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Ein Bild von der Ausgrabungsstätte, im Hintergrund arbeiten Archäologen.

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Archäologie in Griechenland: Rätsel um das makedonische Grab

Die Grabanlage, die Archäologen bei Amphipolis in Nordgriechenland freilegen, ist einmalig für die Antike. Wen die monumentalen Sphingen und Karyatiden bewachen, aber wird womöglich nie geklärt.

Hunderte Schaulustige, die den Archäologen die Arbeit erschweren und von Polizisten in Schach gehalten werden, Fernsehteams aus aller Welt: Die Ausgrabungen an einem kolossalen Grabhügel bei der antiken Stadt Amphipolis entwickeln sich seit fast drei Monaten zu einem archäologischen Jahrmarkt sondergleichen. Spätestens als sich Ministerpräsident Antonis Samaras Mitte August zu einer, wie es hieß, „wichtigen“ Reise an die Stätte in Nordgriechenland aufmachte und pathetisch davon sprach, dass „die Erde unseres Makedoniens“ die griechischen Herzen bewege, war das Interesse griechischer und internationaler Medien geweckt.

Fest steht bislang: Der 23 Meter hohe Hügel birgt aller Wahrscheinlichkeit nach ein bedeutendes Grabmal aus dem letzten Viertel des 4. Jahrhunderts v. Chr., also aus der Epoche Alexanders des Großen (356– 323) und seiner unmittelbaren Nachfolger. Und ganz gewiss ist auch, dass es sich bei der antiken Grabanlage um die größte handelt, die jemals in Griechenland entdeckt wurde.

Spekuliert wird sogar, ob Alexander der Große hier bestattet ist

„Das ist ein aufregender, ein spannender Fund“, sagt Emmanuel Voutiras von der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Auf Spekulationen möchte sich der Archäologe jedoch nicht einlassen: „Ich kenne kein einziges makedonisches Grab, von dem wir einwandfrei wissen, wer in ihm bestattet wurde.“ Es wäre schon ein enormer Zufall, wenn seine Kollegen ausgerechnet bei dieser Grabstätte auf eindeutige Inschriften oder andere Hinweise stoßen sollten.

Das Bild zeigt zwei steinerne Sphingen mit abgeschlagenen Köpfen.
Nicht mehr kopflos. Zur Grabanlage gehören zwei Sphingen, die im August präsentiert wurden. Auf den Kopf eines der Mensch-Tier-Wesen stießen die Archäologen vor einer Woche.

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Umso bereitwilliger wird in der fiebernden Öffentlichkeit Griechenlands darüber spekuliert, wer hier liegen könnte. Befeuert wurde die Diskussion in den letzten Wochen auch durch Politiker und Archäologen, die sich – wider besseres Wissen – immer wieder dazu hinreißen ließen, die kurz bevorstehende Bekanntgabe des hier Bestatteten anzukündigen. Nach seriösen, wissenschaftlichen Standards ist dies so gut wie unmöglich. Im griechischen Fernsehen finden unterdessen fast täglich Talkshows mit Vertretern lokaler Behörden, des archäologischen Dienstes, Wissenschaftlern und Politikern statt. Mindestens im Wochentakt werden mögliche Anwärter genannt, die in dem Grab bestattet worden sein könnten: Alexanders Mutter Olympia, seine Gattin Roxane mit ihrem Sohn, der Admiral Nearchos, der vor 2300 Jahren am Rückzug von Indien die hellenische Flotte vom Indus nach Babylon führte – und schließlich natürlich auch Alexander der Große selbst.

Dass er hier begraben sein könnte, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Nach seinem frühen Tod 323 v. Chr. im babylonischen Susa wurde sein Leichnam nach Alexandria überführt und dort bestattet. Darin sind sich alle antiken Quellen einig. Seit der Spätantike gilt die letzte Ruhestätte des Makedonen als verschollen. Gesucht und vermeintlich entdeckt wurde sie neben Alexandria auch schon in der ägyptischen Oase Siva, in Usbekistan und sogar unter dem Markusdom in Venedig.

Jeder der Funde spricht für das Grab einer herausragenden Persönlichkeit

Die Spekulationen über das Grab, vor allem aber die großen Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik machen den Archäologen vor Ort die Arbeit nicht leichter. Dabei sehen sie sich ohnehin mit einem Jahrhundertfund konfrontiert. Schon 1912 waren Soldaten bei Schanzarbeiten an der Mündung des Flusses Struma auf die Reste eines antiken, über fünf Meter hohen marmornen Löwen gestoßen, der in den 1930er Jahren mit finanzieller Hilfe aus den USA wieder aufgestellt wurde. Dann geschah lange nichts Aufsehenerregendes, bis vor vier Jahren das aktuelle Grabungsprojekt startete. 2011 entdeckte das Team um Ausgrabungsleiterin Katerina Peristeri eine marmorne, drei Meter hohe und fast 500 Meter lange Mauer um den Hügel und legte sie frei – damals von der Öffentlichkeit noch relativ unbeobachtet.

Anfang August dieses Jahres stießen die Wissenschaftler dann unterhalb dieser Mauer auf den Eingang zu dem rätselhaften Grab. Seither überstürzen sich die Nachrichten von der Grabungsstätte: Erst fanden die Archäologen zwei überdimensionale Sphingen aus Stein, dann zwei jeweils über zwei Meter hohe Karyatiden genannte Frauenfiguren, die als Stützen dienten. Mitte Oktober legten sie ein über 13 Quadratmeter großes, farbenfrohes Mosaik frei, auf dem ein mit Lorbeer bekränzter, bärtiger Mann in seinem Streitwagen dem als „Seelenführer“ dargestellten Gott Hermes ins Jenseits folgt. Und in der vergangenen Woche entdeckten sie den weitgehend unbeschädigten Kopf einer der Sphingen. Jeder der Funde ist einzigartig, und jeder spricht dafür, dass hier eine herausragende Persönlichkeit zu Grabe getragen wurde.

Selbst der marmorne Löwe ist ein Unikum

Zwei Kammern haben die Forscher bisher betreten, in denen kein Mensch begraben war; auch dies ist ein beachtenswerter Umstand. In der dritten Grabkammer vermuten sie den Bestatteten, wer immer es auch sein mag. Selbst der marmorne Löwe ist ein Unikum. „Bei der Stätte von Amphipolis handelt es sich wirklich um ein außergewöhnliches Monument“, sagt Emmanuel Voutiras.

Eine ähnliche Löwenskulptur kennen Archäologen nur von einer Grablege bei Chaironeia, wo Alexanders Vater Philipp 338 v. Chr. in einer Schlacht die griechischen Stadtstaaten niederrang und sich die Macht über Hellas sicherte. Dort wurden gezählte 254 Thebaner unter einem steinernen Löwen bestattet und damit trotz ihrer Niederlage von den Siegern als Helden geehrt.

Die Ausgrabung ist ein teures Prestigeprojekt - und politisch aufgeladen

Möglicherweise liegt es an der Einzigartigkeit des Grabhügels, dass sich unter den Archäologen Griechenlands noch kein nennenswerter Unmut über die außergewöhnlich großzügige Alimentierung der Forscher in Amphipolis breitmacht. Mitte Oktober bezifferte die Regierung im Parlament die Ausgaben für die Ausgrabungen mit 590 000 Euro in den letzten vier Jahren. „Jede andere Grabung wäre mit einem Zehntel davon zufrieden“, sagt Voutiras. Beklagen will sich der Archäologe darüber dennoch nicht: „Diese Ausgrabung ist ein Prestigeobjekt.“

Die Regierung spekuliert unterdessen offensichtlich darauf, mit der archäologischen Sensation möglichst bald auch den Tourismus in die Region ankurbeln zu können. Dagegen regt sich allerdings Unmut, denn Antonis Samaras und seine Regierung stehen unter dem Verdacht, die Funde auch für Propagandazwecke nutzen zu wollen. Dabei geht es um den inzwischen der europäischen Aufmerksamkeit etwas entrückten Streit über die Landesbezeichnung Makedonien mit dem Nachbarn im Norden, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien.

Seit Jahren verhindert die griechische Regierung ernsthafte Verhandlungen der Europäischen Union mit dem Balkanstaat – wegen seines Namens, auf den Griechenland für die auf seinem Staatsgebiet liegende historische Region Makedonien Anspruch erhebt. Samaras würde nicht „die Erde unseres Makedoniens“ bemühen, wollte er nicht seine Landsleute an den Konflikt erinnern. Das griechische Volk hat indes angesichts der noch lange nicht überwundenen Finanz- und Wirtschaftskrise ganz andere Sorgen, meint Voutiras: „Der Streit um den Namen Makedonien ist inzwischen sekundär.“

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