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Antarktis: Gletscherwanderung

Eine Karte zeigt, wie schnell das Eis der Antarktis fließt. Sie soll auch Klimamodelle verbessern.

Grönland, die Gletscher des Himalajas und die Antarktis gehören zu den großen Unbekannten der Klimamodellierer. Zu wenig wissen sie darüber, wie die gewaltigen Eismassen auf steigende Temperaturen reagieren. Mit Schmelzen, das ist klar. Aber in welchem Tempo, welche Gletscher schwinden rasch, welche bleiben bestehen, wie hoch steigt denn nun der Meeresspiegel?

Solche Fragen lassen sich bislang nur schwer beantworten. Einen wichtigenFortschritt gibt es nun für die Antarktis. Forscher um Eric Rignot von der Universität von Kalifornien in Irvine haben eine Karte erstellt, auf der präzise dargestellt ist, wie schnell sich die Eismassen bewegen. Solche Studien, die wichtigeHinweise auf die Entwicklung des Eises geben, beschränkten sich bisher vor allem auf gut erreichbare küstennahe Gletscher sowie auf Eisplatten, die auf dem Wasser schwimmen, das Schelfeis.

Im Landesinneren sind die Bedingungen einfach zu harsch für detaillierte Untersuchungen.Folglich sei die Fließgeschwindigkeit des Eises lediglich für ein Viertel des Kontinents einigermaßen genau bestimmt worden, schreibt das Team um Rignot in der Onlineausgabe des Fachjournals „Science“. Die Forscher kombinierten daher Daten von europäischen, kanadischen und japanischen Radarsatelliten, die von 2007 bis 2009 erhoben wurden. Damit lassen sich erstmals die Bewegungen des Eisschildes auf dem gesamten Kontinent nachzeichnen. „Wir waren überrascht, wie weit sich Bewegungsmuster des Eises an der Küste bis ins Landesinnere verfolgen lassen“, sagt Bernd Scheuchl, einer der beteiligten Wissenschaftler.

Auf der Karte sind die verästelten „Zuflüsse“ der großen Gletscher klar auszumachen, sie reichen teilweise mehrere hundert Kilometer weit ins Innere des Kontinents. Anders als die üblichen Antarktisdarstellungen aus dem Atlas vermuten lassen, auf denen ein kaum untergliederter weißer Fleck zu sehen ist, ist die Eiskappe um den Südpol kein starrer Block. Wie ein Gebirgsgletscher folgen auch die antarktischen Eis- und Schneemassen der Schwerkraft und fließen talwärts. Ihre Geschwindigkeit reicht von wenigen Zentimetern bis zu einigen Kilometern pro Jahr, berichten die Wissenschaftler.

Am schnellsten fließen der Pine-Island- und der Thwaites-Gletscher, die in den Pazifik münden. Sie erreichen mehrere Kilometer pro Jahr, die übrigen Gletscher kommen auf rund 250 Meter, sagt die Statistik. Wie schnell das Eis strömt hängt maßgeblich davon ab, wie steil das Gelände ist und wie viel Schnee im oberen Teil niedergeht und zu Tal drängt. Aber auch die Gestalt des Untergrundes beeinflusst die Geschwindigkeit. Das zeigte sich, als die Forscher die Eisflusskarte über ein Höhenmodell der Antarktis legten. An Gebirgsrücken stockt die Bewegung, die Massen quälen sich durch die vorhandenen Täler. Je enger sie sind, desto schneller fließt das Eis. Dieser Effekt lässt sich etwa am Lambert-Gletscher beobachten, der zum Indischen Ozean strömt. Andererseits werden die Eisströme langsamer, wenn sich die Täler weiten.

Die Informationen über die verborgenen Gebirge sind allerdings noch ziemlich lückenhaft. „Die Topografie des Untergrundes wird mithilfe von Bodenradargeräten erkundet, die auf Schlitten oder Flugzeugen montiert sind“, berichtet Scheuchl. Angesichts der oft rauen Bedingungen auf dem riesigen Kontinent können die Messungen nur kleine Gebiete abdecken. „Von einer genauen Bodentopografiekarte der gesamten Antarktis sind wir noch weit entfernt“, stellt er fest. Für Gebiete, die bereits genauer erforscht wurden, können die Forscher nun weitere Zusammenhänge herstellen.

Vom Recovery-Gletscher, der sich verhältnismäßig nahe am Südpol befindet, ist bekannt, dass seine Basis bis unter Meeresspiegelniveau reicht und er wahrscheinlich auf Meeressedimenten gleitet. Dieses Material wird als Schmiermittel erachtet, das den Eisstrom schneller macht. Eine Vermutung, die anhand der Radarmessungen deutlich belegt wird. Sowohl der Gletscher als auch seine Zuflüsse sind ziemlich flott unterwegs. Das bekanntere Schmiermittel ist flüssiges Wasser. Die damit verbundene Befürchtung: Im Zuge des Klimawandels dringt massenhaft Schmelzwasser durch Spalten an den Grund der Gletscher und beschleunigt sie. Gerade die Eismassen der Antarktis und Grönlands könnten somit schneller ins Meer gelangen und den Wasserspiegel drastisch erhöhen.

So einfach ist es aber doch nicht, wie unlängst eine Studie in Grönland zeigte. Dort glitt das Eis in warmen Sommern zwar schneller, doch die „Rutschphase“ währte kürzer als sonst, was den Effekt schmälerte. Offenbar wurden von den Wassermassen Drainagekanäle geöffnet, durch die das Schmiermittel rasch abfloss. Auch in der Antarktis machte Rignots Team eine unerwartete Beobachtung. Der unter dem Eis gelegene Wostok-See, der größte seiner Art auf dem antarktischen Kontinent, beschleunigte den Fluss des Eises an der Oberfläche nur um einige Meter pro Jahr.

Auswirkungen auf weiter entfernte Gebiete fanden die Forscher wider Erwarten nicht. Mit der Veröffentlichung der Karte endet die Arbeit aber nicht, sie hat gerade erst begonnen. Indem die Wissenschaftler die Bewegungsmuster des Eises mit Wetterdaten verknüpfen, können sie herausarbeiten, wie die weiße Wüste auf Erwärmung reagiert. Solche Informationen wiederum helfen Klimamodellierern, ihre Prognosen etwas genauer zu machen.

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