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Wissen: Auf diese Moderne können Sie bauen

Eine Ausstellung der TU Berlin lenkt den Blick auf bedrohte Nachkriegsbauten in der Bundeshauptstadt

Dem Schimmelpfeng-Haus oder dem Zoopalast droht die Abrissbirne. Das Zentrum am Zoo von Paul Schwebes und Hans Schoszberger muss eine entstellende Verschönerungskur über sich ergehen lassen. Viele denkmalgeschützte Bauten der Nachkriegsmoderne sind bereits aus dem Stadtbild verschwunden: darunter das Haus des Vereins der Berliner Kaufleute, das Ahornblatt, die Bewag-Hauptverwaltung oder die Kirche St. Raphael. Sie standen Neubauten im Weg und waren für eine neue Nutzung zu alt oder einfach zu bescheiden. Dass sie über eine hohe architektonische Qualität verfügten, hat sie ebenso wenig vor der Zerstörung bewahrt wie die Tatsache, dass sie einst von bedeutenden Ingenieuren oder Architekten errichtet wurden.

Ganz egal ob Ost oder West, die Stellung der Nachkriegsmoderne ist derzeit nicht sonderlich gut – nicht nur in Berlin. Bundesweit steht die Architektur des Wiederaufbaus unter Druck. Und mit ihr die städtebaulichen Konzepte der fünfziger und sechziger Jahre. Was einmal als Vision von einer neuen Stadt begonnen hatte, hat seinen Glanz verloren. Der Traum von der autogerechten Stadt ist als Albtraum erkannt worden. Doch das bedeutet im Gegenzug keineswegs, dass die gesamte Nachkriegsmoderne zur Disposition gestellt werden sollte. Schließlich ist die Architektur der Jahre zwischen 1945 und 1975 weit besser als ihr Ruf. Darauf macht ein Ausstellungsprojekt der TU Berlin unter dem Titel „Denkmal! Moderne“ aufmerksam. Die Federführung bei dem Fächer übergreifenden Gemeinschaftsprojekt haben die beiden TU-Professoren Adrian von Buttlar (Kunstgeschichte) und Gabi Dolff-Bonekämper (städtebauliche Denkmalpflege). Darüber hinaus sind auch das Architekturmuseum der TU und das Schinkelzentrum beteiligt.

„Am Anfang des Projekts stand ein Seminar zur Architektur des Wiederaufbaus in Berlin“, erinnert sich von Buttlar, der als Vorsitzender des Landesdenkmalrats bestens mit der Berliner Situation vertraut ist. In der Folge entstand die Arbeitsgemeinschaft „Gefährdete Nachkriegsmoderne“.

Die Ausstellung, die am Vorabend zur Langen Nacht der Wissenschaften im Architekturforum am Ernst-Reuter-Platz eröffnet wird, „stellt die Gefährdung, aber auch die Bewertung und Bewahrung qualitätsvoller Berliner Nachkriegsarchitektur vor“, erläutert von Buttlar. Dazu werden zehn Stationen eingerichtet, die den Besuchern durch Begriffe aus der medizinischen Diagnostik den Zustand der Bauten drastisch vor Augen führen. Unter „Exitus“ wird der abgerissene alte Plenarsaal im Reichstag ebenso präsentiert wie die Kirche St. Johannes Capistran. Beim Kaufhof am Alexanderplatz, den das Büro Kleihues umgebaut hat, lautet die Diagnose „Operation gelungen, Patient tot“. Dort ist von der Architektur der Nachkriegsmoderne mit ihrer Wabenfassade nichts mehr zu sehen. Das Haus des Lehrers am Alexanderplatz sowie der Berlin-Pavillon am Tiergartenrand haben dagegen durch eine „Organtransplantation“ ein neues Innenleben erhalten.

Doch die Ausstellung will auch aufzeigen, welche Alternativen es gibt, um denkmalwerte Bauten der Nachkriegsmoderne zu bewahren und sie energetisch und funktional zu optimieren. Dazu gehört das Studentendorf Schlachtensee von Hermann Fehling und Daniel Gogel, das durch den engagierten Einsatz einer Studenteninitiative vor dem Abriss gerettet wurde. Ein Paradebeispiel für eine denkmalgerechte Herrichtung eines Baus der fünfziger Jahre ist das ehemalige Kiepert-Haus an der Hardenbergstraße. Mit Schwung und luftiger Materialität bezaubert es auch nach seiner Restaurierung. Lange Zeit gefährdet schien ein Denkmal, das die TU Berlin selber nutzt: das Institut für Bergbau- und Hüttenwesen von Willy Kreuer am Ernst Reuter Platz, für das bereits eine überdimensionierte Neubauplanung von Hans Kollhoff vorlag. Inzwischen ist das Haus „auf dem Weg der Besserung“ und wird restauriert.

Für von Buttlar lautet die Kernthese der Ausstellung, dass mit dem Wandel der städtebaulichen Leitbilder die Nachkriegsmoderne weder Qualitäten noch Daseinsberechtigung verloren hat. „Gerade die Architektur des Wiederaufbaus schafft Identität und trägt als architektonisches Zeugnis zur Vielfalt der Stadt bei – auch wenn sich Charme und Qualität dieser Bauten manchem Betrachter nicht immer auf den ersten Blick erschließen.“ Auch hier will die Ausstellung weiterhelfen, in dem sie „die Ästhetik der zeittypischen Gestaltungsmerkmale vermittelt und zugleich auf die Umnutzungsproblematik aufmerksam macht“.

Jürgen Tietz

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