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Biophysik: Wo das Leben kocht

Wie bildete sich das Leben auf unserem Planeten? Begann es überhaupt auf der Erde? In heißen Quellen am Meeresboden könnten sich die ersten Zellen gebildet haben.

„Dann sprach Gott: Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin. So geschah es.“ (Gen 1,11). Das ist die Auskunft der Bibel auf eine der spannendsten Fragen, die es gibt: Wie entstand das Leben? Zwei Sätze, knapp und bestimmt.

Für die meisten Naturwissenschaftler ist das eine unbefriedigende Antwort. Sie sind überzeugt, dass das Leben von selbst entstand – hervorgegangen aus toter Materie, gebildet in einem nachvollziehbaren Prozess und vor allem: ohne Zutun übersinnlicher Mächte. Die Forscher wollen diesen Prozess möglichst lückenlos aufklären. Wie bildete sich das Leben auf unserem Planeten? Begann es überhaupt auf der Erde?

Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass die ersten einfachen Lebensformen auf der Erde vor etwa vier Milliarden Jahren auftauchten. Sie hatten sich aus Biomolekülen zusammengefügt, die in der Ursuppe der frühzeitlichen Ozeane herumschwammen. Solche Biomoleküle (dazu zählen Amino- und Nukleinsäuren) konnten auf der jungen Erde von selbst entstehen, wie zahlreiche Experimente zeigten. Auch im Weltraum bilden sie sich spontan heraus, zum Beispiel in interstellaren Gas- und Staubwolken oder auf der Oberfläche von Kometen.

Doch wo Biomoleküle sind, da ist noch lange kein Leben. Die Frage lautet: Wie konnte es geschehen, dass relativ einfach aufgebaute Moleküle sich zu immer größeren Gebilden zusammensetzten, bis schließlich etwas so Kompliziertes wie eine lebensfähige Zelle herauskam? Dieter Braun, Physiker an der Ludwig-Maximilians-Universität in München befasst sich mit dem Thema. Er sprach jetzt darüber auf der Jahrestagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die diese Woche an der TU Berlin stattfindet.

„Leben konnte nur dort entstehen, wo die Biomoleküle in großer Konzentration vorlagen“, erklärt Braun. „Das Problem: In den frühzeitlichen Ozeanen waren alle organischen Verbindungen so stark verdünnt, dass sie sich unmöglich zu großen Komplexen zusammenfügen konnten.“ Braun und seine Kollegen versuchen dieses Rätsel zu lösen – und machten eine überraschende Entdeckung.

Am Grund der Ozeane gibt es Öffnungen, wo heißes Wasser sprudelt. Zu diesen hydrothermalen Quellen gehören die Black Smoker (schwarzen Raucher), aus denen bis zu 400 Grad Celsius heißes Wasser schießt. Vermutlich viel häufiger sind die Lost Citys (verlorenen Städte) – auch sie Warmwasserquellen, allerdings mit einer Temperatur von „nur“ 120 Grad Celsius. Auf den ersten Blick scheinen hydrothermale Quellen kein guter Ort zum Leben zu sein. Das kochende Wasser, das sie ausspucken, ist extrem mineralreich. Wenn es sich mit dem eiskalten Ozeanwasser vermischt, bildet es bis zu sechzig Meter hohe Fontänen am Meeresgrund. Das spielt sich in stockfinsterer Tiefsee ab, in die kein Lichtstrahl dringt und der Wasserdruck hunderte Male höher ist als der Luftdruck auf der Erde.

Und doch – seit einigen Jahren wissen die Forscher, dass es rund um diese Quellen von Organismen nur so wimmelt. Dort wachsen seltsame Bakterien, die sich von Salzen ernähren, bizarre Röhrenwürmer, die meterlang werden können, augenlose Spinnenkrabben und spezialisierte Muscheln. Dieter Braun und sein Team haben untersucht, wie sich Biomoleküle unter den dort herrschenden Bedingungen verhalten. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass an den hydrothermalen Quellen einst das Leben entstanden sein könnte. „Das heiße Quellwasser strömt durch Schlote, die aus hoch porösem Fels bestehen“, sagt Braun. „Die Biomoleküle aus dem Ozean sammeln sich in den Gesteinsporen, so dass ihre Konzentration dort dramatisch zunimmt.“

Wie kommt es zu diesem Effekt? In den Poren – meist weniger als ein Millimeter groß – herrscht ein starkes Temperaturgefälle. Es treibt zwei Strömungen an, die sich aneinander vorbeischieben. An der warmen Porenwand steigt Wasser nach oben, an der kalten sinkt es ab. In beiden Fließrichtungen treiben allerlei gelöste Substanzen mit, darunter Biomoleküle.

Braun und sein Team haben herausgefunden, dass die Biomoleküle aus der heißen Aufwärts- in die kalte Abwärtsströmung übertreten. „Sie wandern zu niedrigeren Temperaturen, weil es für sie dort energetisch günstiger ist, sich mit einer Wasserhülle zu umgeben“, erklärt Braun. Die Biomoleküle nutzen also bevorzugt den Fahrstuhl nach unten, wodurch sie sich im unteren Teil der Poren immer stärker ansammeln. Ihre Konzentration steigt um das millionen- oder sogar milliardenfache, verglichen mit dem offenen Ozean. Der Effekt ist umso ausgeprägter, je länger die Moleküle sind. So betrifft er gerade die evolutionär interessanten Verbindungen, wie lang gestreckte Nukleinsäuren von der Art unserer Erbmoleküle.

Deshalb könnte in den Gesteinskanälen einst das passiert sein, was im freien Ozean unmöglich war: Die Zusammenlegung vieler Moleküle zu immer komplizierteren Gebilden. So lange, bis schließlich molekulare Strukturen entstanden, die sich selbst vervielfältigten – eine entscheidende Voraussetzung für Leben. „Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass die Wärmeunterschiede in den Gesteinsporen auch eine der wichtigsten Reaktionen zur Vervielfältigung von Erbinformation antreiben können, die Polymerase-Kettenreaktion“, sagt Braun.

Bis zur ersten Lebensform war es noch ein weiter Weg. Die sich vermehrenden Molekülstrukturen brauchten einen Stoffwechselapparat und mussten sich mit einer Zellmembran umgeben, ehe sie sich in den weiten Ozean hinaustrauen konnten. Wie das im Einzelnen passiert ist, weiß niemand. Doch immerhin haben Forscher wie Braun die ersten möglichen Schritte gefunden in jener Entwicklung, die die Erde schließlich ergrünen ließ.

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