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In seinem Element. Dietmar Schenk ist der Herr des Archivs der Universität der Künste Berlin. Aus aller Welt erreichen ihn Anfragen, denn schon im 19. Jahrhundert kamen Kunst- und Musikstudenten von weither nach Berlin.

© Johannes Boc

Bildende Kunst - Vergangenheit und Zukunft im Blick: Der Hüter der verborgenen Schätze

Akten, Fotos, Urkunden: Dietmar Schenk verwaltet, was viele längst vergessen haben. Das Archiv der Universität der Künste Berlin am Einsteinufer dokumentiert vergangene Zeiten.

In sein Gebiet verirren sich vor allem Spezialisten. Sie sind auf der Suche nach besonderen Dokumenten. Einem Foto, einer Zeichnung, einem Schriftstück, Unterlagen längst vergangener Zeiten. Dietmar Schenk ist der Archivar der Universität der Künste, der Wächter über Hunderte Regalmeter verborgener Schätze.

Aus aller Welt erreichen das Archiv Anfragen, denn schon im 19. Jahrhundert kamen Kunst- und Musikstudenten von weither nach Berlin und werden heute in ihren Heimatländern erforscht. Die Folgen des NS-bedingten Exils kommen hinzu. In den USA, in Japan und in Israel, in Finnland und in Südafrika ist das Archiv bekannt. Manche Interessenten befassen sich mit Musikern, Fotografen, Künstlern, die an der Universität gelehrt oder studiert haben. Andere wollen die Originalquellen des Uni-Lebens einsehen, zum Beispiel Fotografien und Plakate von den legendären Schülerfesten. Wieder andere waren an der UdK selbst eingeschrieben und brauchen Jahre später eine Bescheinigung aus ihren Akten. Archivar Schenk und seine Kollegin Antje Kalcher stellen die Unterlagen für die Suchenden bereit. Stundenlang arbeiten sich die Forschenden im Leseraum durch Schriftsätze und Bildmappen. Das eigentliche Archiv, das Magazin, bekommt die Öffentlichkeit nicht zu sehen. „Wir können die Leute nicht einfach an die Regale lassen“, sagt Schenk. „Dazu ist das Material zu wertvoll.“

Und das ist es ohne Zweifel. Besonders alte Stücke stammen aus einer Sammlung zur Geschichte der Grafik, die ein Lehrer, Uli Huber, in der Nachkriegszeit zusammengetragen hat. Es sind Urkunden aus dem 16. Jahrhundert. Aber auch ein Lehrbuch der Perspektive aus der Gründungszeit, eine Handschrift von 1699, gehört zum Bestand. Zu den besonderen Schätzen zählt Schenk Fotografien von Karl Blossfeldt. Rund 600 Großaufnahmen von Pflanzenformen hat Blossfeldts Witwe nach dem Tod des langjährigen Lehrers 1932 der Bildvorlagen-Sammlung überlassen. „Nicht nur der materielle Wert zählt, diese Aufnahmen sind vor allem künstlerisch und historisch bedeutend“, sagt Schenk. Die Sammlungen waren lange außer Gebrauch, heute werden sie auch von Studenten wieder genutzt: Kunst- und fotogeschichtliche Seminargruppen kommen, in diesem Semester war auch ein Kurs im analytischen Zeichnen da.

Hüter von 10 000 Kartons mit Bildern und Schriften

Manchmal landen unerwartete Gegenstände im Archiv, darunter der Arbeitstisch des Opernkomponisten Franz Schreker, der die Hochschule für Musik in den 1920er Jahren leitete. Wenn man die Auflage für die Partitur einklappt, sieht der Tisch ganz unscheinbar aus. Er stand lange in der Fakultät Musik, bis kaum noch jemand über die Herkunft Bescheid wusste. Schenk entdeckte den Tisch im Jahr eines Schreker-Jubiläums. Kaum ins Archiv überführt, war das Objekt als Leihgabe für Ausstellungen gefragt. „Drei Tage, nachdem der Tisch kein Beistelltisch mehr war, sollte ich ihn für den Transport nach New York vorbereiten“, erzählt Schenk. Aus einem unscheinbaren Möbelstück wurde ein Gegenstand der Erinnerung.

Mehr als 10 000 Kartons mit Schriften und Bildern finden sich heute im Archiv. Im Laufe der mehr als zwanzig Jahre, die es brauchte, um das Archiv aufzubauen, hat sich der Bestand nahezu verdoppelt. Angefangen hat die Arbeit mit einem riesigen Berg an unsortierten Dokumenten und Akten. Niemand kann jedes Papier kennen, aber das meiste findet Schenk heute mit wenigen Handgriffen. „Mit den Anfragen der Benutzer haben wir gelernt, welche Unterlagen wir eigentlich haben“, berichtet er.

Sorgen macht er sich um den langfristigen Erhalt der Schätze. Die Temperatur muss stimmen. 16 oder 18 Grad Celsius sind ideal. Ein großer Feind der Unterlagen ist die säurehaltige Beschaffenheit vieler Papiere. Die Dokumente dürfen nicht zu feucht, aber auch nicht zu trocken gelagert oder gar Hitze ausgesetzt werden. Sonst sind wertvolle Dokumente schnell für immer zerstört.

Schenk weiß um die Grenzen seines Arbeitsgebiets. „Mir ist bewusst, dass das Archiv nicht der Lebensnerv der Hochschule ist“, sagt er bescheiden. Aber dass sein Beruf etwas Besonderes ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. In den Tiefen des archivalischen Materials sind viele Forscher ganz unverhofft auf Schätze gestoßen, mit denen sie nicht gerechnet hatten.

An der UdK hat Schenk seine Traumstelle gefunden. Nicht nur wegen seiner Liebe zur Geschichte, sondern auch aufgrund der Kontakte zur kunst- und musikwissenschaftlichen Forschung. Als er 1991 seinen Job antrat, bestand eine der ersten Aufgaben darin, die Akten der 1869 gegründeten Hochschule für Musik zu ordnen und zu erschließen. Dabei erwarb er historisches Wissen, das eine Ausarbeitung lohnte. Mehr als zehn Jahre dauerte es, bis seine hochschulgeschichtliche Abhandlung fertig war. Angeregt durch die Zusammenarbeit mit Kulturwissenschaftlern, hat Schenk dann die Archive selbst zum Thema genommen. Seine Publikationen, darunter „Aufheben, was nicht vergessen werden darf“ (2013) und „Kleine Theorie des Archivs“ (2. Aufl. 2014), finden breite Resonanz.

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