zum Hauptinhalt
Neue Chancen. Vor allem, wenn in die Bildung von Mädchen investiert wird, kommt das der Gesundheit der ganzen Familie zugute. Doch weltweit gehen 263 Millionen Kinder nicht zur Schule. Im Bild eine Schülerin auf Madagaskar.

© imago/imagebroker/Florian Kopp

Armutsbekämpfung: Mit Bildung impfen

Schulen in ärmeren Ländern können von Partnerschaften profitieren. Vorbild sind Impfprogramme.

Ob es nun um Bekämpfung von Armut und Perspektivlosigkeit, um die Gesundheit von Kleinkindern und ihren Müttern, um das Eindämmen von Extremismus und Fluchtursachen oder auch um die Integration von Geflüchteten in ihre Aufnahmeländer geht, stets heißt das moderne Mantra: Bildung.

Die Internationale Kommission für die Finanzierung globaler Bildungschancen (International Commission on the Financing of Global Education Opportunities), die auf dem Osloer Gipfel zu Erziehung und Entwicklung im Juli 2015 gegründet wurde, rechnete es zuletzt in ihrem Bericht vom September 2016 vor: Ein Dollar, der in ein zusätzliches Schuljahr investiert wird, schlägt in den ärmsten Ländern langfristig mit einem Ertrag von zehn Dollar zu Buche. Vor allem wenn in die Bildung von Mädchen investiert wird, kommt das der Gesundheit ganzer Familien zugute.

Die Zahlen dieses Reports, der in den deutschen Medien weitgehend unbeachtet blieb, sind beeindruckend: 263 Millionen Kinder und Jugendliche im besten Schulalter gehen in aller Welt – nicht zur Schule. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen erlernt nur etwa die Hälfte der Schüler und Schülerinnen elementare Fähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens. Wenn nichts geschieht, werden die Defizite sich vergrößern, denn 2030 dürfte es in diesen Ländern 1,4 Milliarden Heranwachsende im Schulalter geben. Gute Ausbildung wird für sie wichtiger sein als je zuvor, da viele Jobs, die nur eine geringe Qualifikation erfordern, dann der Automatisierung und Digitalisierung zum Opfer gefallen sein werden.

Das Projekt "Learning Generation" soll die extreme Armut um 20 Prozent senken

Auch für das Bevölkerungswachstum und die Gesundheit wird es eine wichtige Rolle spielen, wie es mit den globalen Programmen für bessere Bildung weitergeht. Mit ihrem Projekt „Learning Generation“ will die internationale Kommission bis 2050 die extreme Armut um 20 Prozent und das Bevölkerungswachstum um 13 Prozent senken. Und die Lebenserwartung um 1,3 Jahre erhöhen. Wenn nichts geschieht, werden dagegen 2050 laut dem Report in jedem Jahr genauso viele Menschen aufgrund ihres niedrigen Bildungsstands sterben wie an Aids und Malaria.

Beides ist allerdings schwer voneinander zu trennen, da Wissen ja auch dabei hilft, sich vor diesen weit verbreiteten Infektionskrankheiten mit Moskitonetzen, Kondomen oder Medikamenten zu schützen. Bei einigen anderen Krankheiten, bei denen der Schutz über Impfungen läuft, rechnet die Kommission denn auch vor: Ein Kind, dessen Mutter lesen kann, hat doppelt so hohe Chancen wie das Kind einer Analphabetin, die nötigen Impfungen zu bekommen und seinen fünften Geburtstag gesund feiern zu können.

Gesundheit und Bildung – diese beiden Themen passen auch in strategischer Hinsicht gut zusammen. Nach Ansicht der Verfasser des neuesten, ebenfalls 2016 erschienenen Weltbildungsberichts der Unesco können internationale Initiativen aus dem Bildungsbereich nämlich von Partnerschaften im Gesundheitssektor lernen. Etwa vom Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria und der seit dem Jahr 2000 bestehenden Impfallianz Gavi (Global Alliance of Vaccinations and Immunisations), die beträchtliche finanzielle Mittel mobilisieren. Die Impfallianz, in der sich die Bill-und Melinda-Gates-Stiftung maßgeblich engagiert, stellt preisgünstige Impfstoffe und geeignete Logistik für ihre Anwendung in armen Ländern bereit – unter der Bedingung, dass diese Länder sich angemessen an den Kosten beteiligen und die Infrastruktur sichern.

Erste bescheidene Erfolge gibt es schon

Kann man ein Konzept auf das Verteilen von Büchern anwenden, das sich beim Spritzen von Vakzinen bewährt hat? Gavi habe in relativ kurzer Zeit eine stattliche Erfolgsbilanz vorzuweisen gehabt, bei der Erziehung sei das wegen der nationalen Besonderheiten weit schwieriger, klagte Alice Albright von der Global Partnership for Education (GPE) im Jahr 2014. Albright muss es schon deshalb wissen, weil sie zuvor acht Jahre für Gavi tätig war.

Die seit 2002 bestehende Globale Bildungs-Partnerschaft GPE, eine Allianz aus Regierungen von über 20 reichen Industrienationen und 60 armen Staaten, von NGOs und privaten Unternehmen, ist die einzige globale Entwicklungsorganisation, die Bildung in den Mittelpunkt stellt. Die GPE möchte Entwicklungsländer unterstützen, ihre Bildungspolitik zu planen. Erste bescheidene Erfolge sind nicht zu leugnen: Immerhin haben in den Ländern, die die GPE unterstützt, im Jahr 2012 73 Prozent der Kinder die Grundschule abgeschlossen, zehn Jahre zuvor waren es nur 63 Prozent.

Für Deutschland ist das Bundesentwicklungsministerium im Vorstand aktiv und bestimmt die strategische Ausrichtung mit. Das Geld, das die GPE in reichen Ländern bei öffentlichen und privaten Quellen einwirbt, wird Ländern des globalen Südens nur bewilligt, wenn sie selbst ihre Bildungsausgaben erhöhen oder auf hohem Niveau halten und schlüssige Pläne vorlegen können.

Das passt zum Eckpunktepapier für einen „Marshallplan mit Afrika“, das Bundesentwicklungsminister Gerd Müller unlängst vorstellte. Als Voraussetzungen dafür, dass ein Land mit Unterstützung der Bundesregierung rechnen kann, werden dort unter anderem Gleichberechtigung der Geschlechter und Investitionen in Bildung genannt. Konkret sollten in den Ländern 15 bis 20 Prozent der Haushaltsmittel in den Bildungssektor fließen.

Im „Marshallplan“ wird auch ein markanter Mangel des internationalen Bildungswesens thematisiert: In vielen Staaten müssen sich Gruppen von Schülern und Schülerinnen ein Lese- oder Rechenbuch teilen. Spitzenreiter der Unesco-Statistik ist Kamerun, wo sich 12 Kinder mit einem Lesebuch und 14 Kinder mit einem Mathebuch behelfen müssen. Um diesen Missstand zu beheben, entstand die Idee eines „Global Book Fund“ – der ähnlich funktionieren könnte wie die Allianzen für das Impfen oder gegen Aids, Tb und Malaria.

Lehrpläne in Ruanda trugen zur Stigmatisierung der Hutu und Tutsi bei

In einzelnen Ländern gibt es schon ermutigende Erfahrungen mit solchen Programmen. In Ruanda konnten Schulbücher preiswert und bedarfsgerecht produziert und vom Verlag direkt an entlegene Orte geliefert werden. Um einen solchen Bücherfonds aufzulegen, brauche man aber unbedingt Transparenz hinsichtlich der derzeitigen Ausgaben der Länder für Unterrichtsmaterialien und ihres Bedarfs, mahnt die Unesco. Und nicht zuletzt Klarheit über die Inhalte der Bücher. „In vielen Ländern wurde nachgewiesen, dass Lehrpläne und Lernmaterialien Stereotype und politische und soziale Missstände verschärfen.“ In Ruanda ergab etwa eine Überprüfung der Lehrpläne der Jahre 1962 bis 1994, dass deren Inhalte zur Kategorisierung und Stigmatisierung von Hutu und Tutsi beitrugen.

Kein Zweifel: Ein Bücherfonds ist eine sensiblere Angelegenheit als eine Impfallianz. Es stellen sich andere Probleme als bei den Vakzinen, die internationale Standardprodukte sind, während die Lehrbücher heute in vielen Sprachen und teilweise in kleinen Auflagen erscheinen müssen. Digitalen Lehrbüchern könnte schon deshalb die Zukunft gehören, doch derzeit sind die Kosten für den flächendeckenden Einsatz von E-Readern noch zu hoch.

Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat sich die UN-Generalversammlung im September 2015 auch für den Bildungssektor auf ehrgeizige Ziele festgelegt. So sollen im Jahr 2030 alle Jugendlichen auf der Welt lesen, schreiben und rechnen können. Krisen und gewaltsame Konflikte drohen einen Strich durch diese schöne Rechnung zu machen: In Syrien gingen 2013 mehr als eine halbe Million Sechs- bis Zehnjährige nicht in die Grundschule. Kinder und Jugendliche, die auf der der Flucht sind, gehen fünfmal häufiger nicht zur Schule. Und in einigen Regionen, in denen Flüchtlingskinder leben, kommen auf einen Lehrer 70 Schüler.

Auch in solchen Notsituationen soll ein neuer internationaler Fonds helfen, dessen Arbeit die Unicef unterstützt. Ziel ist es, Bildungsangebote für Menschen zu ermöglichen, die in Krisenregionen leben oder Opfer von Naturkatastrophen und Epidemien wurden. Der Name des Fonds ist Programm: „Education Cannot Wait“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false