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Steinzeitvilla mit Meerblick. In dieser Höhle am „Pinnacle Point“ entdeckten Forscher viele Hinweise auf eine hoch entwickelte Kultur der damals noch jungen Menschheit. Vermutlich fand sie in dieser Region Schutz vor den Folgen starker Klimaänderungen.

© Nature/Erich Fisher

Anthropologie: Zuflucht im Süden Afrikas

Heftige Klimaänderungen dezimierten unsere Vorfahren bis auf wenige hundert Erwachsene. Sie überlebten vermutlich in der Kap-Region. Dort fanden sie auch in Krisenzeiten genügend Nahrung.

Die Wiege der Menschheit stand vor etwa 200 000 Jahren in Afrika, darüber sind sich die sonst so diskussionsfreudigen Frühmenschenforscher erstaunlich einig. Bis zur modernen Zivilisation des 21. Jahrhunderts musste Homo sapiens aber noch einige Klippen überwinden. Die Spur der schwersten Krise finden Wissenschaftler im Erbgut heute lebender Menschen. Dort sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Individuen viel geringer als bei anderen Arten. Daraus folgern sie, dass die junge Menschheit vor einigen Jahrtausenden nur noch aus allenfalls wenigen hundert Erwachsenen bestand. Eine Katastrophe scheint die Art beinahe ausgelöscht zu haben, viele Forscher sehen einen Zusammenhang mit den kältesten Phasen der Eiszeit. Die wenigen Überlebenden könnten damals an den Küsten des Indischen Ozeans im Süden Afrikas Zuflucht gefunden haben, vermutet Curtis Marean von der Arizona State University in Tempe.

Das Eiszeitklima hatte damals auch in weiten Teilen Afrikas die Niederschläge reduziert und es gab lange Dürreperioden. An der Küste im Süden wuchs dagegen die gleiche üppige Vegetation, die noch heute für die Kap-Region typisch ist. Außerdem sammelten die Menschen bei Ebbe Muscheln, Meeresschnecken und Krebse, um ihren Speiseplan zu ergänzen. Das spreche für ein „Überwintern“ der jungen Menschheit an dieser Küste, glaubt Marean.

Er stützt sich auf Funde, die er und Kollegen in einer Höhle an der Landzunge „Pinnacle Point“ in Südafrika machten: Schalen von Meeresschnecken und Miesmuscheln, die laut Datierung 164 000 Jahre alt sind. Die Höhle befindet sich so weit über dem Wasser, dass Wellen keine Meerestiere hineintragen können. Gegen Vögel als Transporteure spricht ein weiterer Fund: Steinklingen, die in einem aufwendigem Prozess mithilfe der Hitze eines Feuers hergestellt wurden. Da Vögel zwar Muscheln in Höhlen schleppen können, aber dort keine Feuer unterhalten, kommen nur Menschen als Hersteller der Klingen und Genießer der Muscheln infrage, ist sich Marean sicher.

Die Tipps und Tricks der Werkzeugherstellung an die nächste Generation weiterzugeben sei ohne Sprache kaum vorstellbar, spekuliert der Forscher weiter. Obendrein hatten die Menschen vor 164 000 Jahren bereits eine künstlerische Ader. Jedenfalls fanden Forscher in der Höhle Ocker aus jener Zeit, der mit dem Fett von Tieren gemischt eine rote Farbe gab. In jüngeren Schichten liegen Schalen von Tiefseemuscheln, die offensichtlich als Schmuck dienten.

Diese Funde zeigen, dass die Kultur an der afrikanischen Küste bereits vor mehr als 100 000 Jahren eine Stufe erreicht hatte, die Forscher bisher allenfalls den Menschen in Europa vor 45 000 Jahren zugetraut hatten. Ob die fortschrittliche Steinzeitkultur auch ein Hinweis auf das Überwintern der vom Aussterben bedrohten Menschheit war, bleibt aber erst einmal Spekulation – die allerdings von einigen Indizien untermauert wird.

So gab es im tropischen Afrika vor 135 000 bis vor 90 000 Jahren etliche Dürren. Andrew Cohen von der Universität von Arizona in Tucson und seine Kollegen zeigen, dass damals der Malawi-See, der mit 29 600 Quadratkilometern fast so groß wie Belgien ist, nahezu austrocknete. Statt klaren Süßwassers enthielt er zeitweise nur eine Salzlake ähnlich dem Toten Meer heute. Pollenanalysen zeigen, dass damals weite Landstriche eine Halbwüste waren, in der die Menschen schwer überleben konnten.

Weit im Süden Afrikas ergeben Pollenanalysen ein anderes Bild. Dort wächst und wuchs damals wie heute die artenreiche Kapflora. In dieser Pflanzenwelt bilden sehr viele Gewächse Knollen, Zwiebeln und dicke Wurzeln, die das ganze Jahr über geerntet werden können. Diese Speicherorgane haben obendrein weniger Fasern als vergleichbare Gewächse und sind daher besser verdaulich.

Zusätzlich bringt der Benguelastrom nährstoffreiches Wasser aus dem Südatlantik vor die Südküste Afrikas. Deshalb fanden die Menschen dort auch reichlich Muscheln und Schnecken. „An den Küsten war das Nahrungsangebot für die Menschen viel stabiler“, vermutet der Frühmenschenexperte Friedemann Schrenk vom Senckenberg-Forschungsinstitut in Frankfurt am Main. Vielleicht hat auch die eine oder andere Robbe oder ein gestrandeter Wal den Speiseplan ergänzt. Die Überlebenschancen dort waren offensichtlich deutlich besser als in den Halbwüsten um den Malawi-See.

„Vermutlich wanderten die Menschen mit dem Klima mit“, ergänzt Senckenberg-Forscher Ottmar Kullmer. „Wenn sich die Halbwüste ausbreitete, wichen die Menschen an die Küste mit ihren reichen Ressourcen aus.“ Oft lag der Meeresspiegel dann aber mehr als 100 Meter tiefer als heute und die Küste reichte zeitweise 95 Kilometer weiter nach Süden, weil viel Wasser in den Gletschern der Eiszeit steckte. Die Pinnacle-Point-Höhle nutzten die Menschen dann wohl kaum, weil die wertvolle Ressource Meer zu weit entfernt war. Vermutlich lebten sie dann in Höhlen, die ebenfalls weiter südlich lagen und heute überflutet sind.

Die Spuren der wenigen dort überlebenden Menschen und damit einen Beweis für ein Überwintern der Menschheit an der südafrikanischen Küste werden Forscher daher wohl nie finden. Aber die Höhlen an der heutigen Küste und die spannenden archäologischen Funde zeigen zumindest, dass die Lebensumstände dort um vieles besser waren als in den Halbwüsten im Landesinneren.

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