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Chefarchäologin. Friederike Fless ist die erste Frau an der Spitze des DAI. An der FU leitet sie das Exzellenzcluster „Topoi“.

© Thilo Rückeis

Archäologie: Nach Europas Identität graben

Zu Gast bei Freunden: Was Friederike Fless als Chefin des Deutschen Archäologischen Instituts vorhat und warum sie den dringendsten Handlungsbedarf in Nordafrika sieht.

Wegen ihrer kurzen grauen Haare wurde sie schon damals bestaunt, als sie mit einem Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts in der Welt unterwegs war. In Ländern wie der Südtürkei war eine Frau mit kurzen Haaren keineswegs selbstverständlich, nach erster Scheu hätten kleine Mädchen neugierig an ihren Haaren gezupft, erzählt Friederike Fless lachend. Demnächst wird die Professorin für Klassische Archäologie wieder vermehrt auf Reisen gehen. Im Institut der Freien Universität in Berlin-Dahlem werden die Kisten gepackt. Am 16.03.11 wurde die 46-Jährige in ihr Amt als Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts eingeführt. Danach wird es für sie vor allem darum gehen, den engen Kontakt zu den vielen Zweigstellen des DAI in aller Welt zu halten. Sie freut sich darauf.

Eine Institution im Umbruch. Eine Welt im Umbruch. Und eine Wissenschaft im Umbruch. Fless steht prototypisch für eine Neuordnung der Archäologie. Sie war Sprecherin des Exzellenzclusters „Topoi“, das die FU seit 2007 betreibt und das zu einem „Berliner Antikenkolleg“ ausgebaut werden soll, in dem alle Institutionen zusammenwirken: die Akademie, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und eben das DAI. „Hier entsteht eine Leichtigkeit der Zusammenarbeit, wie sie schon einmal im 19. Jahrhundert bestand, als Forscher an den Museen und an der Uni gleichzeitig tätig waren“, schwärmt die Wissenschaftlerin.

Der Wechsel zum DAI ist also kein Abschied: Hier weiß sie sich auf einer Linie mit ihren Vorgängern Hermann Parzinger und Hans-Joachim Gehrke. Gemeinsame Fragestellungen will Fless sichtbar machen – zwischen Madrid und Peking, Rom und den Osterinseln. „Um sich bei der Vielfalt der Themen nicht zu überdehnen, versuchen wir, Fallbeispiele zu identifizieren.“ So ließen sich Kulturen vergleichen, die in der Antike in keinem Kontakt zueinander standen. Man könne untersuchen, in welchem gesellschaftlichen Kontext es in der Neuen Welt oder in Ägypten zur Monumentalisierung von Architekturen gekommen ist. Oder wie sich durch menschliche Eingriffe Umweltbedingungen verändern. „Durch Kontraste kann man nämlich auch sein eigenes kulturelles Erbe besser verstehen“, sagt Fless.

Ein weiter Weg. Friederike Fless ist klassische Archäologin, sie hat über römische Reliefs und figürliche Vasenmalerei gearbeitet und in Spanien, Italien, Griechenland und der Türkei gegraben. Aber schon im Rahmen ihrer Habilitationsschrift stieß sie auf die Beziehungen zwischen Skythen und Iberern, das Interesse verschob sich, weg vom eurozentrischen Forschungsblick. „Am Anfang habe ich gedacht, meine Kollegen machen Witze, als sie von chinesischen Lackkästchen und Spiegeln erzählten. Aber dann wurde bei Grabungen auf der Krim tatsächlich ein chinesisches Lackkästchen gefunden, direkt im Umfeld einer griechischen Kolonie – die eurasische Steppe verband fast wie eine Autobahn China und die Mongolei mit der Schwarzmeerregion.“

Längst beschäftigt sich die Forschung mit Handelsverbindungen, die in der Antike weiter reichten, als es unsere heutige Wahrnehmung weiß: „Das Mittelmeer war in der Antike fast ein Binnensee“, sagt Fless. Platon sagte, die Griechen in ihren Kolonien sitzen wie Ameisen und Frösche um einen großen Teich herum. Diese Verbindungen nähmen viele Europäer heute nur begrenzt wahr, südlich von Sizilien. „Spätestens bei Lampedusa ist Schluss, Nordafrika tritt erst durch die aktuellen Ereignisse als Teil der mittelmeerischen Welt in den Blick. Die Antike zeigt die große Bedeutung dieser Region.“ Auch Friederike Fless hat umdenken gelernt.

Dass Archäologie dabei immer auch eine politische Rolle spielt, ist der Wissenschaftlerin wohl bewusst. Nicht nur, weil sie selbst in der Türkei gegraben hat und diese gerade im Zusammenhang mit den Rückgabeforderungen zu der im Pergamonmuseum verwahrten Sphinx von Hattuscha scharfe Vorwürfe gegen deutsche Archäologen erhoben hat. Das sieht Friederike Fless eher entspannt: „Es hakt mal auf der einen Seite und dann auf der anderen.“ Auf der Krim hatte sie eine sehr gut funktionierende Kooperation, dann gab es Schwierigkeiten, „und jetzt arbeiten wir wieder wunderbar zusammen“. Die Vielzahl der Projekte im DAI zeige, dass Kooperationen fast immer großartig funktionieren, und dies mit jahrhundertelangen Traditionen.

Auch in der Türkei arbeite man mit hervorragend ausgebildeten Kollegen bestens zusammen. Und was die jüngsten Friktionen angelangt: „Ich sehe das als einen ewigen Aushandlungsprozess. Wir müssen uns in Europa immer neu erfinden, und genauso müssen wir unser Verhältnis zu den Ländern, in denen wir graben, stets neu aushandeln.“ Archäologen müssten sich bewusst machen, dass sie Gäste in diesen Ländern sind.

Vor allem aber sind Archäologen Experten in Ländern, die derzeit politisch in aller Munde sind. In Nordafrika sieht auch Fless den dringendsten Handlungsbedarf – weil es dort eine so lange Tradition der Zusammenarbeit gibt. Das Institut in Madrid etwa gräbt vor der marokkanischen Küste nach einer phönizischen Siedlung, das römische Institut in Tunesien, von Kairo aus erforscht man den Sudan, Äthiopien und das Horn von Afrika und das Zentralinstitut hat 2010 ein Forschungsprojekt in Libyen begonnen. Die Arbeiten ruhen derzeit, verständlicherweise.

Diese Aktivitäten zu stärken, ist für Fless das Gebot der Stunde, weil es für die Länder existenznotwendig ist. „Ganze Regionen dort profitieren von der Archäologie. Viele Länder leben vom Tourismus, und ein Teil der touristischen Attraktivität sind archäologische Stätten.“ Fless möchte dazu beitragen, etwa in Ägypten „ein bisschen Normalität zu zeigen, indem man die Grabungen möglichst schnell wieder aufnimmt“.

Wo die Grenzen des Machbaren in Krisenregionen sind, wird Friederike Fless noch lernen müssen, in Diskussionen mit Kollegen und dem Auswärtigen Amt. Bislang hat sie selbst nur in Ländern gegraben, in denen sich diese Grundsatzfrage nicht stellte. Und doch weiß sie: „Oft sind die Archäologen schon im Land tätig, bevor sich dort wieder Stabilität völlig eingestellt hat.“ Sie denkt etwa an eine Grabung im Nordirak. Man signalisiere damit in den Ländern: „Es gibt eine Normalität, es kommen wieder Menschen und Kollegen und arbeiten zusammen.“

Gerade deshalb ist es ihr wichtig, als Präsidentin des DAI jetzt möglichst viele Abteilungen und Grabungen zu besuchen: Die Probleme sind höchst unterschiedlich, von Land zu Land. Aber es kann nicht schaden, wenn eine Frau an der Spitze steht, deren Credo „Offenheit und Entspanntheit“ heißt. Als bekannt wurde, dass sie an die Spitze des DAI aufrückt, hat ihr eine Kollegin scherzeshalber eine Mail geschrieben: „Dass ich das noch erleben darf: die erste Frau als Präsidentin, und das schon 182 Jahre nach der Gründung.“

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