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Tochter zweier Mütter. Die Charité ist eigentlich die gemeinsame medizinische Fakultät von FU und HU. Doch tatsächlich funktioniert sie wie eine selbstständige medizinische Hochschule - zum Nachteil von Forschung und Lehre, meint FU-Präsident Alt.

© ZB/Jan Woitas

Berliner Charité: Nieder mit der Mauer zwischen den Universitäten und der Medizin

Die aktuellen Konflikte an der Charité zeigen: Die sie tragenden Universitäten und die Medizin müssen enger zusammenrücken, fordert FU-Präsident Peter-André Alt in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel.

Unter den 108 deutschen Universitäten führt ein knappes Drittel medizinische Fakultäten. Einen Sonderfall im durchaus nicht einheitlichen Spektrum der Hochschulmedizin stellt die Berliner Charité dar. Seit 2003 wird sie gemeinsam von Freier Universität und Humboldt-Universität getragen. Die Mutteruniversitäten haben drei Klinika in diese Ehe eingebracht: die HU den Standort Berlin-Mitte, die FU das Virchow-Klinikum und das Klinikum Benjamin Franklin in Steglitz. Rein formalrechtlich ist die Charité eine Art Zwischenwesen. Als Körperschaft repräsentiert sie eine Einrichtung des Landes Berlin, als Gliedkörperschaft bildet sie einen Teil – nämlich die gemeinsame medizinische Fakultät – der beiden Universitäten. In vielen Punkten ist die Charité allerdings eine Medizinische Hochschule, die ihre budgetären und wissenschaftlichen Grundentscheidungen ohne Mitwirkung der beiden Universitäten trifft. Von der klassischen Rollenverteilung, wie sie zwischen Universitäten und Medizinfakultäten an anderen Standorten existiert, bleibt im Berliner Modell kaum noch etwas übrig.

FU und HU haben an der Charité deutlich an Einfluss verloren

Als die Freie Universität 2003 auf Veranlassung des damaligen Berliner Senats ihre Steglitzer Universitätsmedizin in die Charité überführen musste, wurde eine gesetzliche Konstruktion gefunden, die für beide Hochschulen ein gewisses Maß an Einfluss auf die zentralen Steuerprozesse vorsah. Die Präsidenten der Universitäten waren Mitglieder im Aufsichtsrat und leiteten abwechselnd den Medizinsenat. Im Dezember 2005 wurde das Universitätsmedizingesetz novelliert, um genau diesen Einfluss erheblich zu beschränken. Die Präsidenten verloren ihren Sitz im Aufsichtsrat, in dem jetzt allein die beiden Senatoren für Wissenschaft und Finanzen, Repräsentanten der Gesundheitswirtschaft und der medizinischen Wissenschaft sowie die Vertreter der hauptamtlich in der Charité Beschäftigten Sitz und Stimme hatten.

Fortan blieb den Präsidenten nur die Leitung des Medizinsenats, dessen Aufgaben seit 2003 deutlich limitiert sind. In allen wichtigen Handlungsfeldern – Berufungsangelegenheiten, Strukturplanung, Lehrkonzeption – kann der Senat lediglich „Stellungnahmen“ abgeben, wie es im Gesetz heißt. Die Weichen werden anderswo gestellt – die Fakultät entscheidet über die akademische Selbstergänzung, der Vorstand steuert den Gesamtwirtschaftsplan und die „Verwirklichung der Unternehmensziele in Forschung und Lehre“.

Es handelt sich um eine Feigenblatt-Konstruktion

Man muss sich fragen, was das Modell der Teilkörperschaft überhaupt leisten kann, wenn die Universitätsleitungen auf ihre medizinische Fakultät an keiner Stelle irgendeinen nennenswerten Einfluss nehmen dürfen. Im Grunde handelt es sich nur um eine Feigenblatt-Konstruktion, die notdürftig kaschiert, dass der derzeitige Status der Charité der einer eigenständigen Hochschule ist.

Die Charité bildet eine außerordentlich erfolgreiche Einrichtung, die in den vergangenen Jahren ihre internationale Wirkung und Reputation nochmals erheblich gesteigert hat. Sie betreibt acht Sonderforschungsbereiche, ein Exzellenzcluster, zwei Exzellenzgraduiertenschulen, diverse internationale Programme; sie beruft auf hohem Niveau und fördert ihren Nachwuchs klug. Das alles ist ihren Mitgliedern, nicht zuletzt ihren Leitungspersönlichkeiten zu verdanken – dem Vorstandsvorsitzenden ebenso wie der Dekanin.

Die Charité hat sich von ihren Universitäten zu stark entfernt

Zugleich aber zeigt sich bei der Planung gemeinsamer Verbundvorhaben immer wieder, dass die Charité sich von ihren Universitäten zu stark entfernt hat. Vieles, auch in der Lehre, läuft nebeneinander und nicht miteinander. Synergien im personellen wie infrastrukturen Bereich werden gut, doch keinesfalls optimal genutzt. Und vor allem: Bei Konflikten zwischen Klinik und Forschung, wie sie für jede Hochschulmedizin typisch sind, fehlt eine Zwischeninstanz, die vermitteln kann. Wo die Medizinfakultät ein echter Teil der Universitäten ist, fällt es den Präsidien zu, für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen. Der jüngste Charité-Streit über die Verwendung von Forschungs-Overheads, bei dem es letzthin um buchungstechnische Fragen der Budgetführung ging, hat sichtbar gemacht, wie dringend eine solche Ausgleichsfunktion im bestehenden System erforderlich wäre.

Eigenständige Medizinische Hochschulen - in den USA hält man das für falsch

In Österreich und den USA sieht man die Gründung eigenständiger Medizinischer Hochschulen inzwischen als Fehler an. Die Hochschulrektorenkonferenz formulierte bereits im Juni 2005: „An Medizin führenden Universitäten muss die Medizin als ein für die wissenschaftliche Produktivität der gesamten Universität wichtiger Teilbereich nicht separiert, sondern akademisch und organisatorisch eng in den Fächerverbund integriert geführt werden.“ Auch in Berlin sollte man daher die Trennung von Universitäten und Hochschulmedizin nicht weiter befördern.

Auf welche Weise kann gegengesteuert werden? Ein richtiger Schritt wäre es, den Präsidenten von Freier Universität und Humboldt-Universität jeweils einen Platz im Aufsichtsrat zuzugestehen, wie es bis zum Dezember 2005 der Fall war. Der Moment dafür ist günstig, denn das Universitätsmedizingesetz steht ohnehin zur Novellierung an. Nutzen wir also die Chance, die Charité wieder zu einer echten Teilkörperschaft beider Universitäten zu machen. Sie verliert dadurch keine Gestaltungsspielräume, aber sie gewinnt die Möglichkeit, sich stärker als bisher an den Energiekreislauf ihrer Mutteruniversitäten anzuschließen. Schlecht würde sie damit nicht fahren, denn die sind nachweislich exzellent und haben in den letzten Jahren gelernt, wie man zum wechselseitigen Nutzen miteinander zusammenarbeitet.

„Eingebundene Souveränität“, so lautete die Formel, mit der die Hochschulrektorenkonferenz 2005 die Rolle der Universitätsmedizin in Deutschland beschrieb. Wahre Souveränität erkennt man daran, dass sie durch Einbindung nicht schwächer, sondern stärker wird. Auch in Berlin sollte das gelten.

- Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.

Peter-André Alt

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