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Archäologie: Hinterhalt im Harz

In Niedersachen haben Archäologen Überreste eines überraschend späten Römer-Gefechts aus dem dritten Jahrhundert ausgegraben.

Leise schlichen die Männer hinter den Büschen entlang. Keiner sollte mitbekommen, dass sie sich auf die Lauer legten. Wie lange sie warteten, kann heute keiner mehr sagen, aber klar ist: Sie trafen ihr Ziel. Mit Wucht brachen die Germanen aus dem Dickicht und überfielen die römischen Soldaten, die über den Pass am westlichen Harzrand marschierten. Pfeile sirrten, Schwerter und Äxte krachten ineinander, die Kämpfer brüllten – um sich für den Angriff zu motivieren oder weil sie schwer verletzt waren.

Knapp 1800 Jahre später sind abermals Bewohner der Region an dem „Harzhorn“ genannten Gebirgsvorsprung unterwegs und hoffen, dass sie nicht entdeckt werden. Mit Metallsonden streichen sie über den Erdboden und suchen nach den Spuren jener Schlacht, die hier tobte. Denn wenn bekannt würde, welch bedeutender archäologischer Schatz hier liegt, würde es nicht lange dauern bis die Überbleibsel von Hobbygräbern wahllos aus dem Boden gerissen und in Privatsammlungen verschwinden würden. Schließlich sind es nicht nur Spuren eines Gefechts weit nördlich des Limes – auch der mutmaßliche Zeitpunkt ist eine kleine Sensation: Gut 200 Jahre nach der Varusschlacht, von der man lange meinte, dass sie den Schlusspunkt der römischen Aktivitäten im heutigen Norddeutschland markiert.

Doch die „geheime Mission“ von Kreisarchäologin Petra Lönne aus Northeim, Freizeitforschern und Denkmalpflegern vom niedersächsischen Landesamt gelingt. Mehr als 600 Objekte, darunter Speerspitzen, Radnaben und Zeltheringe werden aus der Erde geholt, nachdem die Fundpunkte fachgerecht vermessen und katalogisiert wurden. Am Montag wurden die Fundstücke der Öffentlichkeit vorgestellt. Auch jetzt, fünf Monate nachdem zwei Hobbyarchäologen das schlechte Gewissen packte und sie Lönne ein paar eiserne Speerspitzen auf den Tisch legten – und damit die Grabungsaktion auslösten– , ist die Kreisarchäologin sichtlich begeistert: „Es handelt sich um ein einzigartig gut erhaltenes und ungestörtes römisches Schlachtfeld, wie es kein anderes gibt.“

Auf einem Areal von 1500 mal 300 Metern nahe Kalefeld haben die Wissenschaftler das Geschehen präzise rekonstruiert. Vor allem an zwei Stellen fanden sie große Mengen an Waffen, was auf ein sehr heftiges Aufeinandertreffen der Gegner schließen lässt. Eine Spur von Sandalennägeln, die sich aus den Schuhen der Römer gelöst hatten, lässt sogar erkennen, welchen Weg die Legionäre nahmen. Dass es eine größere Einheit gewesen sein muss, zeigen die Spitzen von großen Katapultgeschossen: Ein kleiner Spähtrupp wäre sicher nicht mit einer so unhandlichen, mechanischen Schussvorrichtung aufgebrochen. „Wir vermuten, dass es mindestens 600 Mann gewesen sein müssen, vielleicht waren es sogar mehr als 1000“, sagt Hans-Wilhelm Heine vom Landesamt für Denkmalpflege in Hannover.

Klar hingegen ist, wie die Schlacht ablief. Die römischen Truppen waren unterwegs in Richtung Süden. Auf dem Pass, über den heute die Autobahn 7 und die Bundesstraße 248 führt, schlugen die Germanen los. Die Standorte unserer Vorfahren lassen sich anhand der vielen römischen Pfeil- und Katapultspitzen erkennen, mit denen die Römer die Angreifer unter Beschuss nahmen. „Indem man statistisch erfasst, wie die Pfeilspitzen räumlich orientiert sind, kann man sogar ablesen, aus welcher Richtung die Römer schossen“, erläutert Heine.

Am Ende haben die Invasoren aus dem Süden gewonnen. „Wir haben nämlich nur relativ wenig Waffen und Ausrüstungsgegenstände gefunden, was darauf hindeutet, dass sie ihr Material anschließend wieder eingesammelt und mitgenommen haben“, sagt Heine. Auch Kleingeld fanden die Wissenschaftler kaum – was die Datierung des Geschehens erschwert.

Eine abgegriffene Münze des Kaisers Commodus, der von 180 bis 192 n. Chr. regierte, ein Messerfutteral, das nicht vor dem ausgehenden zweiten Jahrhundert entstand, sowie die gefundenen Waffenarten lassen vermuten, dass das Gefecht etwa zu Beginn des dritten Jahrhunderts stattfand.

„Das ist ziemlich verblüffend“, sagt der Archäologe Heine. „In den meisten Köpfen herrscht die Vorstellung, dass die Römer seit der Varusschlacht nicht mehr den Limes überquerten.“ Tatsächlich habe es aber immer wieder kleine Vorstöße ins Feindesland gegeben – nicht nur in Mitteleuropa, sondern auch in Vorderasien. „Dabei ging es kaum um Eroberungen; die Römer wollten vermutlich ihren Gegnern damit nur Angst machen.“ Schriftlichen Quellen zufolge soll es unter anderem im Jahr 235 einen solchen Feldzug von Mainz aus gegeben haben. Aber ob es ausgerechnet diese Truppen waren, die am Harzhorn von den Germanen überrascht wurden, sei reine Spekulation, sagt Heine.

Auch die Arbeit der Archäologen wird mittlerweile von einer breiten Öffentlichkeit begleitet. „Gestern kamen schon die ersten Touristen“, sagte Lönne dem Tagesspiegel. Unerwünschte Schatzgräber fürchtet sie nun kaum noch: Tagsüber graben die Wissenschaftler weiter auf dem Gelände, teilweise sogar am Wochenende, und nachts patrouillieren ehrenamtliche Heimatforscher. 

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