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Ausstellung zu NS-Häftlingen: Menschen als Material

Im Mittelpunkt der Beschäftigung mit dem NS-Regime steht der systematische Massenmord. Zu den weniger präsenten Kapiteln des Unrechtsregimes zählen die so genannten Sippen- und Sonderhäftlinge, deren Geschichte das Museum Steglitz aufarbeitet.

Insgesamt 139 prominente politische Häftlinge und deren Angehörige ließ der „Reichsführer-SS“ Heinrich Himmler Ende 1944 nach Tirol bringen, in die „Alpenfestung“, die einen uneinnehmbaren Rückzugsort bilden sollte. Man wollte die Häftlinge als Geiseln in möglichen Verhandlungen mit den Alliierten einsetzen. Das Heimatmuseum Berlin-Steglitz zeigt jetzt eine Ausstellung, die diesen Verfolgten gewidmet ist. Unter dem Titel „Rückkehr ins Leben“ werden Fotos, Karten und Skizzen von Lagern und Todesmärschen gezeigt.

Schon 1942 hatte Himmler die Zusammenlegung von potenziellen Geiseln unter den Juden angeordnet. KZ-Häftlinge, die einflussreiche und vermögende Verwandte in den USA hatten, sollten trotz Zwangsarbeit am Leben erhalten werden. Die Sonder- und Sippenhäftlinge, die nach Tirol verschleppt wurden, stammten im Wesentlichen aus anderen Gruppen: Es handelte sich zum einen um Politiker aus den besetzten Ländern, die häufig mit ihren Ehefrauen festgehalten wurden. Sie sollten gegen Gefangene oder Devisen ausgetauscht werden. Aus Frankreich gehörten der einstige Regierungschef Édouard Daladier sowie General Maxime Weygand, der ehemalige Oberbefehlshaber, dazu. Aus Österreich teilte der ehemalige Kanzler Kurt Schuschnigg dieses Schicksal, aus Ungarn der einstige Ministerpräsident Miklos Kallay. Die Liste der prominenten deutschen Sonderhäftlinge reichte von Familienangehörigen des 20.-Juli-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg und der Familie Goerdeler bis zu einst Prominenten Helfern Hitlers, die später in Ungnade gefallen waren. Dazu gehörten der einstige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Hitlers Generalstabschef während der „Blitzkriege“, Franz Halder. Auch die Steglitzer Pastoren Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer wurden als Sonderhäftlinge geführt. Bonhoeffer wurde jedoch auf dem Marsch nach Tirol im KZ Flossenbürg wegen seiner Kontakte zum Widerstand hingerichtet.

Als Folge des Vormarsches der sowjetischen Truppen waren viele Sippen- und Sonderhäftlinge Ende 1944 aus Lagern im Osten zunächst über Norddeutschland ins KZ Dachau geleitet worden. Am 24. April kam der erneute Marschbefehl von Dachau nach Südtirol, in die von den Nazis propagierte „Alpenfestung“. Mit Bussen und Lastwagen vollzog sich eine dramatische „Flucht“ vor den anrückenden amerikanischen Armeen – nach Wörgl, an den Plansee und an den Pragser Wildsee. Zuletzt waren die Geiseln in Niederdorf im Pustertal interniert. Ein Häftlingskomitee, unterstützt von Wehrmachtsoffizieren, konnte die SS schließlich überzeugen, die Internierten freizugeben. Sie wurden im alten Grandhotel „Pragser Wildsee“ untergebracht, wo sie am 4. Mai die US-Armee befreite.

So kam es nicht mehr zu jenem vom der SS geplanten Handel, prominente Häftlinge gegen Devisen auszutauschen, mit denen das Leben in der „Alpenfestung“ finanziert werden sollte. Selbst als Basis für die neue „Wunderwaffe“ der Deutschen, die Düsenflugzeuge, wurde die Gegend gerüstet. Im Ötztal war ein riesiger Windkanal für Testflüge errichtet worden. Auch anderes „kriegswichtiges Material“ wurde dort gesammelt. Die Ausstellung verdeutlicht, dass die prominenten Häftlinge dem menschenverachtenden Regime als ebensolches Material galten, das ihm bis zum letzten Augenblick dienen sollte. Uwe Schlicht

- Ausstellung bis zum 30. April im Steglitz Museum, Drakestraße 64a; montags 16 bis 19 Uhr, mittwochs 15 bis 18 Uhr, sonntags 14 bis 17 Uhr; Eintritt frei.

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