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Bluthochdruck: Vorfahren als Vorbild

Hypertonie-Kongress: Ob jung oder alt - wer zu hohen Blutdruck hat, sollte seinen Lebensstil ändern.

Für Leib und Leben unserer Vorfahren gab es viele Gefahren, vor denen wir uns heute wirksam schützen können. Man muss gar nicht so weit zurückgehen, um auch den hohen Blutdruck dazuzuzählen. „Vor 1950 war noch kein Kraut dagegen gewachsen, der amerikanische Präsident Roosevelt hatte zum Beispiel Blutdruckwerte über 200 zu 100 mm Hg und starb dadurch an massiven Hirnblutungen“, sagte der Charité-Pharmakologe Thomas Unger jetzt beim Kongress „Hypertension Berlin 2008“. Noch bis morgen tauschen sich bei dem Treffen rund 9000 Experten zum Thema Bluthochdruck aus.

Heute kann man den Blutdruck mit Medikamenten auf verschiedenen Wegen meist sehr effektiv senken. Inzwischen gelten schon Werte ab 140 zu 90 Millimeter auf der Quecksilbersäule als behandlungsbedürftig, weil sie ein Risiko für Herz, Hirn und Gefäße darstellen. Solche Werte können nach Aussage der Experten bei jedem Zweiten über 65 gemessen werden.

Geht man weiter in die Menschheitsgeschichte zurück, dann zeigt sich auch in dieser Hinsicht ein großer Unterschied zu unseren Vorfahren. Als Jäger und Sammler dürften sie das Problem des hohen Blutdrucks und seiner Folgen Schlaganfall, Herzinfarkt und Nierenversagen kaum gekannt haben, sagt Detlev Ganten, Charité-Vorstandsvorsitzender und Kongresspräsident. „Würden wir auf die Lebensbedingungen unserer Vorfahren zurückgehen, dann brauchten wir weniger Medikamente.“

Ganten liebt seinen Forschungsgegenstand schon deshalb, weil der Bluthochdruck sich besonders gut eignet, um evolutionäre Gesichtspunkte in die Medizin einzubringen. Für unsere Vorfahren brachte es einen Überlebensvorteil, wenn ihr Körper mit Nahrung sparsam umgehen und auch das kostbare Salz gut im Körper zurückhalten konnte – von dem man beim Schwitzen schon genug verlor. Den Mitgliedern einer sesshaften Wohlstandsgesellschaft bringen solche Eigenschaften eher Übergewicht, starre Blutgefäße und hohen Blutdruck ein. „Der Blick auf die Evolution verschafft mehr Verständnis dafür, wie wir leben sollten, um der Biologie unseres Körpers zu entsprechen“, meint Ganten.

Den Beweis dafür, dass hoher Blutdruck zunimmt, liefern die Kinderärzte. Noch vor einigen Jahrzehnten sahen sie praktisch nie ein Kind, das „einfach so“ einen hohen Blutdruck hatte. Die seltenen Fälle, die es überhaupt gab, hatten ihren Grund meist in Gefäßfehlbildungen oder Nierenerkrankungen.

Das habe sich gründlich geändert, wie Wolfgang Rascher, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uni Erlangen, auf dem Kongress berichtete. „Wir sehen immer mehr übergewichtige Kinder mit hohem Blutdruck, die schon Schäden an Herz und Gefäßen haben.“

Diese Kinder müssen mit Medikamenten behandelt werden. Man kann es als Glück im Unglück dieser Entwicklung betrachten, dass inzwischen, kräftig gepusht durch die neue EU-Arzneimittelverordnung, auch immer mehr Studien mit Kindern und Jugendlichen laufen. „Wir lernen, dass wir die Mittel bei ihnen anders dosieren müssen“, erläuterte Rascher. Außerdem sei inzwischen klar geworden, dass es ein Fehler war, Kinder bevorzugt mit Mitteln aus der Gruppe der Beta-Blocker zu behandeln. Sie senken den Blutdruck, indem sie das Herz dazu bringen, langsamer zu schlagen. Zugleich werden aber auch der Stoffwechsel und die körperliche Aktivität heruntergedimmt, so dass die Kinder weiter zunehmen. „Deshalb sind wir Pädiater in den letzten Jahren auf die Wirkstoffklasse der ACE-Hemmer ausgewichen“, sagte Rascher. Studien zu den anderen Wirkstoffgruppen sind noch nicht abgeschlossen.

Dass es bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen auch mit dem Blutdruck abwärts geht, wenn sie ein paar Kilo abnehmen, weiß man aus Studien schon länger. „12- bis 17-jährige Bluthochdruckpatienten, die einige Wochen lang ein Sportprogramm mitgemacht haben, haben danach bei Gabe von Salz nicht mehr mit einer Erhöhung der Blutdruckwerte reagiert“, berichtete Rascher. Er erlebt es jedoch selten, dass stark übergewichtige Heranwachsende solche Programme durchhalten.

Den Erwachsenen geht es nicht viel anders. Änderungen des Lebensstils werden zwar in allen Behandlungsrichtlinien für Ärzte als erster Schritt empfohlen, wenn zu hohe Blutdruckwerte gemessen wurden: Mit dem Rauchen aufhören, Alkohol nur in Maßen trinken, Übergewicht reduzieren, in der Küche auf einen mediterranen Stil mit viel Kräutern und wenig Salz umschwenken, mehr Bewegung in den Alltag einbauen. „Also dem Blutdruck zuliebe alles tun, was für die Gesundheit überhaupt gut ist“, wie Ganten sagt.

Für den „Ontario Survey on the Prevalence and Control of Hypertension“ haben Wissenschaftler der Universität Ottawa jetzt untersucht, wie viel die ärztliche Aufforderung zur Lebensstiländerung für den Blutdruck wirklich brachte. Fast die Hälfte der Teilnehmer dieser repräsentativen Befragung gab an, auf Rat des Arztes hin den Versuch gemacht zu haben – meist mit einer Diät. Über wirkliche Erfolge berichteten jedoch die wenigsten. „Bei der frei lebenden Allgemeinbevölkerung in Kanada sind Lebensstilveränderungen, so wie sie praktiziert werden, für die Kontrolle des Blutdrucks wirkungslos“, lautete beim Kongress die knallharte Folgerung von Studienleiter George Fodor.

„Diese sogenannten Lebensstilveränderungen verändern den Blutdruck nicht, weil sie nicht wirklich stattfinden“, konterte ein Zuhörer. Er konnte sich auf eine Reihe von Studien berufen, die beweisen, dass man mit Ausdauertraining den Blutdruck wirklich senken kann – wenn auch meist nicht um mehr als fünf mmHG. Das berichtete Robert Fagard von der Universität Leuven, der in einer Übersichtsarbeit 72 einschlägige Studien ausgewertet hat. In den meisten hatten die Teilnehmer über mindestens 16 Wochen dreimal in der Woche mehr als eine halbe Stunde auf dem Fahrrad, beim Walken oder im Schwimmbad trainiert.

Am meisten sanken die Blutdruckwerte dabei bei den Teilnehmern mit den höchsten Ausgangswerten. Obwohl auch die Pfunde purzelten, ist der Effekt nach Fagards Ansicht nicht allein mit der Gewichtsabnahme zu erklären. Und er zeigte sich auch bei hochbetagten Teilnehmern. „Es ist niemals zu spät für den Trainingsbeginn“, folgerte der belgische Mediziner.

Er hat auch eine Handvoll Studien ausfindig gemacht, die zeigen, dass maßvolles Krafttraining ebenfalls einen günstigen Einfluss auf den Blutdruck entfalten kann. „Wir waren erstaunt über dieses Ergebnis, weil Menschen mit hohem Blutdruck normalerweise von dieser Art des Trainings abgeraten wird.“

Wichtig ist, dass das Bewegungsprogramm Spaß macht und durchzuhalten ist. Denn wenn man die Laufschuhe an den Nagel hängt, steigt der Blutdruck wieder unbarmherzig in die Höhe. Befragungen von Patienten haben gezeigt, dass es der behandelnde Arzt ist, der den meisten Einfluss darauf hat, ob Hochdruckpatienten am Ball bleiben. „Auch wenn der Hausarzt sich für eine entsprechende Aufklärung in jedem Quartal gerade einmal fünf Minuten Zeit nimmt, bringt das eine Menge“, sagte Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Im Rahmen des von der Sporthochschule mitbetreuten Projekts „Mobilis“ („Multizentrisch organisierte bewegungsorientierte Initiative zur Lebensstiländerung in Selbstverantwortung“) konnte außerdem gezeigt werden, dass beim Durchhalten eine Verhaltenstherapie hilfreich ist.

Was die Heranwachsenden betrifft, so setzt Rascher auf Aufklärung über gesunden Lebensstil schon im Grundschulalter. „Wenn unsere Kinder heute schon Erwachsenenkrankheiten bekommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als sie auch wie Erwachsene zu behandeln – zumindest teilweise.“

Adelheid Müller-Lissner

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