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Sonne

© dpa

Astronomie: Das Sonnenrätsel

Keine Stürme, keine Eruptionen: Unser Zentralgestirn ist auffällig ruhig. Zu ruhig, finden Astronomen.

Von Rainer Kayser, dpa

Die Sonne ist ruhig. Zu ruhig für den Geschmack der Astronomen. Denn schon vor Monaten hätte ein neuer Zyklus der Sonnenaktivität mit dunklen Flecken, Protuberanzen und Sonnenstürmen anbrechen sollen. Doch bisher Fehlanzeige. „Es ist die längste fleckenlose Zeit seit gut 100 Jahren, und wir wissen nicht warum“, erklärt Sami Solanki, Leiter der Forschungsgruppe Sonne am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau.

Mithilfe von speziellen Sonnenteleskopen auf der Erde, auf Höhenballons und im Weltall versuchen die Forscher unserem Zentralgestirn die letzten Geheimnisse zu entreißen. Im Gegensatz zu den viele Lichtjahre entfernten Sternen liegt die Sonne mit einer Entfernung von „nur“ 150 Millionen Kilometern quasi direkt vor unserer kosmischen Haustür. Die Wissenschaftler können deshalb auf der Sonne Phänomene im Detail studieren, die bei den fernen Sternen nicht einmal zu erkennen sind. „Aber oftmals werfen diese Details zugleich auch wieder neue Fragen auf“, sagt Solanki.

Wie alle Sterne ist die Sonne ein gigantischer Fusionsreaktor: In ihrem Inneren verschmelzen Wasserstoff-Atomkerne zu Helium und setzen dabei große Mengen an Energie frei. Energie, die unsere Sonne über Jahrmilliarden hinweg nahezu unverändert leuchten lässt und die Erde zu einem lebensfreundlichen Planeten macht.

Doch der ruhige Schein der Sonne ist trügerisch. Auf dem Höhepunkt eines Aktivitätszyklus kann es an der Sonnenoberfläche zu gewaltigen Eruptionen kommen, die Wolken aus elektrisch geladenen Teilchen ins Weltall katapultieren. Am 1. September 1859 traf ein solcher Sonnensturm auf die Erde.

Innerhalb weniger Stunden brachen auf der ganzen Welt die damals neuen Telegrafennetze zusammen. Kurzschlüsse führten zu Bränden in Telegrafenstationen. Nachts loderten Nordlichter am Himmel über Rom und Hawaii. Es war bis heute der stärkste Sonnensturm, der seit Beginn der wissenschaftlichen Aufzeichnungen über die Erde hereingebrochen ist.

In der heutigen Zeit wären die Auswirkungen eines solchen großen Sonnensturms noch verheerender. Nicht nur Stromnetze und Flugverkehr könnten lahmgelegt werden. Auch Mobilfunknetze und der über Satelliten laufende interkontinentale Telefonverkehr könnten zusammenbrechen und so das wirtschaftliche Leben lähmen. Die Verluste könnten sich rasch auf Milliardenhöhe summieren.

Umso wichtiger wäre es, solche Ereignisse rechtzeitig vorherzusagen. „Doch das können wir bisher nicht“, gesteht Solanki. Unter den Sonnenforschern gibt es nicht einmal Einigkeit darüber, ob der nächste Zyklus nach diesem ungewöhnlich langen Minimum nun besonders stark oder besonders schwach wird. Oder ob die Sonne vielleicht gar in eine lange Phase mit minimaler Aktivität hineinschliddert, wie es sie vor Jahrhunderten schon einmal gab.

Während des Spörer-Minimums von 1400 bis 1510 und des Maunder-Minimums von 1645 bis 1715 schien der Sonnendynamo stillzustehen: Kein Fleck verunzierte das Antlitz des Zentralgestirns. Diese Jahrzehnte fehlender Sonnenaktivität fallen in die kältesten Phasen jener Epoche, die als „Kleine Eiszeit“ in die Annalen einging. In Europa führte das kühle, regnerische Wetter zu Missernten und Hungersnöten. Auf dem Höhepunkt des Spörer-Minimums, im Winter 1422/23, fror sogar die Ostsee zu und erlaubte die Reise per Pferdeschlitten von Deutschland nach Schweden.

Solanki sieht im gegenwärtigen Ausbleiben von Sonnenflecken allerdings kein Vorzeichen einer solchen längeren Phase der Inaktivität, sondern eher eine Rückkehr zur Normalität. „Wir waren etwas verwöhnt“, sagt der Forscher, „denn gut 60 Jahre lang war die Sonnenaktivität ungewöhnlich hoch, höher als jemals zuvor im vergangenen Jahrtausend. Jetzt pendelt sie sich vermutlich wieder auf ihr normales Niveau ein.“

Im Mittel alle elf Jahre polt sich das Magnetfeld der Sonne um. Da die Sonne kein fester Körper ist, sondern aus dichtem, heißen Gas besteht, rotiert sie in ihrem Inneren ungleichmäßig. Dadurch verdrillt sich das Magnetfeld auf komplizierte Weise. Magnetische Schläuche entstehen, die dort, wo sie an die Oberfläche dringen, das Aufsteigen heißer Materie aus dem Inneren unterbinden.

Kühle, dunkle Flecken bilden sich auf der Sonnenoberfläche, die Sonnenflecken. Zu den gefürchteten Sonnenstürmen kommt es, wenn sich das Magnetfeld außerhalb der Sonne umformt, sich Teile davon ablösen und dabei große Mengen an heißem Gas ins Weltall hinaus katapultieren.

Mit immer besseren Instrumenten versuchen die Sonnenforscher, diese turbulenten Vorgänge zu beobachten. Beispielsweise mit dem Ballonteleskop Sunrise, das im Juni von Schweden nach Kanada geflogen ist. Mit einem Objektivdurchmesser von einem Meter ist es das größte Sonnenteleskop, das jemals den Erdboden verlassen hat. Von einem Helium-Ballon in eine Höhe von 36 Kilometern getragen, konnte das Gerät die Sonne nahezu unter Weltraumbedingungen beobachten, und das zu einem Bruchteil der Kosten einer Satelliten-Mission.

Die Forscher konnten noch Einzelheiten bis hinab zu einer Größe von 35 Kilometern auf der Sonnenoberfläche erkennen. Die Auswertung der Daten wird die Wissenschaftler monatelang beschäftigen. „Bedauerlich ist nur, dass die Sonne so ruhig ist“, erklärt Solanki, dessen Institut das Sunrise-Projekt leitet, „aber wir hoffen, das Teleskop bei stärkerer Aktivität der Sonne noch einmal zu fliegen.“

Große Erwartungen hat der Sonnenforscher auch an den europäischen „Solar Orbiter“, der voraussichtlich 2017 starten und sich der Sonne bis auf 30 Millionen Kilometer nähern soll. Die Sonde soll auch erstmals Bilder von den Polen der Sonne liefern. Von jenen Regionen also, die eine entscheidende Rolle für das Magnetfeld spielen. Vielleicht finden Solanki und seine Kollegen dort endlich den Schlüssel zum Verständnis der wechselvollen magnetischen Aktivität unseres Zentralgestirns.

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