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Aus jung wird alt. Die Lebenserwartung steigt immer weiter an. Warum wir überhaupt altern, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Denkbar, dass für den Körper nur eine bestimmte Lebensspanne vorgesehen ist. Jenseits von dieser beginnt das Altern.

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Altern: "Es wäre Verschwendung, ewig zu leben"

"Das Altern ist eine interessante Reise", sagt Tom Kirkwood. Der britische Alternsforscher spricht im Interview über gute Gene, glückliche Ehen und warum Tiere nicht alt werden.

Herr Kirkwood, ich bin jetzt 28 Jahre alt. Wie lang werde ich leben?

Es wäre arrogant, das beantworten zu wollen. Ihre Familiengeschichte ist dafür wichtig, Ihr Lebensstil, die Veränderungen in der Gesellschaft. Aber Sie haben eine gute Chance, 90 zu werden, sogar 95. Mit etwas Glück könnten Sie es sogar bis 100 schaffen.

Mit Glück oder mit guten Genen?

Sie brauchen beides. Der Zufall spielt eine große Rolle. Aber wenn Sie sehr, sehr alt werden, dann haben Sie höchstwahrscheinlich auch Gene, die diese Langlebigkeit befördern. Darum suchen Menschen wie ich entweder unter Hundertjährigen oder wenigstens bei Menschen, die 90 Jahre alt sind, nach Langlebigkeitsgenen.

Gibt es ein bestimmtes Alter, ab dem die Gene entscheidend sind?

Es gibt keine genetische Uhr für das Altern. Der Zufall spielt eine große Rolle. Man sieht das ganz deutlich bei bestimmten Würmern: Da können wir Populationen genetisch absolut identischer Würmer züchten und sie in Flüssigkultur rühren, so dass alle Würmer genau dieselben Lebensumstände haben. Diese Würmer haben ein ungeheuer präzises Entwicklungsprogramm. Bei jedem erwachsenen Tier entstehen genau 959 Körperzellen. Und es gibt eine Mutation bei diesen Würmern, die sie länger leben lässt. Aber wenn Sie dann zwei Populationen nehmen, eine langlebig, eine kurzlebig, in sich jeweils genetisch identisch, dann ist die Lebensspanne eines Individuums dennoch ungeheuer variabel. Also selbst bei diesen Würmern, die eine so genau regulierte Entwicklung haben und die einen starken genetischen Einfluss aufs Altern haben, können Sie die Lebensspanne nicht anhand der Gene vorhersagen. Dasselbe gilt für Menschen.

Sie sind 59 Jahre alt. Wird die Forschung persönlicher, wenn man älter wird?

Eigentlich nicht. Die Sache, die mich am meisten frustriert, ist, was das Altern dem Sehsinn antut. Seit ich zehn bin trage ich eine Brille. Aber jetzt habe ich drei Brillen. Eine Brille zum Autofahren, eine Brille für meinen Schreibtisch, wenn ich Veröffentlichungen lese. Und diese Brille, die bifokal ist. Da den Überblick zu behalten finde ich wirklich nervig. Andererseits ist das Altern eine interessante Reise. Man wird lockerer, ich genieße das Leben tatsächlich mehr. Man hat einen anderen Blick aufs Leben, die Dinge sind interessanter, unterhaltsamer, witziger.

Tom Kirkwood.
Tom Kirkwood.

© privat

Was machen Sie, um alt zu werden?

Ich versuche, mich gesund zu ernähren. Aber ich vermeide auch keine Sachen. Ich esse gerne Steak und Pommes, aber nicht jeden Abend. Ich esse viel Gemüse, viel Fisch. Aber das ist auch die Art Essen, die ich mag. Ich lebe keinen optimalen Lebensstil für ein langes Leben. Weil ich zu viel Druck und Stress habe; ich bin ehrgeizig und getrieben. Man sollte versuchen, relaxter zu sein. Ich lerne, das Leben leichter zu nehmen, und darin werde ich besser, je älter ich werde.

Was sollte ich denn tun, um meine Chancen zu verbessern, 100 zu werden?

Sie sollten Ihren Körper lieben und ihn so behandeln, wie ein Mensch, der sein Auto liebt, es behandelt, es poliert und all diese Dinge. Geben Sie sich den richtigen Treibstoff, machen Sie Sport, schlafen Sie ausreichend, fühlen Sie sich gut. Das Selbstwertgefühl ist sehr wichtig für eine gute Gesundheit. Versuchen Sie, interessiert zu bleiben. Behalten Sie den Wunsch, ein erfülltes Leben zu leben. Stellen Sie weiter Fragen!

Laut Studien sollte ich auch heiraten, oder?

Die vorhandenen Studien zeigen, dass eine Ehe das Leben verlängert. Es sollte aber möglichst eine glückliche Ehe sein. Und wahrscheinlich macht es keinen Unterschied, ob Sie heiraten oder in einer festen Beziehung sind. Eine gesunde Beziehung mit einer anderen Person zu haben, Frustration teilen zu können, das ist gut. Man hat in Studien nur eben verheiratete Menschen und Singles verglichen.

Aristoteles glaubte, dass jeder Geschlechtsverkehr die Lebensspanne reduziere. Ist Enthaltsamkeit auch lebensverlängernd?

Das gilt wohl nur für Fruchtfliegenweibchen. Offenbar injizieren die Männchen mit ihren Spermien auch Stoffe, die den Weibchen schaden. Diese sollen die Spermien von Rivalen schädigen. Für den Menschen gilt aber eher das Gegenteil. Vermutlich verlängert Sex die Lebenserwartung, denn es ist körperliche Anstrengung und gut für die geistige Gesundheit. Auch Kinder zu haben verkürzt das Leben nicht unbedingt. Es gibt eine Studie aus Norwegen, die zeigt, dass die Lebenserwartung von Frauen mit sehr vielen Kindern abnimmt. Das sind dann aber acht oder mehr Kinder. Und so erstaunlich ist das nicht, denn wir wissen, dass eine Schwangerschaft nicht gut ist für die Knochen und die Zähne einer Frau, weil das Kalzium für den wachsenden Embryo abgezweigt wird.

Aber Frauen, die besonders alt werden, sind doch häufiger kinderlos?

Es gibt beim Menschen einen Zusammenhang zwischen der Fruchtbarkeit und der Lebenserwartung. Das liegt vermutlich am Immunsystem. Wenn Sie ein sehr empfindliches Immunsystem haben, dann vergrößert das Ihre Chance, alt zu werden in dieser Welt voller Infektionskrankheiten. Bei einer Frau kann das aber auch die Fruchtbarkeit schmälern, denn um ein befruchtetes Ei im Körper heranreifen zu lassen, muss das Immunsystem gewissermaßen einen Kompromiss eingehen. Eine Frau mag also länger leben, kann aber keine Kinder kriegen, weil ihr Immunsystem besonders scharf ist.

Vor 200 Jahren glaubte man, dass alle Lebewesen irgendwann sterben müssen, weil der Nachwuchs sonst keine Chance hätte, sich durchzusetzen. Das ist doch eine nette Idee.

Sie leuchtet ein: Wenn Lebewesen nicht altern würden, dann wäre die Welt voller Tiere, die allen Platz einnehmen und alles fressen und es gäbe keinen Platz für Wachstum, keine Möglichkeit für neue Generationen zu entstehen. Das ist wirklich eine nette Idee, aber wie so viele attraktive Ideen ist sie grundsätzlich falsch. Das zeigt schon eine einfache Tatsache: In der Natur leben Tiere nicht lang genug, um zu altern. Nur der Mensch hat ein Überbevölkerungsproblem. Tiere in der Wildnis sterben jung. Wenn Sie Mäuse im Labor halten, dann leben sie drei Jahre, vielleicht sogar mal vier Jahre. Aber in der Natur erleben 90 Prozent der Mäuse ihren ersten Geburtstag nicht. Es ist sehr ungewöhnlich für eine Maus in der Wildnis, 18 Monate alt zu werden. Die Natur benötigt also keinen Todesmechanismus, um Überbevölkerung zu verhindern.

Aber es gibt doch auch Tiere, die sehr lange leben?

Allerdings, es gibt Tiere, die sehr lange leben. Aber sie leben eben nicht so lange, dass sie Zeichen des Alterns zeigen. Bei manchen Tieren wird ein kleiner Teil vielleicht alt genug, um alt zu werden. Aber das sind eben nur Ausnahmen, so wenige, dass man Altern nicht als Mechanismus der Bevölkerungskontrolle benötigt.

Warum leben manche Tiere dann länger als andere?

Was ein Organismus zu seinen Lebzeiten macht, ist Folgendes: Er nimmt Nahrung auf, verwandelt sie in Energie und nutzt sie dann, um die Dinge zu tun, die er im Leben tun muss. Und was muss er tun? Er muss wachsen, Nachkommen erzeugen und seinen Körper in Schuss halten und reparieren, weil der ständig geschädigt wird. Die Frage ist also: Wie viel Energie sollte ein Lebewesen in diese Reparatur stecken? Die Antwort: Nur so viel Energie, dass der Körper in gutem Zustand bleibt für die Zeit, die das Lebewesen vermutlich in der Wildnis überlebt. Für eine Maus ist die praktische Grenze also 18 Monate. Die Maus benötigt einen Körper, der 18 Monate lang gut in Schuss ist. Alles darüber hinaus wäre Verschwendung. Das ist die „Disposable-Soma-Theorie“, die ich bereits 1977 aufgestellt habe.

Wir altern also, weil wir länger leben, als unser Körper erwartet hat?

Der Mensch altert, weil der enorme Druck der natürlichen Selektion Organismen geschaffen hat, die nur so viel Energie in ihre Reparaturmechanismen stecken, wie nötig ist, um die zu erwartende Lebenszeit zu überstehen. In einen Körper zu investieren, der ewig leben kann, wäre Verschwendung.

Für die Natur ja, viele Menschen würden da aber sicher gerne investieren. Wird es irgendwann eine Pille zu kaufen geben, die uns viel länger leben lässt?

Das ist schon möglich, doch wahrscheinlich nicht zu unseren Lebzeiten. Einige Pharmafirmen haben da sehr viel Geld investiert. Aber ich glaube, dass der menschliche Körper ohnehin sehr viel Energie in die Reparaturmechanismen steckt. Da ist vielleicht nicht mehr so viel Luft, das noch zu verbessern.

Aber theoretisch könnten wir doch den Körper so beeinflussen, dass er mehr Energie in die Reparaturmechanismen steckt?

Denkbar wäre das. Wir sind jetzt zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in den Ländern der ersten Welt von der Gefahr des Hungerns befreit. Auch in Ländern wie Deutschland und Großbritannien war Hunger vor 200 Jahren noch allgegenwärtig. Selbst Adlige litten darunter, das zeigen Untersuchungen ihrer Skelette. Der Mensch konnte Lebensmittel nicht über lange Zeit speichern und deshalb gab es immer wieder Hungersnöte. Heute haben wir alle Energie, die wir benötigen. Einen Teil davon könnte man vielleicht in die Reparaturmechanismen stecken.

Wäre das denn sinnvoll?

Länger zu leben ist natürlich verlockend. Sicher besser als die Alternative. Aber wir gewinnen doch schon jedes Jahrzehnt zwei Jahre Lebenserwartung hinzu. Haben wir das erfolgreich gemeistert? Nein, wir passen uns furchtbar schlecht an.

Und träumen trotzdem vom ewigen Leben.

In den USA erschien vor einiger Zeit ein Buch über das Altern. Die These war: Wenn die Alternsforschung so schnell fortschreitet, dass wir jedes Jahr mehr als ein Jahr Lebenserwartung hinzugewinnen, dann haben wir die Fluchtgeschwindigkeit erreicht. Das Buch war ein Aufruf, das zu forcieren, damit wir nicht eine der letzten Generationen sind, die sterben. Ich fand das furchtbar böse.

Warum böse?

Überlegen Sie mal, wie das bei Menschen ankommt, die sich tatsächlich mit den Realitäten des Älterwerdens herumschlagen. Da gibt man sich einer Fantasie hin, die von den realen Problemen ablenkt. Wir müssen die Fortschritte in der Altersforschung nutzen, um die Lebensqualität in den letzten Jahren zu verbessern.

Was muss denn überhaupt repariert werden?

Seit Jahren gibt es gegnerische Gangs auf dem Gebiet der Alternsforschung. Die eine sagt: Altern entsteht durch DNS-Schäden, und eine andere Gang sagt: Nein, das ist alles auf Schäden der Mitochondrien zurückzuführen, die Kraftwerke der Zelle. Und dann gibt es eine weitere Gruppe, die meint: Nein, nein, nein, es geht um Eiweiße, die mit dem Alter verklumpen. Aber die Logik der Disposable-Soma-Theorie sagt: Ein einziger Mechanismus ist Unsinn. Vermutlich werden alle möglichen Schäden sich ansammeln.

Und wenn der Körper sie nicht repariert?

Der Körper kann defekte Zellen zerstören, indem er sie in den Selbstmord schickt. Oder sie hört einfach auf, sich zu teilen. Die Zelle zu zerstören ist wohl die sicherste Alternative, aber wenn wir älter werden, haben alle Zellen Schäden. Wenn der Körper sie zerstören würde, würden wir schnell verschwinden. Wir würden einfach zu nichts zusammenschrumpfen. Andererseits sollen solche Zellen sich auch nicht weiter teilen, denn dann können sie entarten und Tumoren entstehen. Also werden sie einfach eingerastet. Als würde man sie in einen Raum sperren, abschließen und den Schlüssel wegwerfen. Das ist Altern.

Stillstand?

Wenn Sie zu viele Zellen haben, die in diesem Altersruhestand sind, dann wird es schwierig, die Zellzahl beizubehalten. Sie können sich das vorstellen wie beim Tüv. Der Körper ist wie der Prüfer bei der Inspektion, der das Auto untersucht und sagt: da liegen Fehler vor, das Auto darf nicht mehr gefahren werden. Der Unterschied ist nur, dass ein Auto, das nicht mehr gefahren werden kann, überhaupt keinen Sinn mehr hat. Eine Zelle, die sich nicht mehr teilt, kann aber immer noch wichtige Funktionen ausführen.

Das Gespräch führte Kai Kupferschmidt.

Tom Kirkwood (59) erforscht das Altern. Er studierte Mathematik und Biologie in Oxford und Cambridge und ist seit 1999 Direktor am Institut für Altern und Gesundheit in Newcastle.

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