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Schlüsselübergabe des Charité-Hochhauses am 14. Juni 1982 mit Hans-Joachim Böhme, dem Minister für Hoch- und Fachhochschulwesen. Am Mikrofon rechts steht Jürgen Großer, der Protektor des Bereichs Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin.

© Institut für Geschichte der Medizin der Charité

Ausstellung: Das lange Schweigen der Charité

Endlich wagen sich Wissenschaftler an die DDR-Geschichte des Klinikums heran – mit einer Ausstellung zum 300. Jubiläum.

„Die Vergangenheit ist mit dem Mantel der Geschäftigkeit zugedeckt. Sie zu vergessen schadet dem Ruf der Charité . . . Nichts wäre für die weitere Entwicklung der Charité schädlicher als die Verdrängung der letzten 40 Jahre.“ Diese mahnenden Sätze formulierte die „Initiativgruppe Charité-Erneuerung“ in ihrem Positionspapier vom 4. November 1990. Nachzulesen ist das Manifest jetzt in der Ausstellung „Die Charité zwischen Ost und West 1945–1992 – Zeitzeugen erinnern sich“ im Berliner Abgeordnetenhaus. Mit der Ausstellung beginnt sich die Charité ihrer Vergangenheit zu stellen – genau wie es sich die „Initiativgruppe“ damals gewünscht hatte.

Anlass ist das 300. Jubiläum der Charité. Da solle man nicht nur die großen medizinischen Verdienste der Einrichtung feiern, sondern sich vergegenwärtigen, dass sie immer auch eine politische Institution gewesen sei, sagte Charité-Chef Karl Max Einhäupl zur Eröffnung. Positiv sei das in der Blütezeit der international ausstrahlenden Berliner Medizin gewesen, negativ während der Zeit des Nationalsozialismus.

„Wissenschaft braucht Freiheit“, sagte Einhäupl. Werde sie ideologisiert, in Diktaturen instrumentalisiert, zentral gelenkt, theoretisch gleichgeschaltet und von der wissenschaftlichen Welt abgeschottet, dann habe sie keine Chance, sich international zu behaupten. Einhäupl forderte den Projektleiter fürs Charité-Jubiläumsjahr und Initiator der Ausstellung, den Medizinhistoriker Reiner Felsberg, auf, weiterzuforschen: „Die Aufarbeitung der Charité-Geschichte 1945 bis 1992 ist ein Desiderat!“

Aber an die zahlreichen mehr oder weniger subtilen Repressionen zu DDR-Zeiten möchten sich viele heute nicht mehr erinnern, sagte Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, von der die Ausstellung finanziell gefördert wurde. Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, äußerte sich erfreut darüber, dass der sehr große und informative Aktenbestand ihres Archivs zur Charité von den Historikern nun genutzt werde. Allein für diese Ausstellung seien 27 500 Seiten durchgesehen worden.

Zwei Wissenschaftler des Charité-Instituts für Geschichte der Medizin, Rainer Herrn und Laura Hottenrott, haben 27 Zeitzeugen befragt, die in verschiedenen Positionen in der Charité tätig waren oder sind, und einige Externe. Dokumente und Fotos ergänzen die Interviewauszüge, die zum Teil auch als Klangcollage diese „Lese-Ausstellung“ einhüllen. Um die Ecke in einer Sitznische der Wandelhalle kann man aber auch mit Kopfhörern in die Gespräche hineinlauschen und sich in Ruhe lesend informieren.

Die intensive Observation der Krankenstadt ist nur einer von sieben Themenkreisen. Die anderen betreffen das soziale Miteinander in der Heimat Charité, die Patientenversorgung unter schwierigen Bedingungen trotz aller Privilegien, die politischen Einflüsse auf Forschung und Lehre, die Lage der Charité hart an der Berliner Mauer, Fluchten und Ausreiseanträge, die Charité als Prestige-Klinikum der DDR und schließlich die Charité in den Medien von Ost und West. Da sind auch die Lobeshymnen zum 250. Charité-Geburtstag nachzulesen – und der einzige Versuch, einer (recht harmlosen) Kritik in einer Sondernummer des Satiremagazins „Eulenspiegel“. Sie wurde sofort eingestampft.

Wem diese sehr informative, aber etwas spröde Ausstellung zu anstrengend ist, der ist sehr gut bedient mit dem üppig illustrierten Begleitbuch. Dort werden die Interviews nach Themen geordnet klug kommentiert – ein erster Versuch, subjektive „oral history“ und objektive Geschichtsbetrachtung unter einen Hut zu bringen. Da äußert sich der Kinderchirurg und Nach-Wende-Dekan Harald Mau, einer der Erneuerer und Retter der Charité vor der „Abwicklung“, aber auch der Urologe Moritz Mebel vom ZK der SED, der noch heute den Schießbefehl an der Mauer zu billigen scheint. Nur die Stasi-Mitarbeiter verweigerten das Gespräch.

„Die Geschichte der Charité während der Zeit der sowjetischen Besatzung und der DDR ist bis heute kaum wissenschaftlich erforscht“, schreibt Sabine Schleiermacher in ihrem Bericht über die Literatur zur Charité. Sogar das anlässlich des Jubiläums erschienene Charité-Buch von Johanna Bleker und Volker Hess lässt das letzte halbe der 300 Jahrhunderte einfach weg.

Die Charité-Ausstellung im Berliner Abgeordnetenhaus ist bis zum 31.Oktober, in der Regel montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Das Begleitbuch: Die Charité zwischen Ost und West 1945–1992 – Zeitzeugen erinnern sich. Hrsg. Rainer Herrn und Laura Hottenrott. Bebra Verlag, Berlin 2010. 256 Seiten, 24,95 Euro.

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