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Wissen: „Auf Sie selbst kommt es an!“

Klüger werden: Das geht auch im Bachelor. Eine Begrüßungsrede für Studienanfänger

Willkommen in der Welt der Wissenschaft! Die meisten Fächer an der Hochschule werden Ihnen, den Studienanfängern, nicht völlig fremd sein. Neu wird für Sie aber die Betrachtungsweise sein: Es gibt keine einfachen „Hammer-drauf-Nagel-drin“-Erklärungen mehr. Selbstverständlichkeiten werden infrage gestellt. Alte Theorien kommen auf den Prüfstand, neue werden entwickelt – oft ist es anstrengend, sie zu verstehen. Neu ist für Sie vor allem, dass Sie als Studentin oder als Student mehr Freiheiten haben werden als in der Schule. Es kommt also jetzt auf Sie an – egal, an welcher Hochschule Sie studieren oder wie genau Ihre Studienbedingungen sind. Denn zu zwei Dritteln beeinflussen Sie selbst, was Sie aus Ihrem Studium machen. Das ist die Quintessenz einer 1000-seitigen US-Studie über die Effekte, die ein Studium bestimmen.

Willkommen in der Eigenverantwortung. Das gilt auch noch in Zeiten von Bachelor und Master. Die deutschen Professorinnen und Professoren waren die Europameister in der Ablehnung dieses neuen Systems, wie eine Umfrage im Jahr 2007 zeigte. Bestimmt werden auch Sie bald auf Wissenschaftler treffen, die Ihnen gegenüber nicht verbergen, was sie von der Reform halten.

Ist die Lage so schlimm wie behauptet? Für Fachhochschulabsolventen ändert sich durch das etwas kürzere Studium im Bachelor beim Berufseinstieg wenig. Für die Bachelorabsolventen von Universitäten ist das anders. Das Studium ist mit dem Bachelor für die meisten deutlich kürzer geworden. Ein Studium bis zum Master, also bis zur Abschluss-Ebene der alten Abschlüsse, ist nicht mehr selbstverständlich. Für die Wirtschaft, die Studierenden und die Wissenschaftler an den Universitäten war das gewöhnungsbedürftig. So studierten von den Bachelorabsolventen des Studienjahres 2008/2009 anderthalb Jahre später 49 Prozent weiter (neben dem Beruf studierten weitere 36 Prozent). Nur 12 Prozent gingen voll in den Beruf. Von den Fachhochschulabsolventen hingegen war die Masse berufstätig (43 Prozent), 26 Prozent studierten neben dem Beruf, aber nur 27 Prozent konzentrierten sich ganz auf das Studium.

Fachhochschulen und Universitäten nähern sich an. Als vor vier Jahrzehnten die Fachhochschulen in Deutschland eingeführt wurden, kursierte noch der Witz: Der praktische Ingenieur kann eine Brücke bauen, weiß aber nicht, warum sie hält; der theoretische Ingenieur kann keine Brücke bauen, kann aber erklären, warum sie einstürzt. In den folgenden Jahren ist es immer wieder üblich gewesen, theoretische Versiertheit mit Weltfremdheit zu charakterisieren und das hohe Lied der Anwendungsorientierung zu singen. Das war politisch verständlich, weil lange Zeit zwei Drittel der Studienanfänger ein Studium an Universitäten und ein Drittel an Fachhochschulen aufnahmen, die privaten und öffentlichen Arbeitgeber im letzteren Bereich aber gern ein Wachstum gesehen hätten. Absolventenstudien zeigten jedoch, dass genauso viele Universitäts- wie Fachhochschulabsolventen berichteten, sie könnten das im Studium Erlernte gut im Beruf verwenden, und mehr Universitäts- als Fachhochschulabsolventen landeten in hohen Berufspositionen.

Der graduelle und nicht prinzipielle Unterschied zwischen Universitäten und Fachhochschulen – hier mehr Theorie, dort mehr praktisches Problemlösen – war früher etwas größer und ist in den letzten Jahren kleiner geworden: Deswegen gibt es keinen Unterschied mehr im Titel des (Bachelor-) Abschlusses, und deswegen ist es jetzt auch leichter für Fachhochschulabsolventen, nach dem ersten Studienabschluss weiter an einer Universität zu studieren, nämlich im Master.

„Exzellente“ Hochschulen beeindrucken die Arbeitgeber erst wenig. In Deutschland wurde vor einigen Jahren eine sogenannte „Exzellenzinitiative“ gestartet, und Rankings sind „sexy“. Es ist nicht neu, dass sich die Universitäten Deutschlands im Prestige und in den Forschungsmitteln unterscheiden; jetzt wird die Spitze sicherlich etwas spitzer. Aber nicht zu vergessen ist, dass die Hochschulen sich auch im Profil unterscheiden können und das vielleicht zunehmend.

Man sollte jedoch die Unterschiede in der Reputation der Hochschulen nicht überbewerten. Nur eine kleine Minderheit von Absolventen berichtet, dass bei der Entscheidung ihres Arbeitgebers, sie einzustellen, die besuchte Hochschule eine große Rolle gespielt hat. Diesen Eindruck haben nur 12 Prozent der Bachelorabsolventen 2008/09 von Universitäten, die ausschließlich berufstätig sind. Erstaunlicherweise kommt das häufiger bei den Fachhochschulabsolventen vor (18 Prozent), obwohl nicht so viel von Rängen der Fachhochschulen die Rede ist.

Internationalisierung: Noch vor gut zwei Jahrzehnten galt die Entscheidung für ein Studium im Ausland als exotisch. Das 1987 eingeführte Erasmus-Programm, mit dessen Hilfe heute jährlich über 150 000 Studierende in Europa ein oder zwei Semester im Ausland verbringen, trug zum Umdenken bei. Schon vor zehn Jahren konnten wir feststellen, dass etwa 15 Prozent der Studierenden in Deutschland irgendwann einmal eine Studienphase im Ausland verbringen. Die Einführung des Bachelor-Master-Systems seit 1999 sollte internationale Mobilität im Studium weiter erleichtern. Die Zahlen steigen weiter, aber wohl nicht so viel, wie zu Beginn des „Bologna-Prozesses“ erhofft worden war. Das im Bologna-Prozess für 2020 europaweit verkündete Ziel, 20 Prozent sollten im Laufe des Studiums – zeitweilig oder ganz – im Ausland studieren, ist bei den Absolventen von deutschen Universitäten jedenfalls schon übertroffen und bei den Fachhochschulabsolventen fast erreicht.

Beim Auslandsstudium ist „Lernen aus der Erfahrung von Kontrasten“ der wichtigste Effekt. Die Studierenden erkennen: Es gibt nicht nur eine Lösung. Entsprechend meinen die Arbeitgeber, dass Auslandserfahrene besser mit unbekannten Menschen und Situationen umgehen. Allerdings: Man kann auch zu Hause international kompetenter werden. Je internationaler die Welt wird, desto mehr können internationale Qualifikationen auch ohne Auslandsstudium zunehmen. Manche Hochschulen haben das explizit zum Ziel ihrer Angebote gemacht: Sie reden von „Internationalisation at Home“.

Wesentlich mehr Studierende: Immer mehr systematisches Wissen wird gebraucht, um Technologie und Wirtschaft voranzutreiben, die Gesellschaft lebenswerter zu machen und die Kultur zu fördern. Im Jahr 1995 waren noch 14 Prozent des Jahrgangs Hochschulabsolventen, im Jahr 2007 schon 23 Prozent. Wenn Sie den Abschluss machen, sind es vielleicht 30 Prozent.

Das Gerede von der Wissensgesellschaft hätten Sie allerdings missverstanden, wenn Sie nun glaubten, dass es eine Schwemme an Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte gibt. Wir haben bei früheren Absolventenstudien festgestellt: Etwa ein Drittel kommt auf Positionen, die vorher Hochschulabsolventen inne- gehabt haben; ein Drittel auf Positionen, deren vorherige Inhaber keinen Hochschulabschluss hatten; schließlich ein Drittel auf Positionen, die es vorher noch gar nicht gegeben hat. Das ist wahrscheinlich auch heute noch so.

Wir schätzen, dass etwa drei Fünftel oder sogar etwas mehr der Absolventen eine in der Position eindeutig studienadäquate, fachnahe und zufriedenstellende berufliche Situation erreichen werden. Etwa ein Fünftel werden nicht ganz die Positionen erreichen, die sie nach einem Studium erwartet hatten, aber berichten häufig, dass sie mit dem Erlernten im Beruf viel anfangen können. Nicht einmal ein Zehntel der Absolventen glaubt, dass ein Studium für ihre Berufstätigkeit überflüssig war.

Beruf: Umgestalter. Es ist doch ganz normal, dass die „Wissensgesellschaft“ mehr Hochschulabsolventen benötigt, aber dass mit der Hochschulexpansion die Privilegien der Absolventen gegenüber Erwerbstätigen ohne Hochschulabschluss im Durchschnitt sinken. Auf viele von Ihnen wartet im Beschäftigungssystem kein gemachtes Bett, sondern Sie sind als berufliche Umgestalterinnen und Umgestalter gefragt: Sie sollen helfen, dem Mehr-Wissen den Durchbruch zu sichern, damit vielleicht am Ende mehr Vernunft als jetzt in der Gesellschaft herrscht. Es lohnt sich, schon von Beginn des Studiums an daran zu denken.

Der Autor forscht am Internationalen Zentrum für Hochschulforschung (INCHER-Kassel). Der Artikel ist die gekürzte Fassung des Vortrags, den er am vergangenen Mittwoch an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) zum Semesterstart gehalten hat.

Ulrich Teichler

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