an: „Überfahren Sie ihn!“ Schnell versammeln sich hunderte Studierende rund um den Wagen, sie skandieren, dass sie nicht überfahren werden wollen. Präsident Abdelkader muss von seinen Bodyguards aus dem Wagen befreit werden. Die Szene endet im Tumult. Niemand wird verletzt.

Die Unileitung sieht ihr Hausrecht bedroht

Doch die Unileitung sieht ihr Hausrecht massiv bedroht, will eine Trauerzeit nicht zulassen – und keinen Dialog über mehr Sicherheit auf dem Campus und studentische Mitbestimmung. In einem Dossier dokumentiert sie die Aktionen, etwa mit Statements von Studenten, die sich physisch und psychisch bedroht sehen. Die Uni spricht von einem „kriminellen Verhalten einer Kleinst-Gruppe“.

Die Vorwürfe gehen aber weit darüber hinaus: Schon Ende Januar sei vor dem Campus die Hülle eines Sprengsatzes entdeckt worden – mit der Forderung, den Lehrbetrieb einzustellen. Zudem zeige einer der Studierenden die Flagge des „Islamischen Staats“ (IS) als Logo seines Twitter-Accounts. In einer Begründung zu den Rauswürfen wirft die Uni verklausuliert allen Beschuldigten Nähe zu extremistischen Gruppen vor. Es kam zu Anzeigen, drei Studierendenvertreter wurden kurzzeitig inhaftiert.

Nähe zum IS? Das weisen die Studierenden zurück

Die Studierenden weisen die Anschuldigungen empört zurück. Tatsächlich erscheinen die Vorwürfe stark überzogen. So findet sich im Zusammenhang mit dem entschärften Sprengsatz in den ägyptischen Medien kein Hinweis auf die angebliche Forderung, den Lehrbetrieb zu stoppen. Eine IS-Flagge im Twitterlogo eines Nutzers, der den Hashtag #GUC verwendet – was soll das beweisen? Und dass studentische Muslimbrüder auf dem Campus demonstriert haben – auch dafür legt die Unileitung einen Foto-Beleg vor –, rechtfertigt sicher nicht einen pauschalen Extremismusvorwurf gegen alle Studierendenvertreter.

In deutschen Kreisen in Kairo werden die Vorgänge an der GUC mit Kopfschütteln beobachtet. „Das jahrelang unterdrückte studentische Engagement an der GUC fand in den Protesten nach dem tragischen Unfall ein Ventil und die GUC-Leitung ist von vornherein äußerst ungut damit umgegangen“, sagt ein Beobachter. Der Extremismusvorwurf sei typisch für die gegenwärtige Situation in Ägypten: Alle, die sich nicht konform mit dem Sisi-Regime verhielten, würden der Nähe zur Muslimbruderschaft oder zu terroristischen Vereinigungen bezichtigt.

Wie deutsche Stellen auf Klagen der Studierenden reagierten

Unzufrieden sind die GUC-Studierenden seit Langem auch mit ihren Studienbedingungen und der Qualität der Lehre. Sie fordern die Standards ein, die ihnen als zahlenden „Kunden“ versprochen werden. Wer nämlich an der German University studieren möchte, muss tief in die Tasche greifen. Pro Jahr werden an der Uni knapp 10 000 Euro Studiengebühren fällig. An der GUC studieren deshalb vor allem junge Ägypter aus gutem Hause. Auch weil es als wahrscheinlich gilt, dass man mit einem Abschluss von der GUC gute Chancen auf einen Studienplatz für ein Aufbaustudium in Deutschland hat.

Deutschland finanzierte die GUC mit 5 Millionen Euro

Mit fünf Millionen Euro hat Deutschland den Aufbau der GUC mitfinanziert, 2003 eröffneten der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und der damalige ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak die Uni feierlich. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) - der sich seit Jahrzehnten in Ägypten engagiert und Studierendenvertreter seit den Umbruchsjahren unterstützt -, die deutsche Botschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützen die Hochschule. Akademische Partner sind die Universitäten in Ulm und Stuttgart, deren Rektoren auch im Aufsichtsrat der GUC sitzen. Inzwischen hat die GUC auch ein Büro in Berlin.

Die Studierenden sprechen bei deutschen Stellen vor

Die Studenten baten auch bei deutschen Stellen um Unterstützung. Im Büro des DAAD in Kairo hätten sie aber nur einen Rat bekommen: „Entschuldigt euch bei der Universität und beim Präsidenten.“ Nun sind die Studierenden enttäuscht von der „deutschen, akademischen, demokratischen Kultur“, die ihnen eigentlich in der GUC-Werbung versprochen wurde.

Der DAAD widerspricht: Studierende der GUC hätten sich in dieser Sache nicht an die Kolleginnen und Kollegen der Außenstelle Kairo gewandt. Es seien also keine Ratschläge erteilt worden. Aus Diplomatenkreisen heißt es: „Die deutsche Botschaft Kairo hat sich in Gesprächen sowohl mit Studentenvertretern als auch mit der Universitätsleitung für eine Lösung eingesetzt, die die Rechte aller Beteiligten wahrt.“

Der DAAD bedauert die Vorfälle

DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel „bedauert“ die Vorfälle an der GUC. Dem DAAD sei die „Situation der Studierenden nicht gleichgültig, auch wenn wir, wie in dem aktuellen Konflikt, gar nicht beteiligt sind“. Generell würde der DAAD bei internationalen Partnerschaften darauf achten, „dass die Studierenden wie auch die anderen Mitgliedergruppen an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind“. Wintermantel verweist auch darauf, dass die GUC de jure eine private ägyptische Uni ist und inzwischen weitgehend durch die Gebühren und ägyptische Investitionen getragen werde. Von der GUC wollen sich dagegen weder Vertreter in Ägypten noch von den deutschen Partnerunis äußern. Das Büro der Uni in Ulm schickt stattdessen einen Verweis auf das Dossier der GUC-Leitung.

Eine Studentin verlässt die GUC freiwillig

In Kairo wurde unterdessen der gefährliche Bus-Parkplatz vor der Uni, auf dem die Busse oft in Unfälle verwickelt werden, zwar renoviert. Doch die Studierenden sind dennoch nicht glücklich. „Es besteht weiterhin die Gefahr, dass wir dort sterben“, sagt Nadine Kassab. Wie könne es sein, dass so viel für eine Uni bezahlt werden muss, die an der Sicherheit seiner Studierenden spart, fragt sich die zukünftige Betriebswirtin: „Sie behandeln uns wie Dreck.“

Bei den Exmatrikulationen ist Kassab nur deswegen glimpflich davon gekommen, weil sie schon eine Zusage für einen Studienplatz in München bekommen hat. Sie kehrt akademisch der GUC freiwillig den Rücken, will sich aber weiterhin für ihre Mitstreiter engagieren. Sie hofft darauf, dass ihre Kommilitonen irgendwie doch ihr Recht einfordern und ihren Abschluss machen können. Doch in Ägypten gibt es in diesen Zeiten nur selten Gerechtigkeit.

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