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Parkes Radioteleskop

© AFP

Astronomie: Rätselhafte Blitze aus den Tiefen des Alls

Alle zehn Sekunden trifft ein kurzes Radiosignal die Erde – Astronomen suchen nach einer Erklärung.

Von Rainer Kayser, dpa

Duncan Lorimer traute seinen Augen nicht. Als der Astronom 2009 die Archivdaten des Parkes-Radioteleskops in Australien nach interessanten Objekten durchsuchte, stieß er auf ein energiereiches Radiosignal von fünf Millisekunden Dauer. Zwar sind solche kurzen Radiopulse aus dem All keineswegs ungewöhnlich. Für gewöhnlich stammen sie von extrem schnell rotierenden Neutronensternen, die einem Leuchtturm ähnlich einen gebündelten Strahl aussenden. Streicht dieser Strahl über die Erde, so empfangen die Radioteleskope ein kurzes Signal. Es wiederholt sich mit jeder Drehung des Neutronensterns.

Doch Lorimers Signal, vom Parkes-Teleskop bereits am 24. August 2001 empfangen, wiederholte sich nicht. Und es war erheblich energiereicher als jeder Radiopuls eines Neutronensterns. Beides zusammen sprach auf den ersten Blick für eine irdische Störung, beispielsweise ein reflektiertes Radarsignal. Doch nur auf den ersten Blick. Denn der kurze Radiopuls zeigte eine Eigenschaft, die für einen kosmischen Ursprung sprach. Seine niedrigen Frequenzen trafen später ein als seine hohen Frequenzen. Eine solche Streuung (Dispersion) des Signals kommt zustande, wenn die Radiostrahlung Gaswolken im Weltall durchquert.

Die Pulse kamen nicht aus dem Himmel, sondern von der Erde

Die Dispersion des Lorimer-Pulses ist groß, zu groß für einen Ursprung des Signals in unserer Milchstraße. Mehrere Milliarden Lichtjahre müsste der Radiopuls durchquert haben, rechneten Lorimer und sein Kollege Matthew Bailes aus. Doch damit aus einer solchen Entfernung ein so starkes Radiosignal die Erde erreicht, müsste dort in wenigen Millisekunden die Energie von 500 Millionen Sonnen freigesetzt worden sein. „Es schien sich also um etwas ziemlich Außergewöhnliches zu handeln“, so Lorimer, „aber wir hatten keine Idee, um was!“

Die Entdeckung des schnellen Radio-Ausbruchs weckte in Fachkreisen zwar zunächst einige Begeisterung. Diese flaute rasch ab, als trotz intensiver Suche zunächst keine weiteren ähnlichen Pulse entdeckt wurden. Und als schließlich Sarah Burke-Spolaor 2010 im Rahmen ihrer Doktorarbeit noch einmal die alten Parkes-Daten durchkämmte und 16 weitere Millisekunden-Signale fand, erwies sich dies nicht als Triumph, sondern als Fiasko für Lorimer. Eine genaue Analyse zeigt nämlich, dass diese Signale keineswegs aus der Richtung kamen, in die die Antenne schaute, sondern quer dazu, von der Erde.

Die Signale traten immer zur Mittagszeit auf

Auch für diese fortan nach einem Fabelwesen „Perytons“ genannten Radiopulse gab es keine Erklärung. Waren es bislang unbekannte Wetterphänomene? Oder doch bislang übersehene Störungen durch menschliche Technik? Eines war klar: Sie kamen nicht aus dem All. Und das, obwohl auch sie eine starke Dispersion zeigten. Damit war für viele Forscher auch der kosmische Ursprung des ursprünglichen Lorimer-Signals infrage gestellt.

Fünf Jahre lang spekulierten Astronomen, Physiker und Radiotechniker über den Ursprung der Perytons. Bis die Studentin Emily Petroff über die Tatsache stolperte, dass alle Perytons just zur Mittagszeit am Parkes-Observatorium registriert worden waren. Sofort begann sie mit den Gerätschaften in der Küche der Radio-Sternwarte zu experimentieren. Schließlich konnte sie eine Mikrowelle als überaus triviale Ursache der so geheimnisvollen Perytons identifizieren. Das vorzeitige Öffnen der Ofentür ließ aus dem Inneren einen kurzen Puls von Radiostrahlung entweichen, zuerst bei hohen, dann bei immer tieferen Frequenzen. So täuschte die Mikrowelle geradezu heimtückisch eine kosmische Dispersion vor.

Auch andere Observatorien registrierten die seltsamen Pulse

Was war aber nun mit Lorimers erstem Radiopuls? Dieser, so zeigte sich, war nicht zur Mittagszeit registriert worden und kam aus der vom Teleskop anvisierten Richtung. Allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz schien sich zumindest hier also ein echtes astrophysikalisches Phänomen zu verbergen. Inzwischen hat ein Team um Matthew Bailes mit dem Parkes-Teleskop 14 weitere echte Millisekunden-Radiopulse aufgespürt. Und auch andere Radio-Observatorien konnten, sehr zur Erleichterung der Parkes-Astronomen, schnelle Radio-Ausbrüche nachweisen.

So mühsam die Suche nach diesem rätselhaften Phänomen bislang auch ist, selten sind die Radiopulse offenbar nicht. Radioteleskope beobachten stets nur eine sehr kleine Region des Himmels. Rechnet man die wenigen Entdeckungen hoch, so muss am Himmel etwa alle zehn Sekunden irgendwo ein solcher Radioblitz aufleuchten. Um der Ursache des Phänomens auf die Spur zu kommen, setzten die Astronomen ihre Hoffnungen daher auf neue Instrumente, die größere Himmelsregionen beobachten können. Das kanadische Radioteleskop „Chime“ aus vier jeweils 100 Meter langen Antennen zum Beispiel ist zwar auf die Untersuchung der kosmischen Expansion spezialisiert. Doch wenn es 2017 in Betrieb geht, könnte es ganz nebenbei mehr als ein Dutzend Radiopulse am Tag registrieren.

Ein Frühwarnsystem soll helfen

Die entscheidende Frage für die Forscher ist dabei immer noch, wie weit die Quellen der Radiopulse tatsächlich von der Erde entfernt sind. Die große Dispersion spricht für große Entfernungen und damit für immens energiereiche Ereignisse. So energiereich, dass sie ihre Quelle, da sind sich die Forscher einig, in einer gewaltigen Explosion zerstören würden. Doch im März dieses Jahres berichtete ein Team um Laura Spitler vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn von der Entdeckung eines Radiopulses, der über mehrere Wochen hinweg immer wieder aufgeleuchtet ist. Zumindest in diesem Fall muss die Quelle des Pulses also intakt bleiben und müsste sich demnach näher bei uns befinden.

Mithilfe eines Frühwarnsystems hoffen die Astronomen nun, den seltsamen Radiopulsen auch in anderen Strahlungsbereichen, insbesondere im optischen Licht, auf die Spur zu kommen – und so zugleich ihre Herkunftsgalaxien und damit ihre Entfernungen zu bestimmen. Vielleicht hat die Natur aber auch noch ein weiteres Ass im Ärmel. „Ich würde mich nicht wundern“, so Emily Petroff, „wenn wir auf zwei oder gar drei ganz unterschiedliche Ursachen für die Signale stoßen.“

Stecken Außerirdische dahinter?

Kein Wunder - ähnlich wie bei der ersten Entdeckung der periodischen Radiopulse von Neutronensternen haben einige Forscher auch bei den Millisekunden-Pulsen einen möglichen künstlichen Ursprung durch außerirdische Intelligenzen ins Gespräch gebracht. Diese Spekulation wurde insbesondere durch die Tatsache befeuert, dass die Streuung (Dispersion) der Pulse jeweils ein ganzzahliges Vielfaches des Werts 187,5 war. Dafür schien es keine natürliche Erklärung zu geben. Handelte es sich um einen Versuch Außerirdischer, mit uns in Kontakt zu treten?

Vermutlich nicht, wie sich inzwischen gezeigt hat. Denn das Muster in der Dispersion hatte sich zwar bei den ersten zehn Radiopulsen gezeigt, verschwand aber, je mehr der Radioblitze die Forscher fanden. Der Mensch neigt dazu, gerade in kleinen Mengen Muster auszumachen, die sich dann beim Anwachsen der Menge in statistisches Rauschen auflösen. Forscher halten gewaltige Eruptionen auf Neutronensternen mit extrem starken Magnetfeldern für die wahrscheinlichste Erklärung des Phänomens. Sie könnten über viele 100 Millionen Lichtjahre hinweg beobachtbar sein.

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