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Unter dem Eis der Antarktis wurden bisher gut 100 Seen nachgewiesen. Einer davon ist der Wostok-See.

© dpa - Bildfunk

Antarktis: Russland hat angeblich den Wostok-See angebohrt

Der See in rund vier Kilometern Tiefe enthält womöglich fossiles Leben. Das Anbohren ist jedoch umstritten, weil das eisige Ökosystem kontaminiert werden könnte.

Der Wostok-See unter dem antarktischen Eispanzer beflügelt seit jeher die Phantasie der Wissenschaftler. Er ist seit schätzungsweise 15 bis 20 Millionen Jahren mehr oder weniger von der Umgebung isoliert. Gut möglich, dass sich dort unten eine Lebenswelt erhalten hat, die einen einzigartigen Blick in die Vergangenheit erlauben würde. Daher starteten russische Forscher vor gut 20 Jahren den – umstrittenen – Versuch, diesen See in fast vier Kilometern Tiefe anzubohren.

Nun ist das offenbar gelungen. Am Sonntag hätten die Forscher bei 3768 Metern Tiefe die Bohrung eingestellt, weil sie die Oberfläche des Sees erreicht hätten, zitiert die russische Nachrichtenagentur Ria-Novosti einen namentlich nicht genannten Wissenschaftler. Eine offizielle Bestätigung, etwa durch das federführende Institut für Arktis- und Antarktisforschung in St. Petersburg, gibt es bisher noch nicht.

Wahrscheinlich ist es allerdings, denn im vergangenen Februar mussten die Forscher keine 50 Meter vor dem Ziel aufhören und die „Wostok“-Station verlassen, weil der antarktische Winter begann. Seit Januar wird wieder gebohrt.

„Selbst wenn sie es nun geschafft haben, zum See vorzudringen, werden sie noch keine Proben nach oben holen können“, sagt Frank Wilhelms vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI). Der Plan sah vor, an den Grund des Bohrlochs Silikonöl zu bringen und mit einem Unterdruck zum See weiterzubohren. Sobald der Durchbruch gelingt, sollte das Wasser aufgrund seines hohen Drucks ins Bohrloch gelangen und dort gefrieren. Später würde man dann Eisproben gewinnen. Da es mittlerweile Februar geworden ist und abermals der Winter bevorsteht, dürfte es den Russen wohl erst in der nächsten Geländesaison im Dezember gelingen, diese Proben ans Licht zu holen.

Die am Wostok-See eingesetzte Methode ist nach Ansicht von Wilhelms und vieler anderer Forscher riskant. „Die meiste Strecke wurde mit normalen Eiskernbohrern zurückgelegt, wobei in das Loch unter anderem Kerosin und andere Chemikalien gebracht wurden, um ein Einfrieren zu verhindern“, berichtet er. Beim Durchstoßen der letzten Eisbarriere sei nicht auszuschließen, dass diese Stoffe sowie Mikroben aus der „Jetzt“-Welt in die fossile Lebensgemeinschaft eingeschleppt werden. „Eine weitere Gefahr besteht darin, dass der Wostok-See mit anderen Süßwasserreservoiren unter dem Eis verbunden ist“, sagt Wilhelms. „Auf diesem Wege könnten auch andere Seen kontaminiert werden.“

Proben aus dem See könnten Hinweise bringen, unter welchen Extrembedingungen Leben entstehen kann

Der See unter dem Eis.
Der See unter dem Eis.

© Tagesspiegel

Er favorisiert daher die „Heißwasserbohrung“. Dabei schmilzt sich ein Schlauch, aus dem abgekochtes und gefiltertes Schmelzwasser strömt, in die Tiefe. Mittels starker Pumpen wird der Wasserspiegel im Bohrloch niedrig gehalten, damit bei einem Durchbruch das Wasser aus dem See nach oben steigt – und nicht umgekehrt. Da bei diesem Verfahren ausschließlich geschmolzenes Eis verwendet wird, gelange schlimmstenfalls nicht "mehr Dreck in den See als ohnehin im darüber liegenden Eis enthalten ist", erläutert Wilhelms. Das mache die Methode sicherer. Sie werde darum beispielsweise von den Engländern benutzt, die derzeit zum Lake Ellsworth vordringen wollen.

Welche neuen Erkenntnisse der Wostok-See liefern wird, ist noch offen. Nur wenig ließ sich bislang über das tiefe Reservoir sagen. "Er wurde vor schätzungsweise 15 bis 20 Millionen Jahren von Eis bedeckt und ist seitdem nahezu isoliert von der Außenwelt", sagt Christoph Mayer von der Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Seine Modellierungen hätten gezeigt, dass es auch nach dem Einschluss zu einem teilweisen Wasseraustausch kam. "Eis von oben ist hineingeschmolzen, überschüssiges Wasser dann durch Kanäle in andere Seen gelangt", beschreibt er. Demzufolge müsse das Wasser im See etwas jünger sein. Wie alt genau, das wisse man noch nicht.

Tatsächlich scheint das Drainagesystem regelmäßig große Mengen Wasser im eisigen Untergrund zirkulieren zu lassen. "Messungen an der Oberfläche zeigen, dass einzelne Gebiete des Eisschildes kurzfristig um bis zu einem Meter gehoben und gesenkt werden", berichtet der AWI-Forscher Wilhelms. "Das lässt vermuten, dass die Seen Wasser austauschen."

Nun warten die Forscher gespannt, ob die Proben aus dem Wostok-See womöglich Mikroben enthalten. Sie könnten ein Hinweis darauf sein, unter welch extremen Bedingungen Leben entstehen und bestehen kann. Vielleicht auch auf anderen Himmelskörpern wie dem Jupitermond Europa.

Diese Gedankenspiele setzen allerdings voraus, dass die Lebewesen tatsächlich aus dem verborgenen See stammen und nicht von außen eingeschleppt wurden.

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