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Studierende stehen gedrängt an der Tür zu einer Vorlesung

© Mike Wolff

Hochschulpolitik in Berlin: Aufschrei von Professoren: "Danke, es reicht!"

Professor in Berlin - das kommt einem Traumjob sehr nahe. Dachten unsere Gastautoren zumindest. Doch da kannten sie die Berliner Hochschulpolitik noch nicht. Eine Abrechnung.

1. Die Wiedergeburt der Tonnenideologie

Die alte Tonnenideologie des „immer mehr!“ – von vielen zu Recht für eine längst überholte Sache von gestern gehalten – gibt in der Berliner Hochschulpolitik die Richtung vor. Seit Jahren erleben wir eine deutliche Zunahme der Zahl der Studierenden, jedes Jahr aufs Neue, der Trend zeigt nach oben. Skeptiker haben von Anfang an gewarnt, dass die universitären Kapazitäten bald an ihre Grenzen stoßen würden. Wir in den Universitäten haben anfangs geglaubt, was uns die Landespolitik suggeriert hat: dass Erhöhungen sein müssten, um die doppelten Abiturjahrgänge oder die Folgen der ausgesetzten Wehrpflicht aufzufangen.

Inzwischen wissen wir, dass die Ausnahme zur Regel geworden ist. Hinter den immer weiter steigenden Zulassungszahlen steckt aufseiten des Berliner Senats Methode. Denn mehr Geld bekommen die Hochschulen nicht, um immer mehr Studierende gut ausbilden zu können; im Gegenteil, ihnen drohen finanzielle Einbußen, wenn sie ihre Lehrkapazitäten realistisch abwägen und nicht so viele Studierende aufnehmen würden, wie es die Landespolitik verlangt. Der Senat finanziert über den Hochschulpakt aus Bundesmitteln die Grundbudgets der Hochschulen, die Zulassungszahlen werden so zum Damoklesschwert. Ein Kollege von uns brachte es auf den Punkt: „In Berlin schafft man Studienplätze, indem man aufschreibt, dass es sie gibt“.

Ohne die Drittmittel, die für Forschungsprojekte (!) eingeworben werden, stünden wir in der Lehre noch schlechter da: Viele unserer jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten beschäftigt sind, übernehmen auch Aufgaben in der Lehre. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, denn sie können so Erfahrung in der Lehre sammeln und auf diese Weise ihre akademische Karriere voranbringen. Aber eigentlich sollen sie forschen und ihre Qualifikationsarbeiten zügig abschließen.

Angesichts überfüllter Lehrveranstaltungen sind Frustrationserfahrungen gerade bei jüngeren Lehrenden programmiert, bei gestandenen Professorinnen und Professoren macht sich Ratlosigkeit, wenn nicht Resignation breit. Professor Geert Keil, Direktor des Philosophischen Instituts, berichtet: „Eine Mitarbeiterin war so heroisch, ein Seminar über den französischen Existenzialismus anzubieten, ein selten unterrichtetes Thema. Nun sitzt sie dort mit 100 Studenten, musste vom Seminarraum in einen Hörsaal umziehen und wird zum Semesterende 70 bis 80 Seminararbeiten auf den Tisch bekommen. Die Arbeiten haben einen Umfang von 20 Seiten. Wenn sie die 1500 Seiten gewissenhaft liest und bewertet, kann sie in der gesamten vorlesungsfreien Zeit nicht forschen. Was soll ich ihr raten?“ Die Zahl der Studierenden im Bachelorstudiengang Philosophie hat sich seit 2006 beinahe vervierfacht, ein Ende dieses Trends ist nicht absehbar.

Anderes Beispiel, andere Fakultät: An der Juristischen Fakultät wurden seit 2010 die Anfängerzahlen pro Jahr von 330 auf über 450 gesteigert. Ein Jurastudium dauert im Durchschnitt fünf Jahre, so dass sich die Zahl der Studierenden dadurch insgesamt um rund 600 erhöht. Immerhin – muss man sagen – erhielt die Fakultät zwei zusätzliche Professuren. Einem Aufwuchs von über 25 Prozent bei den Studierenden steht trotzdem nur ein Plus von mageren sechs Prozent bei den Semesterwochenstunden der Professoren gegenüber. Und während der Aufwuchs in den Hochschulverträgen mittelfristig garantiert werden musste, laufen die zusätzlichen Professuren nach fünf Jahren aus. Für ihre Verstetigung fehlt wohl das Geld.

2. Fernstudium mal anders

Die junge Mitarbeiterin, von der Geert Keil berichtet, hat noch Glück: Ihr Hörsaal ist groß genug (dass Seminare, die den intensiven Austausch brauchen, in einem Hörsaal nicht gelingen können, wird sie bei dieser Gelegenheit auch lernen). Viele Kollegen unterrichten in überfüllten Räumen; Seminare oder Vorlesungen, denen Dutzende von Studierenden vom Gang aus beiwohnen, sind keine Seltenheit. Unter Fernstudium haben sie sich wahrscheinlich etwas anderes vorgestellt als ihre Dozentinnen und Dozenten nur aus der Ferne zu erleben. An wissenschaftliche Diskussionen und Gespräche ist unter solchen Umständen nicht zu denken.

Auch die Fachbibliotheken, die elementar für den Studienerfolg sind, bieten viel zu wenige Arbeitsplätze. Die Studierenden stehen daher schon lange vor der morgendlichen Öffnung Schlange, nur um an einen Platz und ihre Bücher zu kommen. Mensen sind überfüllt, Labore beengt, Hörsäle können nicht genutzt werden, weil sie die Brandschutzauflagen nicht erfüllen. Die Landespolitik hat vor dem Bau- und Renovierungsbedarf der Berliner Universitäten offensichtlich kapituliert.

3. Der Lehrerbildungswitz

Die Situation in den Lehramtsstudiengängen kann man, je nach Temperament, skandalös, beschämend oder grotesk finden. Längst hat die Landespolitik bei der Ausbildung künftiger Lehrerinnen und Lehrer zugunsten rein quantitativer Steigerungen jeden Anspruch auf qualitätsvolle Studienbedingungen aufgegeben.

Ein Beispiel aus den Geschichtswissenschaften: Die Auslastung des Master of Education liegt hier bei 270 Prozent. Thomas Sandkühler, der einzige Professor für Geschichtsdidaktik, ist mit der Betreuung von Schulpraktika und Abschlussarbeiten vollkommen überlastet, an eigene Forschung ist für ihn kaum noch zu denken.

Während normalerweise nur die besseren Bachelor-Studierenden ein Masterstudium anschließen können, dürfen die angehenden Lehrerinnen und Lehrer unabhängig von ihren Leistungen einen Lehramts-Master machen, weil sie sonst keinen berufsqualifizierenden Abschluss hätten. Hier ist die Berufsqualifikation mittels Bachelor vollends ein Mythos. Lehrerinnen und Lehrer müssten besser ausgebildet sein, das wird unter diesen Umständen aber immer schwerer. Die massenhafte Ankunft der Masters of Education in den Schulen wird dort Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts haben, das liegt auf der Hand. Ach ja, die Schulen. Für die Berliner Bildungspolitik: auch egal, ob hier Schülerinnen und Schüler angemessen auf ein Studium vorbereitet werden, oder ob sie erst an der Universität – für manche zu spät – guten Umgang mit Sprache, logisches und vor allem selbstständiges und kritisches Denken erlernen.

4. Besoldung

Ein weiteres Berliner Problem ist schließlich die Bezahlung der Lehrkräfte. Bei der Besoldung von Professorinnen und Professoren steht Berlin an letzter Stelle aller Bundesländer. Anfang 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht die W2-Besoldung in Hessen als unangemessen niedrig gekippt. Berlin zahlt noch weniger, hat sich aber lange nicht um den Karlsruher Richterspruch geschert und beginnt erst jetzt, langsam einen Reformvorschlag zu erörtern. Das hat fatale Folgen, denn Zulagen können die Professorinnen und Professoren allenfalls durch exzellente Forschung erlangen. Wie schon bei der Exzellenzinitiative, bei der die Berliner Unis spitze sind, spielt die Lehre eine untergeordnete Rolle. Notfalls behilft man sich mit Lehrbeauftragten, die noch deutlich billiger sind, aber keinerlei kontinuierliche Betreuung von Studierenden gewährleisten können. Sehenden Auges verspielt die Berliner Politik den guten Ruf der Universitäten der Stadt. Denn auf Dauer können exzellente Hochschulen nur bestehen, wenn in ihnen Lehre und Forschung verzahnt bleiben; wenn sie Freiräume zum Forschen bieten, gute Bedingungen für die Lehre und Studierenden einen Raum, Qualifikationen zu erwerben, sich Bildung anzueignen und zu ganzen Persönlichkeiten zu reifen.

Klar allerdings ist: Auch die Bundesregierung ist jetzt am Zug; ohne Bundesmittel können die Herausforderungen der „Bildungsrepublik“ nicht gemeistert werden. Aber das kann die Berliner Hochschulpolitik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Solange das Budget auf dem jetzt zugestandenen Niveau bleibt, wäre uns für den Moment schon damit gedient, wenn wir uns in Ruhe um die Studierenden kümmern könnten, die da sind, und nicht permanent überlegen müssten, wie wir noch Hunderte mehr verkraften. Wir sind schon jenseits dessen, was für die Studierenden, für die Wissenschaft und für uns gut ist. Danke, es reicht.

Gabriele Metzler ist Professorin für die Geschichte Westeuropas an der Humboldt-Universität, Martin Heger ist dort Professor für Strafrecht.

Gabriele Metzler, Martin Heger

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