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Durchblick. Die Schulwesen der Länder unterscheiden sich dermaßen stark, dass Familien, die umziehen müssen, sich kaum zurechtfinden – eine Mobilitätsbremse.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bildung: Was uns die Zukunft wert ist

Trotz moderater Verbesserungen der Pisa-Ergebnisse: Deutschland steht nicht gut da, Verbesserungen sind dringend erforderlich. Bund und Länder müssen wieder miteinander kooperieren – gerade in der Bildung.

Es kommt Bewegung in die Bildungsdiskussion. Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat schon lange erkennen lassen, dass ihr an einem neu austarierten Verhältnis zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik liegt. Von verschiedenen Seiten bekommt sie Beifall. Aus manchen Bundesländern erntet sie aber auch entschiedenen Widerspruch. Es wird auf die eindeutige Zuständigkeit der Länder für die Bildung gepocht.

Würde das Ende des erst wenige Jahre alten Kooperationsverbots den Föderalismus wirklich beschädigen? Ein Blick auf die Rolle, die Bund und Länder in der Forschung spielen, ist aufschlussreich. Die 2005 beschlossene Exzellenzinitiative mit dem Bund als zentralem Akteur hat positive Wirkung entfaltet. Trotz mancher Schwächen und nicht gewollter Folgen des Groß-Wettbewerbs haben die Hochschulen sich engagiert ins Rennen begeben, haben neue Formen der Kooperation miteinander und mit außeruniversitären Instituten entwickelt. Der Bund und die Länder kooperieren im Rahmen der Exzellenzinitiative gut miteinander. Auch der 2005 ins Leben gerufene und 2009 fortgeschriebene Pakt für Forschung und Innovation, der unter anderem die außeruniversitäre Forschung stärkt, wird gemeinsam von Bund und Ländern umgesetzt und finanziert. Die Hochschul- und Forschungsrepublik Deutschland gewinnt an Kontur. Bund und Länder sind inzwischen eingeübt in einen gleichberechtigten Dialog mit den Hochschulen und den Wissenschaftsorganisationen. Die Länderhoheit wird nicht infrage gestellt, nur eben nicht rigide gehandhabt.

Und in der Bildung? Trotz moderater Verbesserungen der Pisa-Ergebnisse: Deutschland steht nicht gut da, Verbesserungen sind dringend erforderlich. Aber hier gehen Bund und Länder keine gemeinsamen Wege, sondern haben sich voneinander entkoppelt. 2006 wurde im Zuge der Föderalismusreform die gemeinsame Bildungsplanung und deren Finanzierung ersatzlos gestrichen. Das Kooperationsverbot behindert den Fortschritt. Hier geht es nicht um eine Prinzipienfrage oder eine staatsrechtliche Spielerei, sondern um Deutschlands Zukunft. Ein Land, das sich in einem tief greifenden demografischen Wandel befindet und im globalen Wettbewerb in erster Linie mit Wissen und Können reüssiert, darf es sich nicht leisten, Potenziale ungenutzt zu lassen. Deshalb muss Bildung Chefsache sein, müssen Kräfte gebündelt werden.

Das Kooperationsverbot in der Bildung hat sich als Sackgasse erwiesen. Das zeigt sich ganz besonders an zwei Phänomenen. Die Schulsysteme unterscheiden sich zwischen den Ländern enorm, was die Durchlässigkeit zur Hochschule und die erbrachten schulischen Leistungen angeht. Die Länder stellen an ihre Schüler höchst unterschiedliche Anforderungen. Was auf den Zeugnissen steht und was die Schüler wissen und können, klafft je nach Bundesland stark auseinander. Für Eltern mit schulpflichtigen Kindern und für Jugendliche, die einen Ausbildungs- oder Studienplatz suchen, sind unnötige Mobilitätsbarrieren geschaffen worden. Mobilität aber ist ein wichtiges Element für eine Kultur der Innovation. Die Einführung von Bildungsstandards vor einigen Jahren hat keine große Wirkung entfaltet; Länder und Schulen setzen sie in sehr unterschiedlicher Weise um. So wurden diese Standards in Nordrhein-Westfalen in die Lehrpläne aufgenommen, in Bayern dagegen sind sie weitgehend unbeachtet geblieben.

Welche Flickenteppiche der stark ausgeprägte Föderalismus zur Folge hat, zeigt das Beispiel Sprachförderung. In 16 Bundesländern werden 24 verschiedene Sprachtests eingesetzt, um die Sprachfähigkeit von Kindern vor der Einschulung zu ermitteln. Aber welcher Test gibt nützliche Hinweise auf die Sprachentwicklung? Eine aktuelle Studie deutet an, dass ausgerechnet der am häufigsten gebrauchte Test kaum Vorhersagekraft für tatsächlich auftretende Sprachprobleme besitzt.

Die wichtige Initiative des Bundes zum Ausbau der Ganztagsschule gerät durch das Kooperationsverbot ins Stocken, denn Bundesmittel können dafür nicht mehr eingesetzt werden. Es steht in den Sternen, wie die Ganztagsschule weiterentwickelt und gestärkt werden kann. Ganztagsschulen mit Nachmittags- und Förderangeboten sind aber ein wichtiges Mittel, Kindern die Chance zum Lernen zu geben, die sie in der Halbtagsschule einfach nicht hätten. Deutschland gehört im europäischen Vergleich zu den Ländern, in denen der schulische Erfolg – und damit die weiteren Lebenschancen – am stärksten von der sozialen Herkunft abhängen. Frühe Einschulung und das Angebot von Ganztagsschulen sind das entscheidende Mittel, in frühen Jahren einen Lernrückstand aufholen zu können.

Der Föderalismus in Deutschland hat sich bewährt. Das Kooperationsverbot blockiert aber die Entwicklung hin zu einer Bildungsrepublik. Langfristig bremst es die Dynamik des Innovationsstandorts Deutschland. Der Ausstieg aus der Nicht-Kooperation und eine Stärkung der kooperativen Strukturen allein lösen nicht alle Bildungsprobleme. Aber beides bildet eine wichtige Voraussetzung für dringend benötigte, langfristige Verbesserungen.

Was also wäre konkret zu tun? Wir brauchen ein Gremium, das über die Koordinationsfunktion der Kultusministerkonferenz hinausgeht. Parallel zum Wissenschaftsrat könnte man sich einen Bildungsrat vorstellen. Auch könnte der Bund finanzielle Mittel für klar definierte Vorhaben zur Verfügung stellen. Nötig wäre eine übergreifende Bewertung schulischer Modellprojekte, die öffentlich oder privat finanziert werden. Wir brauchen endlich Transparenz, damit wir aus Fehlern und Erfolgen lernen können. Das gilt zum Beispiel für die Sprachstandtests. Wir müssen wissen, ob sie wirken, wie sie wirken, wie sie am besten zu gestalten sind. Das Ziel muss die Einführung eines bundesweit einheitlichen Tests sein, die eine solide Prognose ermöglicht. Denn nur so kann eine individuell passende Förderung geboten werden.

Die ja schon vorliegenden Bildungsstandards müssen umgesetzt werden. Ganztagsschulen könnten rasch ausgebaut werden. Das gilt für deren Zahl wie auch, was Qualität und Inhalte betrifft. Gleiches gilt für vorschulische Einrichtungen. Dringend nötig wären auch Einrichtungen für die Lehrerbildung und die Erstellung von Ausbildungsmodulen, insbesondere für den Bereich frühkindlicher Lernschwierigkeiten. Von der Finanzierung solcher zusätzlichen Lehrkräfte an Kindergärten und Schulen würden alle profitieren. Gleiches gilt für die Finanzierung von Sozialpädagogen und Psychologen insbesondere an Brennpunktschulen.

In allen genannten Bereichen geht es um Hilfen, um die Zukunft unserer Kinder. Es geht darum, Wege zur Lösung von Problemen zu finden, die ja von niemandem geleugnet werden. Es geht nicht darum, dass Bund und Länder auf ihre Rechte pochen. Weggenommen wird niemandem etwas. Eine Änderung des Grundgesetzes ist dies allemal wert.

Dietmar Harhoff (LMU München) ist Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation, die die Bundesregierung seit 2005 berät. Jutta Allmendinger (WZB) war bis April 2011 Mitglied der Expertenkommission. Die Kommission hat der Bundesregierung im Februar ihr Jahresgutachten 2011 überreicht und darin einen Schwerpunkt auf Fragen des Föderalismus gelegt.

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