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Die SS war dabei. Grabung in Solonje (Ukraine) 1943. Bei Grabungen wurden auch KZ-Häftlinge eingesetzt.

© Rijksmuseum van Oudheden, Leiden

Archäologie in der NS-Zeit: Graben nach dem Ahnenerbe

Archäologen in der NS-Zeit stellten sich in den Dienst des Germanien-Kults. Die Aufarbeitung ist noch lange nicht abgeschlossen. Ein wichtiger Beitrag dazu ist jetzt eine Ausstellung im Bremer Focke-Museum.

Solonje, Ukraine, 1943: In den freigelegten Bodenschichten einer archäologischen Fundstätte sind zwei Männer in SS-Uniform im intensiven Gespräch, zwei andere in Tropenkleidung gesellen sich zu ihnen, und ein Kamerateam filmt die Szene. Eindrucksvoller als auf diesem Foto lässt sich die Symbiose zwischen Archäologie und NS-Regime nicht zeigen. Und seit einiger Zeit wird immer klarer: Nicht nur Physik, Chemie und Technik waren in den Nationalsozialismus stark verstrickt, und oft dessen willfährige Dienerinnen, sondern auch die Archäologie.

In der NS-Zeit sei das Fach geradezu „aufgeblüht“, sagt Uta Halle vom Focke-Museum Bremen. Gab es 1927 einen Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte an der Universität in Marburg, waren es 1945 schon 24 Lehrstühle. Außerdem bekam jede Region ein eigenes Landesamt für Archäologie. Davon profitiere die deutsche Archäologie noch heute, sagt Halle. Um so größer ist offenbar die Verpflichtung, die Geschichte des eigenen Fachs aufzuarbeiten. Die Bremer Landesarchäologin und Professorin für Ur- und Frühgeschichte gehört zu den Initiatoren einer Ausstellung mit dem Titel „Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz“, die noch bis zum 8. September im Focke-Museum zu sehen ist.

Dass die Archäologen im Dritten Reich zu Ideologen wurden, sei nicht unter dem Druck der Verhältnisse geschehen. „Sie haben sich sehr bereitwillig in den Dienst der Sache gestellt, und zwar in allen Bereichen“, sagt Halle. Wurden etwa Museen neu gestaltet, geschah es „immer mit einem germanischen Vorzeichen“.

Die Begriffe Germanen und Germanien haben die Deutschen in der Nazizeit fasziniert. In den Schulen wurden mit farbigen Wandbildern Szenen aus dem Leben unserer angeblichen Vorfahren dargestellt, die Firma Erdal gab als Werbeträger für ihre Schuhcreme Stundenpläne mit Szenen aus dem Leben der Germanen heraus – Bilder, die bis heute nachwirken. Und auf den Tisch kommen solle das „Germanen Kraft-Brot“ der Firma Greifen-Mühle.

Begonnen hat die Beschäftigung mit dem Thema „Germanien“ im 19. Jahrhundert, als es um die nationale Einigung ging. Deutlichstes Zeichen der Beschwörung des vermeintlichen Ur- und Heldenvolkes ist das Hermannsdenkmal zur Erinnerung an die Schlacht im Teutoburger Wald. Hermann der Cherusker sollte als Anführer einer germanischen Nation um das Jahr neun nach Christus mit dem Sieg über die römischen Legionen die Grundlage für das spätere Reich der Deutschen gelegt haben.

Auch die Wanderausstellung "Lebendige Vorzeit" verbreitete den Mythos

Vergessen wurde dabei, dass Cäsar und Tacitus, als sie mit ihren Schriften die Bezeichnung „Germanen“ ins öffentliche Bewusstsein hoben, nur die verschiedenen Völkerschaften unter einen Begriff bringen wollten. Mit der Beschreibung von hochgewachsenen, blonden, blauäugigen Kriegern überhöhten sie einen der ärgsten Feinde des Römischen Reiches, um die eigene Bedeutung mehr herauszustellen.

Das aber passte den Ideologen des Dritten Reiches sehr gut in ihr Konzept einer arischen Herrenrasse, als deren Vertreter sie die Germanen sahen. Ihre Herrschaft sollte wieder aufgerichtet werden – über die ganze Welt. In der NS-Zeit seien „die Germanen“ deshalb in Dauerausstellungen und in Wanderausstellungen wie „Lebendige Vorzeit“ medial überrepräsentiert gewesen, erklärt Archäologin Halle. „Man konnte sich der Germanisierungswelle nicht entziehen.“

Dabei spielten der Chefideologe Alfred Rosenberg und SS-Chef Heinrich Himmler eine entscheidende Rolle. Mit den Finanzmitteln ihrer Organisationen „Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte“ und „Ahnenerbe“ nahmen sie die Archäologie unter ihre Fittiche, und das dann auch in Konkurrenz zueinander. Als Ziel wurde den Archäologen vorgegeben, Beweise für ein Großgermanisches Reich und die Überlegenheit der arisch-germanischen Rasse zu liefern.

Da wurde auch vor Um- und Fehldeutungen nicht zurückgeschreckt. So mutierten die Externsteine zu einem frühgermanischen Heiligtum, der 1913 entdeckte Goldschatz von Eberswalde wurde als bedeutsamer Beleg für den hohen Kulturstand der Germanen angesehen, dem der Griechen und Römer ebenbürtig oder gar überlegen.

Der Zweite Weltkrieg sollte dafür weitere Beweise bringen. Er bot den NS-Archäologen neue Chancen für Grabungen. Gleichzeitig konnten sie sich in den Besitz vermeintlich germanischer Fundstücke in den eroberten Museen bringen. Nach Kriegsende schoben die beteiligten und profitierenden Archäologen die Verantwortung auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen den von Himmler und Rosenberg geleiteten Organisationen zu.

Viele Altertumsforscher, die in das Regime verstrickt gewesen waren, konnten nach kurzer Unterbrechung ihre Karrieren fortsetzen. „Die Archäologie tut sich immer noch schwer mit der Aufarbeitung“, sagt Uta Halle. Dieser Prozess habe vor rund 15 Jahren begonnen, müsse aber noch weiter fortgeführt werden.

Die Ausstellung „Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz“ ist bis zum 8. September im Focke-Museum, Bremen, zu sehen (www.focke-museum.de/de/sonderausstellungen/aktuell). Der Katalog erscheint im Theiss Verlag und kostet 24,90 Euro.

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