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© dpa

Biologie: Schöner Schutz

Biologen rätseln, warum sich Herbstlaub rot färbt. Das bunte Laub könnte eine Warnung sein - für Blattläuse.

Warum die meisten Bäume und Sträucher im Herbst ihre Blätter abwerfen, ist leicht zu erklären. Sie holen sich für die Zeit des Frostes Wasser und Nährstoffe zurück, um sie im Stamm oder den Wurzeln einzulagern. Doch kurz bevor die Blätter absterben, leisten sie sich den Luxus, sich zu verfärben und eine verschwenderische Fülle von Braun-, Gelb-, Orange-, Rot- und Purpurtönen zur Schau zu stellen.

Auf die Idee, dass dieses Farbenspektakel irgendeine Funktion haben könnte, ist vor einigen Jahren der große britische Evolutionsbiologe William Hamilton gekommen. Mittlerweile konkurrieren zwei Hypothesen um die Erklärung für den extravaganten herbstlichen Farbenzauber. Nach der einen soll er dazu dienen, schädliche Insekten abzuwehren. Nach der anderen besteht sein Zweck darin, die Bäume und Sträucher an kühlen Tagen vor zu starker Sonnenstrahlung zu schützen.

Bevor die Bäume und Sträucher ihr Laub abwerfen, stellen sie die Produktion von Chlorophyll ein – des grünen Farbstoffs, den sie für die Energiegewinnung durch Photosynthese benötigen. Ist das Chlorophyll schließlich abgebaut, werden andere an der Photosynthese beteiligte Farbstoffe sichtbar, die es sonst überdeckt: gelbe und orangefarbene Carotinoide und Xanothophylle. Die Brauntöne zeigen sich immer dann, wenn Zellen abgestorben sind. So weit ist das Farbensemble erklärt.

Es fehlen aber noch die roten und purpurfarbenen Töne. Mit ihnen hat es eine besondere Bewandtnis. Denn die Pigmente, die diese Rotfärbung hervorrufen, die Anthocyane, werden von den Bäumen und Sträuchern im Herbst selbst hergestellt. Der beträchtliche Energieaufwand, den das erfordert, lässt darauf schließen, dass eine biologische Funktion dahinterstecken muss.

Obwohl Bäume und Sträucher reichlich Licht benötigen, können sie von ihm nur noch geringe Mengen verkraften, sobald die Photosynthese gehemmt wird. Das geschieht in den herbstlichen Morgenstunden durch zu niedrige Außentemperaturen. Unter solchen Umständen wird das Sonnenlicht vom Chlorophyll nicht mehr in Energie verwandelt. Stattdessen führt das Licht zur Entstehung von freien Radikalen, die das Blattgewebe immer weiter zerstören. In den Augen des Freiburger Biologen Martin Schaefer spricht vieles dafür, dass das rot-bunte Herbstlaub als Schutzschild gegen schädliches Sonnenlicht wirkt. „Die Anthocyane, also die roten Blattfarbstoffe wirken ähnlich wie die UV-Filter in Sonnenschutzcremes“, erklärt Schaefer.

Die Sonnenschutzhypothese macht verständlich, warum Blätter, die im Schatten liegen, oft nur blass-rot oder blass-gelb gefärbt sind. Und sie macht außerdem verständlich, warum es in Neu-England während des Herbstes zur Farbenorgie des Indian Summer kommt. Weil es dann für die Bäume und Sträucher nachts schon empfindlich kühl ist, während sie tagsüber von Sonnenlicht geradezu überflutet werden.

Nicht weniger schlüssig ist allerdings die Insektenabwehrhypothese, deren wichtigster Verfechter Marco Archetti ist, ein Schweizer Zoologe, der gegenwärtig an der Universität Oxford forscht. Seiner Auffassung nach ist das grell gefärbte Herbstlaub das Ergebnis der Koevolution von parasitären Insekten und den von ihnen bedrohten Pflanzen.

Läuse beispielsweise haben die schlechte Angewohnheit, ihre Eier im Herbst auf Bäumen und Sträuchern abzulegen. Aus den Eiern schlüpfen im Frühjahr hungrige Larven, die sich sofort über die jungen Blätter hermachen. Um zu verhindern, dass es so weit kommt, verwenden die Bäume und Sträucher laut Archetti grelle Farben als Warnsignale. Dabei gilt: Die Blätter der kräftigsten und genetisch fittesten Bäume und Sträucher sind in aller Regel auch diejenigen, deren Farben am intensivsten leuchten und die noch dazu am besten mit giftigen Abwehrstoffen gegen Schädlinge ausgerüstet sind.

Die Blattläuse wiederum verstehen die Signale und ziehen es vor, ihre Eier anderswo abzulegen. Und deswegen, behauptet Archetti, sind die Warnsignale für beide Seiten nützlich: „Blattläuse sollten keine Eier auf besonders farbenprächtige Bäume ablegen, weil ihre Nachkommen im Frühjahr wenig Freude mit diesem abwehrbereiten Baum hätten.“

Um seine Annahmen empirisch zu überprüfen, hat Archetti kürzlich vergleichende Untersuchungen an wilden und kultivierten Apfelbäumen durchgeführt. Dabei hat er festgestellt, dass von den 2170 Arten von Zuchtapfelbäumen in Großbritannien bloß 2,8 Prozent rote Herbstblätter hervorbringen. Bei den Wildformen, die immer noch in Kirgisien und Kasachstan wachsen, sind es hingegen 62,2 Prozent. Offensichtlich können kultivierte Apfelbäume auf den herbstlichen Farbenzauber verzichten, weil Menschen ihnen seit langem die Läuse und andere Parasiten vom Leibe halten, schreibt Archetti in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.

Archetti hat sich außerdem mit dem von allen Apfelbauern gefürchteten Feuerbrand beschäftigt, der ebenfalls von Läusen verursacht wird. Tatsächlich zeigte sich, dass die Apfelsorten, die am häufigsten ihr Blattwerk rot färben, für diese Krankheit am anfälligsten sind.

Trotz dieser Befunde ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Es ist ohne Weiteres möglich, dass die Sonnenschutzhypothese ebenso richtig ist wie die Signalhypothese, und dass es bloß noch darum geht, beide miteinander zu kombiniereen.

 Frank Ufen

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