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Auf einem Zeugnisformular mit schlechten Noten ist das Wort Nachhilfe mit Buchstabenplättchen aufgereiht.

© IMAGO

Bertelsmann-Studie zu Nachhilfeunterricht: Nachhilfe ist teuer - und hilft wenig

Nach dem Schulunterricht gehen 1,2 Millionen Schüler in Deutschland zur Nachhilfe. Ihre Eltern geben jährlich fast 900 Millionen Euro dafür aus.

Max quält sich mit Mathe, schreibt bestenfalls mal eine Drei minus. Die Zeugnis-Vier wackelt und damit das Selbstbewusstsein des frischen Gymnasiasten. Freunde empfehlen eine wunderbare Nachhilfelehrerin. Ein halbes Jahr erklärt und wiederholt sie den Stoff von Grund auf, die Matheblockade schmilzt dahin – und Max schreibt nur noch Einsen und Zweien. Auf solche Wunder hoffen Millionen von Eltern, wenn sie ihre Kinder in Nachhilfeschulen und zu Privatlehrern schicken.

In Deutschland erhalten 14 Prozent aller Schülerinnen und Schüler zwischen sechs und 16 Jahren an allgemeinbildenden Schulen Nachhilfeunterricht – nahezu 1,2 Millionen der knapp 8,3 Millionen Schulkinder. Das ergab eine am Mittwoch veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung, für die Infratest dimap im Schuljahr 2014/15 bundesweit 4300 Elternteile befragt hat. Eltern, deren Kinder Nachhilfe bekommen, geben demnach monatlich im Schnitt 87 Euro aus, insgesamt fließen jährlich 879 Millionen Euro.

14 Prozent Nachhilfeschüler in Deutschland, aber anderswo weit mehr

Der Anteil der deutschen Nachhilfeschüler ist bei weitem nicht so hoch wie in Japan und Korea, wo der Pisa-Studie von 2012 zufolge in Mathematik 70 beziehungsweise 66 Prozent der 15-Jährigen nach Schulschluss in Paukkursen sitzen. In Deutschland sind es nur gut 28 Prozent, im Nachbarland Frankreich dagegen 35 Prozent. Doch die Bertelsmann-Stiftung sieht insbesondere die Schulen in der Pflicht, Kinder hierzulande vor der Belastung durch die Extrastunden und Eltern vor den Kosten zu bewahren. Nachhilfe dürfe kein Ersatz für fehlende individuelle Förderung in der Schule sein, sagt Bertelsmann-Vorstand Jörg Dräger. „Gerade die weiterführenden Schulen müssen sich noch besser auf die Vielfalt ihrer Schüler einstellen.“

Am Gymnasium ist der Nachhilfebedarf am größten

Am größten ist der Nachhilfebedarf mit 18,7 Prozent unter Gymnasiasten, an den weiterführenden Schulen insgesamt liegt der Anteil bei 18 Prozent, an den Grundschulen bei nur knapp fünf Prozent der Kinder. Häufigstes Fach ist Mathematik, wo 61 Prozent aller Nachhilfeschüler gefördert werden, gefolgt von Fremdsprachen (46 Prozent) und Deutsch (31 Prozent).

Jeweils ein knappes Drittel wird dabei von ausgebildeten Lehrkräften oder von Studierenden und Schülern unterrichtet, 27 Prozent besuchen Nachhilfe-Institutionen. Und nur vier Prozent lernen mit Computer- und Online-Programmen.

Die Einkommensschwachen bekommen nicht die Nachhilfe, die sie bräuchten

Überraschend seien die relativ geringen sozialen Unterschiede der Elternhäuser, sagt Bildungsforscher Klaus Klemm (Universität Duisburg-Essen), der die Daten gemeinsam mit Nicole Hollenbach-Biele, Bildungsexpertin der Bertelsmann-Stiftung, ausgewertet hat. Bei Eltern mit niedrigen und mit hohen Bildungsabschlüssen sind es jeweils 14 Prozent, die ihre Kinder zur Nachhilfe schicken. Finanzstarke Familien liegen mit 15 Prozent allerdings vor Haushalten mit einem geringeren Einkommen (12 Prozent). Zudem erhalten Kinder ohne Migrationshintergrund etwas häufiger Nachhilfe als solche mit ausländischen Wurzeln (14 zu elf Prozent). Einen größeren Abstand gibt es zwischen Ostdeutschland, wo 16 Prozent der Schüler Nachhilfe haben, und Westdeutschland, wo es nur 13 Prozent sind.

Die wahre soziale Spaltung liege wahrscheinlich bei den sozial benachteiligten Kindern, die eigentlich Nachhilfe bräuchten, sie aus Kostengründen aber nicht bekommen, sagt Klemm. „Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass diese Gruppe größer ist als die 12 Prozent, die schon gefördert werden.“ So sind Jugendliche aus einkommensschwachen Familien in der Risikogruppe, die Pisa-Aufgaben lediglich auf Kompetenzstufe 1 oder darunter lösen können, überproportional vertreten.

Nachhilfe, um gute Zensuren für die Uni weiter zu verbessern

Bei 63 Prozent der Mathenachhilfe-Schüler sind mäßige oder schlechte Zensuren ausschlaggebend. Aber mehr als jeder Dritte wird zur Nachhilfe geschickt, um sich trotz befriedigender bis guter Zensuren weiter zu verbessern. Dahinter stehe häufig der Wunsch von Eltern und Kindern, die Chancen beim Übergang auf das Gymnasium, in einen attraktiven Ausbildungsberuf oder an die Universität zu steigern, erklärt Klaus Klemm. Insgesamt gebe es in Deutschland aber keinen Anstieg bei der Nachfrage nach Nachhilfe, das zeige ein Vergleich zu einer ähnlichen Studie von 2010.

Nachhilfe bringt "keine Kompetenzentwicklung"

Aber haben die teuren Extrastunden tatsächlich die erwünschten Effekte? Ist Musterkind Max, der sich von einer schwachen Vier auf eine Zwei verbesserte, ein typischer Fall? Eher nicht, sagt Klemm. Die beiden jüngsten Studien zur Effektivität von Nachhilfeunterricht in Grundschulen und in den ersten Klassen der weiterführenden Schulen „belegen keine Kompetenzentwicklung“ durch bezahlten Unterricht.

Als Alternative zur klassischen Nachhilfe in Instituten und mit privaten Lehrkräften sehen die Bildungsexperten schulische Förderangebote. Sie sind für die Eltern kostenfrei – und machen der Studie zufolge bereits ein Drittel des als „Nachhilfe“ gewerteten Unterrichts aus. Dazu zählen aber auch Nachhilfestunden, die die Kommunen einkommensschwachen Eltern aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bezahlen. Unter den Nachhilfeschülern, die Halbtagsschulen besuchen, werden 20 Prozent außerhalb des regulären Unterrichts kostenfrei gefördert. An offenen Ganztagsschulen sind es 25 Prozent, an gebundenen Ganztagsschulen sogar 34 Prozent. Diese Schulen böten offensichtlich „einen guten Rahmen für zusätzliche und individuelle Förderung“ und müssten weiter ausgebaut werden, sagt Bertelsmann-Vorstand Jörg Dräger.

Rolle der Eltern als Nachhilfelehrer bleibt eine Grauzone

Die Rolle der Mütter und Väter, die sich häufig als „Hilfslehrer der Nation“ empfinden, könne seine Studie nicht würdigen, gibt Klaus Klemm zu. Was dabei tatsächlich Nachhilfe sei und was bloße Hausaufgabenhilfe oder Testvorbereitung – „das ist eine Grauzone“. Aber eine Zahl aus der Studie weist doch auf familiäre Nachhilfe hin: 21 Prozent der Extrastunden, die Schüler erhalten, wird „durch Personen aus ihrem privaten Umfeld“ erteilt.

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