zum Hauptinhalt

Biomaterialien: Geheimnis der Muschelseide gelüftet

Muscheln produzieren extrem stabile und dehnbare Fasern, indem sie Eisenatome einbauen. Das Prinzip könnte künftig bei Textilien genutzt werden.

Einst galt es als eines der edelsten Materialien überhaupt, heute ist es weitgehend vergessen: Muschelseide. Meeresmuscheln dienen diese Fasern dazu, sich an Felsen und Pfählen festzuklammern und der Brandung zu trotzen. Dafür müssen sie zugleich äußerst fest und äußerst dehnbar sein.

Im Mittelalter wurden etwa die goldglänzenden Fäden der edlen Steckmuschel gesammelt und zu Luxustextilien verarbeitet, Geschenke für Könige und Päpste. Forscher am Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung haben nun herausgefunden, wie der edle Zwirn zu seinen Eigenschaften kommt. Sie hoffen, das Prinzip eines Tages für künstliche Textilien nutzen zu können.

„Diese Fasern sind erstaunlich dehnbar“, sagt Peter Fratzl, der in Potsdam die Abteilung Biomaterialien leitet. Wenn etwa eine heftige Welle an den Muscheln zerre, könnten sich die Fäden bis auf das Doppelte ihrer Länge ausdehnen, ohne zu reißen. „Nach der Welle ziehen sie sich dann wieder zusammen.“ Gleichzeitig seien die Haftfasern durch eine Schutzschicht hervorragend gegen Abrieb geschützt. „Wir wollten wissen, wie man so eine abriebfeste Beschichtung für eine dehnbare Faser macht“, sagt Fratzl.

Dafür untersuchten die Wissenschaftler die Fäden von Miesmuscheln unter dem Mikroskop und stellten Erstaunliches fest: Die Beschichtung aus Eiweiß enthält zahllose winzige Knubbel. In diesen Knubbeln befinden sich positiv geladene Metallatome, die mit negativ geladenen Teilen des umgebenden Eiweißes äußerst stabile Komplexe bilden. Die mikrometergroßen, harten Kügelchen bieten bei Reibung eine harte Oberfläche und verhindern so, dass die Fäden durchgescheuert werden. Die Bereiche zwischen den Kügelchen haben weniger Metallatome eingelagert und lassen sich dadurch stark dehnen, schreiben die Forscher online im Fachmagazin „Science“.

„Das ist eine äußert elegante Lösung“, sagt Fratzl. Wenn etwas an den Fäden zerre, verformten sich die Kügelchen ein wenig, aber ehe das Eiweiß reiße, würden die Metallatome aus ihren Fassungen springen und so dem Eiweiß ermöglichen, sich noch weiter zu dehnen. „Hinterher, wenn die Fäden wieder geschrumpft sind, können die Metallatome wieder in ihre Fassungen springen.“

„Die Natur hat viel weniger Materialien zur Verfügung als der Mensch, aber indem sie diese geschickt strukturiert, erreicht sie ganz verblüffende Eigenschaften“, sagt Fratzl. Er hofft, die Struktur der Muschelseide künstlich nachbilden zu können, um sie eines Tages zum Beispiel bei Textilien einsetzen zu können.

„Wenn Sie einen Knopf annähen wollen, macht das vermutlich keinen Sinn. Der soll ja nicht verrutschen.“ Für Textilien in Technik, Sport oder Medizin könnten die Fasern aber interessant sein. So wäre es etwa denkbar, solche flexiblen Fäden zum Nähen von Wunden einzusetzen. „Wir sind aber natürlich ganz am Anfang“, sagt Fratzl. „Uns geht es erst einmal darum, die Natur zu verstehen, ehe wir versuchen, sie nachzubilden.“ Kai Kupferschmidt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false