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Am Tahrir. Die Teilnehmer der Sommerakademie zu „Ästhetik und Politik“ studieren die Graffiti an der Wand der Amerikanischen Universität in Kairo.

©  Georges Khalil

Austausch mit Ägypten: Ein Workshop auf dem Tahrir-Platz

Hip-Hop, Graffiti und Postkolonialismus: Junge Wissenschaftler in Kairo zeigen, wie der Dialog zwischen den Kulturen funktionieren kann. Organisiert wurde die Sommerakademie vom Berliner Forum transregionale Studien.

Aus dem „Armenian Room“ auf dem historischen Campus der Amerikanischen Universität (AUC) direkt am Tahrir-Platz schallt Hip-Hop-Musik. Igor Gatzsche aus Hamburg stellt bei der Sommerakademie des Berliner Forums für transregionale Studien sein Promotionsprojekt vor: „Hip-Hop im Arabischen Frühling: Revolte und Religion“. Dazu spielt der Islamwissenschaftler und Politologe zwei Videoclips des tunesischen Rappers „El Général“ vor.

Das eine, in dem der Musiker sich direkt an den Diktator Ben Ali wendet und ihm die Misere des Volkes entgegenschreit, wurde zur Hymne der Revolution und auch im Westen gefeiert. Das zweite, nach dem Sturz Ben Alis Ende Januar 2011 ins Netz gestellt, heißt „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) und fordert die Muslime auf, sich auf den Koran zu besinnen statt Marilyn Monroe anzuhimmeln. Sie sollen zum Märtyrer werden angesichts der Demütigung muslimischer Gesellschaften in Irak oder Palästina.

Die europäischen Teilnehmer der Sommerakademie sind entsetzt über den Paradigmenwechsel, wittern Antisemitismus und sprechen von einem Jihad-Aufruf. Die arabischen Teilnehmer dagegen sehen gar kein religiöses Video. Sie erkennen ein „singing back“ analog zum „writing back“ (Zurückschreiben), einer Strategie postkolonialer Autoren, die sich kritisch mit kolonialen Konstruktionen von Kultur und Identität auseinandersetzen, die bis heute in Medien, Literatur und Wissenschaft reproduziert würden.

Etwa 800 Meter entfernt tobt vor der US-Botschaft in Kairo der Kulturkampf und noch immer protestieren Hunderte radikaler Ägypter gegen einen islamfeindlichen Film. Das Forum transregionale Studien und dessen Arbeitskreis „Europe in the Middle East – the Middle East in Europe“ (EUME) demonstriert derweil mit seiner interdisziplinären Sommerakademie für Nachwuchswissenschaftler in Kairo, wie Dialog und Austausch funktionieren können. In Kooperation mit der Amerikanischen Universität in Kairo (AUC) und der Cairo University sind die Workshops und Vorträge unter dem Thema „Ästhetik und Politik – Gegen-Narrative, neues Publikum und die Rolle von Dissens in der Arabischen Welt“ das „in-thing“ in Kairo im September. So beschreibt es ein Besucher des öffentlichen Vortrags des libanesischen Schriftstellers Elias Khoury über die Rolle von Intellektuellen in den Revolutionen. Nur durch eine Mauer vom Tahrir-Platz getrennt arbeiten hier deutsche und europäische, amerikanische und arabische Nachwuchswissenschaftler gemeinsam an Fragen und Themen. Die unterschiedlichen Blicke und Sichtweisen empfinden sie als Bereicherung, nicht als Bedrohung.

„Hier wird miteinander geforscht, nicht übereinander“, erklärt Georges Khalil, wissenschaftlicher Koordinator des Forums, das Konzept. „Europa ist kleiner geworden im Vergleich zum 19. Jahrhundert“, darauf müsse sich auch die sozialwissenschaftliche Forschung einstellen, die in Deutschland inhaltlich deutlich internationaler werden müsse. Das klappe am besten, wenn man über Kontinente und Regionen hinweg Themen von beiderseitigem Interesse erarbeite.

Draußen tobt der Kulturkampf, in der Uni diskutiert man auf Augenhöhe.

Die Leiterin des Zentrums für Übersetzungen an der Amerikanischen Universität, die Professorin für Arabische Literatur Samia Mehrez, ist begeistert von der Kooperation. „Wir sind alle Übersetzer“, sagt sie zur Eröffnung der Sommerakademie. Dabei gehe es nicht nur um sprachliche Übungen, sondern um einen „Prozess von Verhandlungen zwischen Kulturen“.

Dieser neue Forschungsstil wird bereits seit Jahren im Arbeitskreis EUME gepflegt, der bisher am Wissenschaftskolleg angesiedelt war und nun aufgegangen ist im 2009 gegründeten Forum für transnationale Studien, das außerdem in den Bereichen Rechtskulturen, Zukunftsphilologie und Global Players jährliche Fellowships vergibt. Hier setzt man auf Köpfe und Individuen.

Die Professorin für englische und vergleichende Literatur, Randa Abou-Bakr, von der Cairo University ist einer dieser Köpfe. 2004 war sie selbst Teilnehmerin der ersten EUME-Sommerakademie in Alexandrien, heute betreut sie die Nachwuchswissenschaftler. Zwischendurch hatte Abou-Bakr ein Humboldt-Stipendium und ist „so in europäische Forschungszirkel gerutscht, mit denen wir bis heute kooperieren“. Der jüngste Plan ist, sie nach Marburg an das interdisziplinäre Zentrum für Nahost- und Mitteloststudien der Phillips-Universität zu holen und gleichzeitig einen Studentenaustausch zu organisieren.

Beeindruckt ist die ägyptische Professorin bis heute von der „selbstlosen“ Natur deutscher Forschungsstipendien, die einen nicht dazu verpflichteten, allein über Deutschland zu forschen. „Das ist ein deutsches Phänomen“, sagt Randa bewundernd.

In den historischen Seminarräumen der 1919 gegründeten AUC, die die erste englischsprachige Universität in der Region war, wird auf Augenhöhe miteinander umgegangen. Doch außerhalb dieser Mauern tobt auch nach der Revolution der Kampf um die eigene Identität, die Frage nach Moderne und Authentizität, nach dem Verhältnis von eigener und westlicher Kultur.

Die Wände der amerikanischen Universität, die direkt auf dem Tahrir-Platz liegen, zeugen davon. Die Graffitikünstler, welche die Revolution hervorgebracht hat, haben hier getöteten Demonstranten, genannt „Märtyrer“, Denkmale gesetzt. Beweint werden sie von Trauerweibern, wie sie in pharaonischen Gräbern zu finden sind. Gleichzeitig sind aufreizend gekleidete Frauen à la Superwoman zu finden, die sich mit einem Spray gegen sexuelle Belästigung zur Wehr setzen. Daneben finden sich Koranverse und religiöse Zeichen wieder.

Darin sieht die in der Schweiz lebende ägyptische Kunsthistorikerin Nadia Radwan einen entscheidenden Unterschied zum „kulturellen Erwachen“ Ägyptens in den Jahren um 1900. „Damals wurde das islamische Erbe ausgeblendet. Ägyptische Maler und Bildhauer wurden in Europa ausgebildet und als erste wirkliche Künstler seit den Pharaonen vorgestellt.“ Der junge ägyptische Anthropologe Yakein Abdelmagid will den Enthusiasmus einfacher Ägypter für Performances, Kunst und Selbstdarstellungen untersuchen, die integraler Bestandteil der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz während der Revolution und danach waren.

Persönliche Bande, die zu langfristigem Austausch führen, das Betonen gemeinsamer Interessen und der Austausch auf Augenhöhe kennzeichnen diese Forschungszusammenarbeit. Sie könnte ein Modell auch für andere Bereiche der Kooperationen mit der arabischen Welt und weiteren Regionen sein.

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