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Bildung: Schulbücher machen dumm

Falsche Daten, verklärte DDR-Geschichte: Eine Untersuchung der Stiftung Warentest deckt schwere Fehler auf.

Im Biologiebuch „Netzwerk Biologie 2“ aus dem Schroedel-Verlag heißt es über die Verdauung des Menschen: Im Magen würden „die Nahrungsteilchen aneinander zerrieben“. Das trifft zwar für die Mägen von Vögeln zu, aber nicht für die der Menschen. In dem Buch befindet sich „auf jeder geprüften Seite ein Fehler, davon auf jeder fünften ein wichtiger“, sagen Prüfer der Stiftung Warentest. Die Stiftung hat jetzt in ihrem ersten Schulbuchtest zehn Biologiebücher aus der Mittelstufe – der siebenten bis zehnten Klasse – und sieben Geschichtsbücher für die zehnte Klasse unter die Lupe genommen und erhebliche Fehler entdeckt.

Für das Biologie untersuchte die Stiftung die Kapitel über die Zelle, die Fotosynthese und die Verdauung. In Geschichte schauten die Tester bei der Entwicklung der EU und der Alltagsgeschichte der DDR genauer hin. Die Stichprobe erfasste Bücher für Gymnasien aus Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen. Unter den kritisierten Schulbüchern befinden sich Ausgaben von einigen der renommiertesten Schulbuchverlage. Das Ergebnis fasst die Stiftung Warentest so zusammen: Es gebe in „vielen Büchern Fehler und Schwächen in einem Ausmaß, das nicht mehr tolerabel ist“. Dennoch sei keines der untersuchten Bücher „gänzlich für den Unterricht ungeeignet“.

Fehlende Erklärungen

Einige weitere Beispiele aus der Blütenlese der Fehler: Im Biologiebuch „Natura 8/9“ des Klett-Verlages gibt es eine Landkarte über die Wasserqualität in deutschen Flüssen. Die Flüsse sind in roter, grüner oder blauer Farbe dargestellt. Leider fehlt eine Erklärung darüber, was die Farben bedeuten. Der Laie denkt, alles, was sich im grünen Bereich befindet, ist gut und die rot markierten Flüsse sind schlecht. In Wirklichkeit haben nur die blau markierten Flüsse eine gute Wasserqualität, die grünen dagegen weisen nur eine durchschnittliche Qualität auf.

Karten und Abbildungen sollen in Schulbüchern nicht zur reinen Illustration dienen, sondern auf eine andere Weise als das Wort durch Anschaulichkeit Wissen vermitteln. Fehlen entsprechende Erklärungen oder Bildunterschriften, so ist das Schulbuch didaktisch nicht auf der Höhe der Zeit.

Alkoholspiegel falsch berechnet - Angeblich Fahrtauglicher volltrunken

Im Schulbuch „Nautilus Biologie 2“ aus dem Bayerischen Schulbuchverlag (bsv) wird den Schülern die Aufgabe erteilt, die Alkoholkonzentration im Blut zu berechnen. Angegeben wird der Konsum einer Flasche Schnaps, die auf 0,7 Liter 220 Gramm Alkohol enthalten soll. Nach dieser Formel würde die Konzentration vom Alkohol im Blut 0,002 Promille ergeben. In Wirklichkeit liegt der Wert um den Faktor 1000 höher und aus dem Fahrtauglichen wird ein Volltrunkener. In dem Biologiebuch „Bios 7-10“ des Diesterweg-Verlages wird ein Leistungsvergleich von Mikroskopen angegeben. Das Lichtmikroskop vergrößere 2000-fach, das Elektronenmikroskop 20 000-fach. In Wirklichkeit erreicht das Elektronenmikroskop eine 500 000-fache Vergrößerung. Über dieses Schulbuch sagt die Stiftung Warentest, es enthalte „viele wichtige Fehler, davon einer auf fast jeder dritten geprüften Seite“.

Auch in den Geschichtsbüchern hat die Stiftung Warentest erhebliche Mängel festgestellt. Inaktuell sei etwa die Darstellung der Entwicklung der Europäischen Union in dem Schulbuch „Anno 4“ aus dem Westermann-Verlag. In dem Schulbuch des Buchner-Verlags „Das waren Zeiten 4“ werde die Geschichte der EU nur bis 1995 dargestellt. Das Schulbuch „Zeit für Geschichte“ (Schroedel-Verlag) reduziere die EU-Geschichte auf die deutsch-französische Freundschaft.

Westermanns Geschichtsbuch „Horizonte 4“ leistet sich eine falsche Datierung beim Sturz des Staats- und Parteichefs Erich Honecker: Das historische Rücktrittsdatum am 18. Oktober 1989 verlegte der Verlag um einen Monat nach vorne. Die legendäre Pressekonferenz von Politbüromitglied Günter Schabowski, die am 9. November 1989 das Startsignal zum Sturm auf die Mauer wurde, wird auf „wirre Mitteilungen“ reduziert. Die Rolle der Frau in der DDR werde nahezu im Sinne der offiziellen Doktrin idealisiert. Ihre tatsächliche Doppelbelastung als Arbeitskraft in der sozialistischen Planwirtschaft und als Hausfrau und Mutter wird nicht dargestellt.

Die Stiftung Warentest hat nicht nur Fehler bei Daten und Zahlen festgestellt, sondern auch gravierende Mängel bei der Gestaltung der Bücher. Wenn man davon ausgehe, dass Schüler nur eine halbe Stunde zu Hause lesen, dann könnten zu anspruchsvolle wissenschaftliche Texte ebenso abschreckend wirken wie grafisch schlecht aufbereitete Inhaltsverzeichnisse. Didaktisch entscheidend sei die altersgemäße Aufbereitung. So bekam das Biologiebuch „Natura“ aus dem Klett- Verlag in der Didaktik die schlechtesten Noten. In der Bewertung heißt es, die Texte für die Schüler seien zu wissenschaftlich, Bilder und Schrift zu klein, die Verzeichnisse unübersichtlich. Vor allem aber sei das Buch „methodisch schwach“.

Stiftung Warentest fordert Konsequenzen

Nur zwei Biologiebücher und zwei Geschichtsbücher bekamen die Note „gut“, der Rest wird als „befriedigend“ bis „mangelhaft“ eingestuft. Das beste Biologiebuch ist laut Stiftung Warentest „Nautilus“ vom Bayrischen Schulbuchverlag, das beste Geschichtsbuch „Zeiten und Menschen“ vom Schöningh-Verlag.

Holger Brackemann, Abteilungsleiter von der Stiftung Warentest, und Hubertus Primus, Chefredakteur der Test-Zeitschrift, forderten bildungspolitische Konsequenzen aus der Studie. Sie unterstützten Bundesbildungministerin Annette Schavan in ihrer Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Schulbuch für jede Jahrgangsstufe. Bislang trifft jedes der 16 Bundesländer seine eigene Auswahl unter den Schulbüchern und schlägt den örtlichen Schulen ausgewählte Titel vor. Da es in Deutschland 3000 Lehrpläne gebe, müssten die Verlage unter großem Zeitdruck eine Vielzahl von Schulbüchern produzieren, erklärte Primus. Das erkläre viele Qualitätsmängel, sagten die Experten der Stiftung Warentest.

Peter Schell, Programmgeschäftsführer der Verlage Westermann, Schroedel, Diesterweg, will „das falsche Datum von Honeckers Rücktritt im Geschichtsbuch sofort korrigieren.“ Allerdings sei es völlig übertrieben, von Fehlern auf jeder fünften Seite von Schulbüchern zu sprechen. „Wir müssen Inhalte sachlich reduzieren, um sie Jugendlichen zu vermitteln.“ Ein Cornelsen-Sprecher wies die Kriterien der Stiftung Warentest für „richtige“ Didaktik und Methodik zurück.

Die Testergebnisse im Internet:
www.test.de

Uwe Schlicht

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