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Ausstellung: Die Weisen von Timbuktu

Timbuktu in der Sahelzone war ein geistiges Zentrum - vor einigen hundert Jahren. Davon zeugt jetzt eine Berliner Ausstellung.

Ein Ort muss immer herhalten. Wenn man ausdrücken möchte, dass etwas ganz weit weg ist und fernab der modernen Welt, dann benutzt man gerne Timbuktu. Eine afrikanische Oasenstadt im Nordosten von Mali, am südlichen Rand der Sahara. Dabei war sie im 14. und 15. Jahrhundert ein intellektuelles Zentrum in der islamischen Welt. Noch heute zeugen kostbare Manuskripte davon – und widerlegen damit europäische Vorurteile, die Schriftkultur sei erst mit der Kolonisierung auf den afrikanischen Kontinent gekommen.

Die Handschriften sind Timbuktus großer kultureller Schatz. „Sie sind der Beweis, dass Schwarze eben doch eine Geschichte haben, dass wir Anteil haben an der Zivilisation der Welt“, sagt Mohamed Diagayeté. Er ist Religions- und Literaturwissenschaftler und arbeitet am Forschungszentrum Ahmed Bab in Timbuktu, benannt nach einem Gelehrten, der im ausgehenden 16. Jahrhundert dort wirkte. 1970 wurde das Ahmed-Bab-Institut auf Initiative der Unesco gegründet. Hier werden die Schriftstücke, inzwischen 30 000 Stück, katalogisiert, restauriert und digitalisiert. Das älteste datierte Dokument stammt aus dem Jahr 1204. Doch die Wissenschaftler sind weiterhin auf der Suche nach alten Schriftstücken. „Keiner traut sich zu schätzen, wie viele noch irgendwo verborgen sind“, sagt Diagayeté. Ein Großteil ist immer noch in Besitz von Familien, erzählt der Wissenschaftler. Viele wüssten nicht um deren Wert, andere wollen sie nicht hergeben.

In diesem Jahr feiert Mali seine Unabhängigkeit zum 50. Mal. Aus diesem Anlass hat Diagayeté eine kleine Auswahl an Manuskripten zusammengestellt und ist mit ihnen nach Berlin gereist. Die viertägige Schau in der Friedrich-Ebert-Stiftung wird am heutigen Montagabend eröffnet. Die Schriftstücke sind zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Darunter befindet sich auch eine königliche Korrespondenz, in der Heinrich Barth erwähnt wird, ein deutscher Ethnologe, der 1853 nach Timbuktu reiste und die Manuskripte studierte. Barth wies damals bereits auf die Schriftkultur der Afrikaner hin. Zu der Zeit war jedoch die Hochzeit der einst wirtschaftlich und kulturell prosperierenden Stadt längst vorbei. Heute ist Timbuktu eine der ärmsten Städte in der Sahelzone. „Bedauerlich“, sagt Diagayeté knapp. Gleichwohl halten noch immer Kalligrafen die Tradition hoch. Die einst tolerante Stadt Timbuktu im Nigertal, mit einem Gastrecht für alle Völker und Religionen und Dreh- und Angelpunkt des Karawanenhandels, hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Erst eroberte Marokko das Gebiet, später kamen die französischen Kolonialherren.

Immer wieder wird von der mittelalterlichen Universität Timbuktus gesprochen. Den Begriff findet Diagayeté nicht passend. „Sie dürfen sich das nicht so vorstellen wie eine heutige Universität mit Fakultäten und Gebäuden“. Eher wie ein intellektuelles Zentrum „mit Gelehrten, die enzyklopädisches Wissen besaßen“. Sie trafen sich in der Moschee, tauschten sich aus, lehrten dort. Die Manuskripte in arabischer Schrift sind teilweise Aufzeichnungen dieser Unterredungen, genauso wie Gerichtsurteile, Gedichte, astronomische Berechnungen, Abschriften des Koran – oder Zeugnisse des alltäglichen Lebens: Überlegungen zum Tabakkonsum oder medizinische Ratgeber bei Knochenbrüchen und Zahnweh. Zwei Arten von Schriftstücken unterscheiden die Forscher: Jene, die in der Region entstanden sind, und jene, die über die großen Handelsstraßen aus vielen Teilen der arabischen Welt hierher kamen.

Die größte Arbeit steht den Wissenschaftlern noch bevor: das ganze Material auszuwerten und Rückschlüsse auf das damalige Leben ziehen. „Jeden Tag werden wir uns bewusst, dass wir eigentlich noch nichts wissen“, sagt Diagayeté. Er erhofft sich, die Geschichte Westafrikas komplett umschreiben zu können, eines Tages.

Friedrich-Ebert-Stiftung, Hiroshimastraße 17 (Tiergarten), Eröffnung am 20. 9., 18 Uhr, bis 24. 9., 7 bis 21 Uhr.

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