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© Thilo Rückeis

Bologna-Reform: Professoren, hört auf zu jammern!

Der Bachelor wird mit Füßen getreten: von denen, die ihn falsch umsetzen.

Mal wieder wird über den Bachelor gestritten, dass die Fetzen fliegen. Da attackieren ihn eifernde Profs, weil er angeblich die bewusstlose Verschulung erzwinge, weil er angeblich keine Freiheit zum selbständigen und selbst gewählten Lernen lasse, weil er angeblich bürokratischen Prüfungsstress verlange, weil er wegen der Verschulung das Erasmus-Semester in Pavia verhindere, weil er angeblich in eine Arbeitsmarkt-Sackgasse führe. So weinen die Profs dann den erst im Dritten Reich eingeführten Diplomabschlüssen nach, deren angebliche Weltgeltung nur behauptet, aber nicht ernsthaft nachgewiesen werden kann. Und leider gibt’s auch Studis, die, von der oft tatsächlich miserablen Organisation ihrer Bachelor-Programme überwältigt, auf das dumme Geschrei der Profs hereinfallen und mitklagen.

Die Wahrheit ist aber: In der hier angegriffenen Bologna-Erklärung von 1999 steht nichts von all dem Unfug. Fast alles, was die Jammerer im Elfenbeinturm (und einige ihrer journalistischen Gefolgsleute) da an Beschwerden vorbringen, haben sie, die Profs, selber erzeugt.

Der Reihe nach. Die Erklärung von Bologna, vor zehn Jahren von 29 Staaten unterschrieben, entstand aus dem mehrjährigen Dialog der Europäischen Rektorenkonferenz (heute EUA) mit mehreren europäischen Regierungen und hatte Konsequenzen aus zwei Erkenntnissen gezogen: erstens, dass ein weltweiter Wettbewerb um kluge Köpfe begonnen hatte, der einen einigermaßen einheitlichen europäischen Hochschulraum erfordert. Zweitens, dass Bildung und Ausbildung an Hochschulen für 30 bis 50 Prozent eines Altersjahrgangs nicht mehr wie noch vor 50 Jahren für drei bis sechs Prozent eines Altersjahrgangs organisiert werden konnten. Mit der Einführung, für Deutschland Wiedereinführung des erst im 19. Jahrhundert abgeschafften Bakkalaureus-Grades nach einem Studium von drei bis vier Jahren wird die Aufnahme internationaler Bachelorabsolventen in Europa und die der europäischen Bachelors „draußen“ erleichtert, in weiterführende Studien und in den Arbeitsmarkt.

Während sich der Bologna-Prozess in den meisten Ländern, vor allem in Skandinavien, den Niederlanden, aber auch in der Schweiz oder in Polen ohne große Probleme weiter entwickelte, jammern nun in Deutschland (wie üblich bei Neuerungen) die Freunde des angeblich „Bewährten“. Ihre Methode ist simpel: die zum Teil üble Vergangenheit idealisieren, das Neue schlecht reden. Ihr „Verständnis“ für demonstrierende Studis kann man als zynisch bewerten oder schlicht als Ausdruck von Inkompetenz.

Tatsache ist, dass viele (gottlob nicht alle) Fachbereiche, genauer die Profs, einfallslos und voller hochschuldidaktischer Inkompetenz den fachlichen „Stoff“ zusammenpressten und in abprüfbaren, viel zu kleinteiligen Lehrmodulen festschrieben, statt – wie natürlich möglich und an einigen Hochschulen auch praktiziert – eigenverantwortliches, forschendes Lernen etwa in Projekten und anderen modernen Lernformaten zu organisieren.

Die Wahrheit ist: Es gibt in fast allen EU-Ländern, natürlich auch an deutschen Hochschulen, Bachelor-Programme, die das genaue Gegenteil von dem gerade geschilderten und in diesen Tagen durch die Medien geisternden Zerrbild darstellen: Programme ohne „Verschulung“, Programme, in denen selbst gewählte Themen und eine eigenverantwortliche Organisation des Lernens (nicht der Belehrung vom „Lehrstuhl“ aus) im Vordergrund stehen. Programme mit nur ganz wenigen, studienbegleitenden Prüfungen zu flexiblen Terminen, Programme, in die entweder ein für den späteren Job nützliches Praktikum oder ein Semester im Ausland integriert sind, und bei dem die dort erbrachten Leistungen auch anerkannt werden. Und schließlich gibt es Programme, deren Fachkombination die Chance auf interessante Jobs gegenüber den alten „Magistern“ deutlich verbessern.

Ein paar Beispiele will ich nennen: den Informatik-Bachelor an der RWTH Aachen, der zwar auch anspruchsvolles „Pauken“ kennt – ohne Anstrengung kein Erfolg – aber sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Studentinnen und Studenten bei der Organisation des Studiengangs und der Prüfungen mitbestimmen können. Dann den Bachelor in Politikwissenschaft an der Uni Frankfurt, bei dem vor allem Rücksicht darauf genommen wird, dass rund 2/3 aller Studis neben dem Studium arbeiten müssen, um finanziell durchzukommen, also für ein verschultes Vollzeitprogramm keine Zeit haben. Sie können nicht nur zwischen vielen fachlichen Schwerpunkten frei wählen, sondern auch ihr Studium zeitlich mit ihrem Job abstimmen. Und es gibt den Bachelor an der Uni Lüneburg, bei dem vor allem im ersten Semester – ja im ersten! – forschendes Lernen über Projekte im Team gefördert wird. Und die Allgemeinbildung, die nach Ansicht der Kritiker ja angeblich zu kurz kommt.

Lernen statt Belehrung kennzeichnen die guten Bachelor-Programme. Warum sind nicht viel mehr Bachelors so organisiert? Niemand hindert die Profs daran. Doch leider haben sehr viele von ihnen nicht gelernt, kreative Lernformate für das selbständige, forschende Lernen zu organisieren. Die Studentinnen und Studenten sollten aber genau das von ihren Hochschulen verlangen!

Ich räume ein, dass so viel Neuerung nicht ins gewohnte durchhierarchisierte deutsche Unisystem passt. In ein System, das die Beteiligung der „Lehrenden“ an möglichst vielen Semesterwochenstunden und vielen Prüfungen mit Sachmitteln, Hilfskräften und Assis honoriert. Da war die Versuchung, das bei Verabreichung dann meist schon abgestandene „Wissen“ in viele kleine Päckchen zu packen, schon sehr groß. Nötig aber war und ist das alles nicht. Und die Eltern der Bologna-Erklärung raufen sich verzweifelt die Haare…

Dass man viele der zu (deutschem) Oberlehrer-Perfektionismus neigenden Akkreditierer zu mehr Augenmaß, das heißt weniger Vorschriften, zwingen muss, ist ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass wer nur im selbstreferenziellen Elfenbeinturm belehrt wurde, ohne dabei die in der modernen Unternehmenswelt nötigen Schlüsselqualifikationen zu erwerben, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Probleme hat, egal ob Magister/Diplom oder Bachelor. Bisher ist nicht zu erkennen, dass Bachelors, wenn ordentlich qualifiziert, bei den Unternehmen nicht angenommen würden. Im Gegenteil. Nun mag es auch in manchen Personalabteilungen Freunde des „Bewährten“ geben. Aber wie in der Schweiz, in den Niederlanden oder in Dänemark wird sich das auch bei uns bald legen.

Zusammengefasst: Fast alle deutschen Probleme mit Bologna sind von professoralen Meistern des Gejammers selbst gemacht und könnten bei gutem Willen und mehr Lehrkompetenz zu Gunsten der Studentinnen und Studenten bald beseitigt sein. Mit der Devise: Mehr Lernen statt Belehrung!

Der Autor war Präsident der Universität Kaiserslautern (1987 bis 1997) und Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (1997 bis 2003)

Klaus Landfried

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