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Biologie: Gefährlicher Unterwasserlärm

Der Krach in den Meeren macht vielen Tieren zu schaffen. Welche Geräusche besonders gefährlich sind, ist kaum bekannt

Gemütlich war das Leben in den Ozeanen noch nie. Die Tiere müssen gut an die harschen Bedingungen angepasst sein, um zu überleben. So haben etwa Meeressäuger, die in der ewigen Dunkelheit der Tiefsee ihre Nahrung suchen, ein extrem sensibles Gehör entwickelt. Doch immer mehr Tiere leiden unter dieser hilfreichen Fähigkeit, seit der Mensch zunehmend Lärm in den Meeren macht. Sei es durch „Luftkanonen“, mit deren Schallwellen Geoforscher nach Erdöl im Meeresgrund suchen, oder durch Schwimmbagger, die die Fahrrinne für Schiffe freihalten und Fundamente für Windräder auf See schaffen. Wie der Krach genau auf die Tiere wirkt, ist kaum erforscht. Mittlerweile gibt es jedoch einige Methoden, um diese Frage zu beantworten.

Dabei ist nicht nur die Lautstärke ein Problem, manchmal ist es auch die Art der Geräusche. So haben vermutlich spezielle Sonargeräte in Kriegsschiffen bereits einige Schnabelwale das Leben gekostet. Mit einem zwischen zwei und zehn Kilohertz auf- und abschwellenden Heulton lassen sich nämlich U-Boote am besten orten. Für einen Schnabelwal hören sich diese Geräusche anscheinend wie jagende Schwertwale an. Die in der Tiefsee lebenden Meeressäuger geraten dann in Panik, vermuten Forscher. Die Tiere tauchen viel zu schnell auf und könnten dabei die Dekompressionskrankheit bekommen, an der auch Menschen sterben, die nach längerem Aufenthalt in größeren Tiefen zu schnell auftauchen.

Eine zunächst weniger drastische Folge kann ein Orientierungsverlust der Tiere sein. So strandeten größere Gruppen der sonst nur selten beobachteten Cuvier-Schnabelwale nach Nato-Marineübungen mit entsprechenden Sonargeräten 1996 in Griechenland, 2000 auf den Bahamas, 2002 auf den Kanarischen Inseln und 2009 an den Stränden der Hebriden vor der schottischen Küste.

In den tieferen Schichten der Meere ist es dunkel, Schallwellen hingegen werden in dem flüssigen Medium schneller und vor allem weiter übertragen als in der Luft. Viele Wassertiere und vor allem Meeressäuger wie Wale und Delfine orientieren sich daher weniger mit ihren Augen und stärker nach ihrem Gehör. Die nach Marinemanövern verendeten Schnabelwale könnten demnach nur ein kleiner Teil der durch Unterwasserschall geschädigten Tiere sein.

Bereits 2003 verbot deshalb ein Gericht in den USA der Marine des Landes, Sonargeräte zu testen, die Wale gefährden könnten. Seither investiert die Marine jedes Jahr Millionenbeträge in wissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkungen von Lärm unter Wasser.

Auch am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven beschäftigen sich Forscher seit längerem mit diesem Thema. Allerdings sind Versuche auf dem Gebiet extrem schwierig. Um die Auswirkungen von Schall auf Lebewesen im Meer zu beurteilen, müssen die Wissenschaftler zum Beispiel erst einmal wissen, wie gut ein bestimmter Meeresbewohner hört. Zwar gibt es von einigen in Gefangenschaft gehaltenen Arten wie manchen Delfinen gute Daten. Bei den meisten Walen und Robben aber nicht. Herkömmliche Hörtests wie beim Ohrenarzt eignen sich schon kaum für Tiere an Land, für Meeresbewohner sind sie völlig ungeeignet.

Um trotzdem an brauchbare Daten zu kommen, schleichen sich die AWI-Wissenschaftler zum Beispiel auf der King-George-Insel vor der Antarktis an dösende See-Elefanten an und schießen mit einem Blasrohr lange Injektionsnadeln mit einem Betäubungsmittel durch die dicke Speckschicht der Tiere. Von den betäubten See-Elefanten zeichnen sie dann die Gehirnströme auf und spielen den Tieren Töne in verschiedenen Lautstärken und Frequenzen vor. An den Hirnströmen erkennen die Forscher recht genau, ob die Tiere diese Laute hören oder nicht. Da die betäubten Tiere im Wasser ertrinken würden, werden diese Experimente an Land oder mit Weddellrobben auf Eisschollen gemacht. „Anschließend rechnen wir diese Ergebnisse auf die Verhältnisse unter Wasser um“, sagt der AWI-Wissenschaftler Lars Kindermann.

Wenn die Forscher das Hörvermögen der Tiere erst einmal kennen, können sie besser beurteilen, ob bestimmte Geräusche sie beeinflussen oder gefährden. Zusätzlich beobachten die Forscher das Verhalten der Tiere, etwa in der Nähe des Forschungsschiffes „Polarstern“, das viele Geräusche produziert, die Wale und Robben beeinflussen könnten. So feuern zum Beispiel die Geoforscher auf der Polarstern Luftkanonen mit einem sehr lauten Knall ab, um mit diesen Schallwellen den Meeresgrund zu erkunden. Oder sie vermessen mit einem Sonar den Meeresgrund und zeichnen mit den Ergebnissen präzise Seekarten.

Allerdings ist es gar nicht so einfach, die Reaktion von Walen auf diese Geräusche zu beobachten. Normalerweise verraten sich die Tiere nur durch ihren Blas. So heißt die verbrauchte Luft, die sie nach dem Tauchen ausstoßen. In der Kälte polarer Gewässer kondensiert die Luftfeuchtigkeit darin zu einem feinen Nebel, die ein Beobachter bei jedem Atemzug bis zu zwei Sekunden lang über dem Nasenloch beobachten kann. „Um die Umgebung der Polarstern permanent zu überwachen, müssten im Krähennest in 28 Metern Höhe über dem Deck vier Leute jeweils in eine andere Himmelsrichtung spähen“, erklärt Kindermann das herkömmliche Verfahren. Selbst wenn diese Beobachter jede Stunde abgelöst werden, weil ihre Konzentration rasch abnimmt, dürften doch einige Wale übersehen werden. In der Nacht ist die direkte Beobachtung ohnehin nicht möglich.

Viel besser gelingt die Beobachtung dagegen mit einem Gerät, das von Rheinmetall Defence Electronics für die Marine als Flugabwehr-Detektor entwickelt wurde. Eine Teleoptik misst dort die infrarote Wärmestrahlung von Flugzeugtriebwerken. „Richtet man die Kamera vom Krähennest der Polarstern auf den Horizont, erfasst sie die Wassertröpfchen im Blas von Walen, die wärmer sind als die umgebende Luft und das Wasser“, erläutert Kindermann die Funktion.

Fünf Rundumbilder mit je vier Megapixeln macht diese Wärmebildkamera in jeder Sekunde und sieht damit im Infrarot ähnlich gut wie das menschliche Auge im sichtbaren Licht. Im Sommer 2009 wurde das System auf einer Fahrt nach Grönland bereits erfolgreich getestet.

Derzeit arbeiten die Forscher an einem Computerprogramm, das die Wärmebilddaten automatisch in Walsichtungen umrechnet. Mit diesen Daten sollten die Forscher sehen, wie Wale auf die Geräusche von der Polarstern reagieren: Fliehen sie vor Lärm oder verändert sich ihr Verhalten gar nicht? Da viele Wale ähnlich wie Menschen in Stresssituationen öfter atmen, kann man an der Frequenz, mit der ein Tier bläst, auch sein Stress-Empfinden einschätzen.

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