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Bildung: Die verschulte Promotion

Graduiertenkollegs für alle: Doktorarbeiten im stillen Kämmerlein sollen bald nicht mehr möglich sein.

Zwei Stunden Methodenseminar pro Woche, ein vierstündiges Kolloquium zur Besprechung der Dissertationen und einmal im Jahr ein einwöchiges Theorie-Blockseminar. So sieht der Stundenplan der Doktoranden am Bielefelder Graduiertenkolleg für Wissenschafts- und Technikforschung aus. „Ein bis zwei Tage pro Woche gehen dabei im Durchschnitt schon drauf“, sagt Doktorandin Cornelia Altenburg. Im Vergleich zu mancher Graduiertenschule ist das noch wenig: An der International Graduate School of Chemistry and Biochemistry an der Ruhr-Universität Bochum etwa besuchen die Doktoranden Veranstaltungen im Umfang von etwa 13 Stunden pro Woche. Kritiker finden deshalb: Die Doktorandenprogramme sind zu verschult. Für die individuelle wissenschaftliche Arbeit und die eigenständige Forschung bleibe dabei oft zu wenig Zeit.

Experten schätzen, dass mittlerweile 20 Prozent der Doktoranden in strukturierten Programmen promovieren, sagt Annette Schmidtmann, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zuständig für Graduiertenschulen und Nachwuchsförderung. Bald werden es noch mehr sein. 248 Graduiertenkollegs unterstützt die DFG, die sich als Motor dieser Entwicklung sieht, mit etwa 90 Millionen Euro jährlich. Ziel ist, dass die Kosten für diese Kollegs nach vier bis fünf Jahren von der jeweiligen Hochschule übernommen werden, erklärt Birger Hendriks, Bologna-Beauftragter der Kultusministerkonferenz. Mit den freiwerdenden Mitteln können dann neue Graduiertenkollegs gefördert werden. Das ist durchaus auch vom Bund so gewollt, der im Rahmen der Exzellenzinitiative zusätzlich 39 Graduiertenschulen fördert.

Der Trend zu mehr Verschulung entspricht ganz dem Geist von Bologna. Seit 2003 haben die europäischen Bildungsminister im Zuge der Vereinheitlichung des Hochschul- und Forschungsraums auch eine Anpassung der Promotionsphase im Blick, die momentan noch sehr unterschiedlich geregelt ist. Ein wesentlicher Akteur beim Zusammenwachsen der Wissenschaftslandschaft ist die European University Association (EUA) – das ist die europäische Vertretung der Universitäten. Wenn es nach ihr geht, sollen Graduiertenschulen künftig die Regel sein.

Auf der Auftaktkonferenz des von der EUA neu gegründeten „Council for Doctoral Education“ in Lausanne wurden jetzt die Ziele bis 2010 festgeklopft. Dazu gehören qualitätssichernde Maßnahmen, eine verbesserte Betreuung und die verstärkte Zusammenarbeit der Hochschulen etwa durch gemeinsame Doktorandenprogramme und doppelte Abschlüsse. Vor allem aber ist die Einführung neuer Strukturen wie „doctoral schools“ an Universitäten erklärtes Ziel. In drei bis vier Jahren sollen die Doktoranden durch ein Programm geschleust werden, das Theorie- und Methodenseminare ebenso umfasst wie Schlüsselqualifikationen, die zu einem Berufseinstieg auch außerhalb der Wissenschaft befähigen. Auch inhaltliche Seminare hält EUA-Präsident Georg Winckler, Leiter der Uni Wien, in einigen Fächern für notwendig.

Doch gegen den Trend zur Verschulung gibt es sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene Gegenwind. Die europäische Doktorandenvertretung Eurodoc lehnt laut der Hochschulzeitschrift „Forschung und Lehre“ die Ausweitung der Bolognareform auf die Promotionsphase ab. Um eine breite Basis an hochwertiger Forschung zu schaffen, sei die Freiheit der Forschung notwendig. Übermäßige Verordnungen müssten daher abgebaut und dafür mehr Förderprogramme geschaffen werden.

Auch das Doktorandennetzwerk Thesis meldet Widerspruch an, wenn es um die Verlagerung von Inhalten in die Promotionsphase geht. „Wissensvermittlung gehört ins Studium, nicht in die Doktorandenphase“, sagt Ingo Rohlfing von Thesis. Und Cornelia Altenburg, die Graduiertenkollegs selbst befürwortet, weist darauf hin, dass es viele Doktoranden gibt, die aus gutem Grund außerhalb solcher Programme promovieren – weil sie einen Beruf haben oder zu einem Nischenthema arbeiten. Graduiertenkollegs sind nämlich thematisch eingeschränkt. Verpflichtend dürfe die Promotion in strukturierten Programmen nicht werden.

Das sieht auch Horst Hippler so, Präsident der Vereinigung der Technischen Universitäten TU9. Denn viele Doktoranden in technischen Fächern hätten Mitarbeiterstellen in der Wissenschaft und in der Wirtschaft. Hippler befürchtet, dass Doktoranden auf Industriepositionen Nachteile haben werden, wenn sie nicht mehr voll arbeiten können.

DFG-Gruppenleiterin Schmidtmann wiegelt ab: Es müsse auch in Zukunft eine Pluralität der Wege zur Promotion geben. Der Bologna-Beauftragte Hendriks drückt es so aus: „Lasst viele Blümchen blühen in diesem Land.“ Die Hochschulgesetze der Länder enthalten in der Regel tatsächlich keine Verpflichtung zu strukturierten Programmen. Die Unis sind also frei, nach eigenem Gutdünken zu handeln.

Dass die Furcht vor einer Verpflichtung zu strukturierten Doktorandenprogrammen dennoch nicht ganz unbegründet ist, zeigt der Trend an manchen Universitäten, die bereits Graduiertenschulen eingerichtet haben. Beispiel Bochum. Dort hat die Ruhr-Universität eine fakultätsübergreifende Research School gegründet. Nun sollen die Prüfungsordnungen der Fakultäten, die die Promotionsmodalitäten bestimmen, nach und nach geändert werden. Ziel: den strukturierten Promotionsstudiengang für alle Doktoranden verpflichtend zu machen.

Für den Trend zu strukturierten Doktorandenprogrammen gibt es aber auch gute Gründe. Cornelia Altenburg vom Bielefelder Graduiertenkolleg hat sich gerade wegen des Förderangebots für diese Form der Promotion entschieden. „Die Betreuung ist gut und man hat ein Sicherheitsnetz. Dann bricht man die Arbeit nicht so leicht ab“, sagt Altenburg.

Die Autoren des diesjährigen Bundesberichts zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWiN) rechnen hoch, dass etwa zwei Drittel aller Doktoranden ihre Promotion nicht beenden. Thesis-Referent Rohlfing glaubt, dass die Stimmung unter den Doktoranden wegen Finanzierungsproblemen und unsicherer Perspektive generell eher schlecht sei. In einer Thesis-Studie von 2004 beanstandeten die befragten Doktoranden neben mangelnder Betreuung hauptsächlich, dass eine Einführung ins wissenschaftliche Netzwerk fehlt.

Dies dürfte besonders „Externe“ betreffen – also die sprichwörtlich im stillen Kämmerlein vor sich hin forschenden Doktoranden. Ihnen entgeht in der Regel die Einführung in die internationale „Scientific Community“, die eine der Hauptaufgaben der Graduiertenschulen sein soll. Aber nicht alle, die von einer Promotion frustriert sind, brechen ab.

„Der Brain Drain Europas Richtung USA im Doktoranden-Bereich ist bedeutend“, sagt EUA-Präsident Georg Winckler. Ein Grund sei die dort flächendeckend strukturierte Ausbildung. So ist die Hoffnung hinter der Verschulung der Promotionsphase letztlich ähnlich wie beim Bachelor und Master: Sie soll die Doktorandenausbildung in Europa vergleichbar und zugleich wissenschafts- und berufsorientiert, attraktiv und wettbewerbsfähig machen. Kritiker der Verschulung hoffen allerdings, dass im „dritten Zyklus“ der akademischen Ausbildung wissenschaftliche Freiheit gewährt wird.

Annegret Nill

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