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Riesiges Ölfeld

© dpa

Alternative Energien: Versteckte Reserven

Forscher des Geoforschungszentrums Potsdam meinen, dass noch nicht überall im Boden nach Erdgas gesucht wurde. Gas aus Tonsteinen soll die Energieversorgung sicherer machen. Die Ölfirmen schicken ihre Vertreter nach Potsdam, um mehr über das so genannte Shale-Gas zu lernen.

Könnte Deutschland demnächst unabhängig von Erdgaslieferungen aus Russland sein, weil der Energieträger massenhaft unter unseren Füßen ist? Soweit würde Hans-Martin Schulz vom Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ) nicht gehen. "Es ist aber gut möglich, dass zumindest ein Teil des Gasbedarfs aus heimischen Quellen gedeckt werden kann."

Der Geologe hat nicht etwa ein riesiges Gasfeld entdeckt, das von den übers Land ziehenden Erkundungstrupps übersehen wurde. Er denkt an einen ganz anderen Lagerstättentyp, einen der in Europa bislang nicht genutzt wurde und in Rohstoffprognosen unter der Rubrik "ungewiss und zu teuer" auftaucht. "Shale-Gas" nennen es die Fachleute, was so viel wie "Gas aus Tonschiefer" heißt. "In herkömmlichen Lagerstätten ist das Erdgas in porösen Sand- oder Kalksteinen gespeichert", sagt Schulz.

Aufgrund der Energiepreise wird das Shale-Gas interessant

Aus diesen Schichten kann es relativ leicht abgepumpt werden. Shale-Gas hat den Weg in die Speichergesteine noch nicht geschafft, es steckt nach wie vor in jenen Sedimenten, wo es aus abgestorbenem Meeresplankton gebildet wurde: dichte Tonsteine. Um das Gas dort herauszubekommen ist mehr Aufwand nötig, den die Ölfirmen bislang scheuten. "Mit den steigenden Preisen für Energierohstoffe wird Shale-Gas auf einmal interessant", sagt Schulz.

Und nicht nur die Preise spielen eine Rolle: Etwa die Hälfte der weltweiten Erdgasreserven, die in den klassischen Lagerstätten gespeichert sind, befinden sich in Russland und dem Iran – Staaten, deren Außenpolitik nicht immer vorhersehbar ist. Deshalb trafen sich am gestrigen Mittwoch etwa 100 Wissenschaftler aus aller Welt in Potsdam, um zu diskutieren, wie Shale-Gas-Vorkommen genutzt werden können. Die Forschungen unter Leitung der GFZ-Wissenschaftler Hans-Martin Schulz und Brian Horsfield sollen sich zunächst auf die europäischen Lagerstätten konzentrieren.

Forscher schätzen 15 Billionen Kubikmeter unter dem Kontinent

Ersten Schätzungen zufolge lagern allein unter unserem Kontinent etwa 15 Billionen Kubikmeter Shale-Gas. Das ist rund sechsmal so viel wie Europas größtes "klassisches" Gasfeld unter dem niederländischen Groningen beinhaltet und würde theoretisch ausreichen, um den Bedarf Berlins knapp 1000 Jahre lang zu decken. Doch wo genau die Ölfirmen die Förderbohrungen ansetzen müssen, ist unklar. "Wir suchen ehemalige Meeresbecken, an deren Grund kein Sauerstoff vorhanden war, ähnlich wie heute im Schwarzen Meer", sagt der Geologe Schulz. Wenn unter solchen Bedingungen abgestorbenes Plankton zu Boden sinkt und von Sedimenten bedeckt wird, entsteht schwarzer Faulschlamm. Im Lauf der Erdgeschichte bildet sich aus dieser Masse Tonstein – und Erdgas. Diese Schichten müssen die Geologen finden.

"In Südschweden und an der polnischen Ostseeküste haben zwei Ölfirmen bereits entsprechende Tonsteine angebohrt", berichtet Schulz. Auch in Norddeutschland gebe es vielversprechende Schichten, die allerdings in mehreren 100 Metern Tiefe liegen. In Zusammenarbeit mit den staatlichen geologischen Diensten anderer europäischer Länder wollen die Forscher jetzt herausfinden, wo es noch weitere Lagerstätten geben könnte. Klar ist: Die Tonschichten müssen mindestens 30 Meter dick sein, damit sie so viel Gas bilden können, dass sich kilometertiefe und somit mehrere Millionen Euro teure Bohrungen rentieren.

Alle große Ölfirmen haben Vertreter nach Potsdam geschickt

"Wir wollen aber nicht nur wissen, wo das Gas ist, sondern auch, wie man es fördern kann", sagt Schulz. Einige Erfahrungen gibt es bereits von Lagerstätten in Nordamerika, wo Shale-Gas mittlerweile einen Anteil von fünf Prozent an der Gesamtförderung erreicht. Bis die Bohrungen tatsächlich liefern, dauert es einige Wochen. "Anders als bei klassischen Lagerstätten, wo das Gas in kleinen Hohlräumen sitzt, ist es in Tonsteinen meist chemisch an organische Bestandteile gebunden", erklärt der Geologe. Und in den kleinen Hohlräumen befindet sich Wasser. Wird die Schicht angebohrt, fließt dieses in das Loch. "Wenn eine ausreichend große Menge Wasser abgepumpt wird, sinkt der Druck im Gestein", sagt Schulz. Dann löst sich das Gas und strömt ebenfalls zum Bohrloch. Doch das dauert einige Tage oder Wochen.

"Das ist offenbar einer der Gründe dafür, warum man bislang so wenig Lagerstätten für Shale-Gas entdeckt hat", vermutet der Geoforscher. Die Suchtrupps wussten jahrzehntelang nicht, dass es besser gewesen wäre, die Erkundungsbohrungen Monate später erneut zu kontrollieren. Nun aber ist klar, dass es weit mehr Gas im Untergrund gibt als bisher vermutet. Die großen Ölgesellschaften haben das Potenzial jedenfalls entdeckt: Alle haben ihre Vertreter nach Potsdam geschickt. Schulz hofft dass er die Firmen überzeugen kann und diese das Forschungsprojekt finanzieren. Je nachdem wie umfangreich es aufgelegt wird, seien einige Millionen Euro pro Jahr nötig. Aber er ist sicher: "Langfristig zahlen sich die Investitionen garantiert aus."

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