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Guter Start. Von frühe Förderung hängt vieles ab.

© picture alliance / ZB

Bertelsmann-Studie: Bildungsgerechtigkeit lahmt in allen Bundesländern

Mehr Chancengerechtigkeit bleibt nach wie vor die wichtigste Herausforderung der Schulsysteme in den deutschen Ländern – auch wenn es positive Trends gibt.

Das ist das Fazit der Studie „Chancenspiegel 2013“, die die Bertelsmann-Stiftung und die Universitäten Dortmund und Jena gestern in Berlin vorstellten. Für jedes Bundesland einzeln und im Ländervergleich analysiert die Studie, wie gerecht und leistungsstark das jeweilige Schulsystem ist. Demnach verlassen weniger junge Menschen die Schule ohne Abschluss, allerdings ist schon in der Grundschule der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft abhängig. Auch die Durchlässigkeit habe sich nur minimal erhöht, nach wie vor stiegen deutlich mehr Schüler einer Schulform ab als auf. „Insgesamt geht es mit der Chancengerechtigkeit eher im Schneckentempo voran“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Stiftung.

Die Studie vergleicht auch die Bundesländer untereinander. Kein Land sei „überall Spitze oder überall Schlusslicht“, lautet das Ergebnis. In allen vier untersuchten Dimensionen gibt es stark ausgeprägte Unterschiede zwischen den Ländern. „Die Bundesländer haben jeweils Stärken und Schwächen, alle haben Nachholbedarf“, stellt Wilfried Bos, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund, fest, der die Studie durchführte.

Der „Chancenspiegel“ ist erstmals im vergangenen Jahr erschienen und bezog sich meist auf Zahlen aus dem Schuljahr 2009/10. Die Neuauflage zeigt, wie sich die Chancen der Schüler seit damals im Vergleich zu 2011/2012 verändert haben. Geschaut wir dabei auf die Integrationskraft des Schulsystems, seine Durchlässigkeit, den Erfolg seiner Schülerförderung und die Zertifikatsvergabe.

Der Studie nach gelingt es weiter schlecht, mehr Schüler auf ein höheres Kompetenzniveau zu führen. Hier gebe es seit zehn Jahren kaum Veränderung. Das Leseverständnis der Grundschüler sei weiterhin stark abhängig von der sozialen Herkunft. Die Kinder aus niedrigen Sozialschichten lägen bei der Lesekompetenz im Schnitt um ein Jahr zurück. Wenig Veränderung gebe es auch bei der Durchlässigkeit der Systeme. Auf einen Wechsel von einer niedrigeren auf eine höhere Schulart in der Mittelstufe kommen 4,2 Wechsel in umgekehrter Richtung. Zwei Jahre zuvor betrug das Verhältnis zwischen Auf- und Abstieg 1 zu 4,3.

Weniger Schulabbrecher

Allerdings registriert die Studie auch einige positive Trends: Der Anteil der Schulabbrecher sei von 6,9 auf 6,2 Prozent gesunken. Zugleich sei der Anteil der Schulabgänger mit Hochschulreife „auf ein Rekordhoch gestiegen“ – mit 51,1 Prozent erwerbe mehr als jeder Zweite inzwischen einen Schulabschluss, der zur Aufnahme eines Studiums berechtigt.

Etwas verringert hat sich die Zahl Sitzenbleiber: Im Jahr 2010 blieben in der Sekundarstufe noch 2,9 Prozent der Schüler sitzen, zwei Jahre später sind es 2,7 Prozent. Die Bedeutung der Förderschulen verringere sich hingegen nur langsam. Zwar besuche jedes vierte Förderkind mittlerweile eine reguläre Schule. Nur geringfügig – von fünf auf 4,8 Prozent sei seit 2009/10 laut der Studie jedoch der Anteil der Schüler, die auf gesonderten Schulen unterrichtet werden, gesunken. Somit zeigt die Inklusion im Chancenspiegel ein gemischtes Bild.

Drei Mal so viele Schüler brechen die Schule in Mecklenburg-Vorpommern ab wie im Saarland. Berlin gehört zur Gruppe derjenigen Länder, in denen über zehn Prozent eines Jahrgangs keinen Bildungsabschluss haben. In Sachsen ist der Abstand zwischen Schülern oberer und unterer Sozialschichten nur etwa halb so groß wie in Bayern. Auf einen Aufwärtswechsel in der Schulform kommt in Bremen ein Abwärtswechsel von 9,8 Prozent. Hierbei schneidet Brandenburg mit 1 zu 1,8 deutlich besser ab. Starke Unterschiede gibt es auch beim Hochschulzugang: In Nordrhein-Westfalen erreichen 59,1 Prozent die Berechtigung zu studieren, in Sachsen-Anhalt nicht einmal 37 Prozent.

Jörg Dräger zufolge schließen sich Chancengerechtigkeit und Leistung nicht aus. Es müssten Bedingungen geschaffen werden, um Schüler individuell zu fördern und ihren Lernerfolg zugleich vom Sozialstatus zu entkoppeln. Dräger glaubt, dass frühe individuelle Lernförderung bereits im Kindergarten beginnen und sich in der Ganztagsschule fortsetzen muss. Dort blieben weniger Schüler sitzen, sie gingen motivierter zur Schule, und zwischen Eltern und Kindern gebe es wegen der Ganztagsbetreuung weniger Stress. Dräger fordert, die gebundenen – also verpflichtenden – Ganztagsangebote stark auszubauen.

Hülya Gürler

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