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Marktgesetze. Bibliotheken wie die der TU Berlin bestellen mit anderen Unis gemeinsam, um Rabatte zu bekommen. Aber an die Zahl der Abos sind sie gebunden.

© Rückeis

Boykott von Fachzeitschriften: Geknebelte Wissenschaft

Die Preise für Fachzeitschriften explodieren. Jetzt gibt es Widerstand: Es sei nicht einzusehen, dass Großverlage hohe Renditen mit der Publikation von Forschungsergebnissen erzielen, für die die öffentliche Hand gezahlt hat.

Es sind nur zwei Zeilen auf der Homepage der Technischen Universität München, aber sie haben es in sich: „Aufgrund unzumutbarer Kosten und Bezugsbedingungen hat das Direktorium des Zentrums Mathematik beschlossen, alle abonnierten Elsevier-Zeitschriften ab 2013 abzubestellen.“ Elsevier ist nicht irgendein Zeitschriftenverlag, sondern einer der weltweiten Marktführer für wissenschaftliche Fachzeitschriften, inhaltlich wie wirtschaftlich bestens aufgestellt. Hohe zweistellige Renditen erwirtschaftet der Verlag jährlich.

Das Geld kommt vor allem aus öffentlichen Kassen. „Wir geben rund 60 Prozent unseres Budgets für Zeitschriften aus“, erklärt Wolfgang Zick, Bibliotheksleiter der TU Berlin. „Und die Marktführer sichern sich davon wiederum einen Löwenanteil.“ Denn die Unis verhandeln nicht einzeln, sondern im Verbund, als so genannte Konsortien, mit den Wissenschaftsverlagen. „So versuchen wir, bessere Rabatte zu bekommen.“ Abgeschlossen werden dann große Abo-Pakete, die den Universitäten kaum Spielraum für Kündigungen lassen. Zwar können einzelne Zeitschriften abbestellt, aber das Gesamtvolumen der Verträge kann nicht reduziert werden. „Wir dürfen immer nur ein Abo durch ein anderes ersetzen“, erklärt Zick. Dazu kommt, dass die Preise vieler Zeitschriften jedes Jahr automatisch steigen. „Wenn wir nach den Gründen für diese Preiserhöhungen fragen, heißt es nur, das sei eben die Vorgabe des Managements.“

Tatsächlich mutet das Geschäftsmodell von Großverlagen wie Elsevier, Springer oder Wiley wie eine Lizenz zum Gelddrucken an: Wissenschaftler reichen ihre Aufsätze ein, andere Wissenschaftler übernehmen die Qualitätsprüfung, das sogenannte Peer-Review-System, wieder andere arbeiten als Herausgeber. Honorare fließen dafür in der Regel nicht. Trotzdem müssen die Universitäten für die Publikationen am Ende horrende Summen zahlen. „Unser Bibliotheksbudget ist seit 2002 um vier Prozent gestiegen, die Preise der Zeitschriften im gleichen Zeitraum durchschnittlich um 40 bis 50 Prozent“, sagt Zick.

Total-Buy-out-Praxis in der Wissenschaft

Eine massive wirtschaftliche Fehlentwicklung, finden mittlerweile viele Wissenschaftler. Die Universität Harvard hat deshalb vor einigen Wochen an ihren wissenschaftlichen Stab appelliert, zukünftig vor allem in frei zugänglichen Open- Access-Journalen zu veröffentlichen. Die Elite-Universität greift damit eine Debatte auf, die ein bekannter britischer Mathematiker vor Monaten neu angeheizt hatte: Im Januar rief der Cambridge-Professor Timothy Gowers auf seinem privaten Blog zu einem generellen Elsevier-Boykott auf. Über 11 000 Wissenschaftler sind seitdem seinem Beispiel gefolgt und haben auf der Webseite TheCostofKnowledge.com bekannt gegeben, zukünftig weder bei Elsevier publizieren noch sonst in irgendeiner Form für den Verlag tätig sein zu wollen.

„Wir greifen jetzt den an, den wir für den Hauptsünder in dieser Branche halten“, sagt Martin Grötschel, Professor für Mathematik an der TU Berlin und Vizepräsident des Konrad-Zuse-Zentrums. Er hat den Aufruf ebenfalls unterzeichnet und bereits alle Elsevier-Abonnements des Konrad-Zuse-Zentrums gekündigt. „Wir wehren uns dagegen, dass mit öffentlichem Geld Wissen erzeugt wird, dass dann wiederum mit öffentlichem Geld zurückgekauft werden muss – ohne dass von Verlagen ein den hohen Kosten entsprechender Mehrwert erbracht wird.“

Der Konflikt ist nicht neu, das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ weist seit Jahren auf die Missstände der gängigen Total-Buy-out- Praxis hin, bei der die Wissenschaftler alle Nutzungsrechte an die Fachverlage abtreten müssen, um ihre Aufsätze überhaupt veröffentlichen zu dürfen. Dringend müsse ein Zweitverwertungsrecht im Urheberrecht verankert werden, fordert das Bündnis in einer aktuellen Stellungnahme. „Es geht darum, dass wissenschaftliche Urheber nach der kommerziellen Erstveröffentlichung ihre Verwertungsrechte zur nicht kommerziellen Nutzung wiederbekommen“, erklärt Bündnis-Sprecher Harald Müller, der die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg leitet. Es müsse den Urhebern erlaubt werden, ihre Publikationen zeitversetzt auch auf Plattformen der Universitäten oder auf ihren eigenen Homepages zu veröffentlichen. Nur so könnten Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. „Und das ist nicht nur das erklärte politische Ziel der Max-Planck-Gesellschaft“, sagt Müller, „das wird in der Wissenschaft von einer breiten Front mitgetragen.“

Lobbyarbeit der Verlagsbranche

Doch die entsprechende Gesetzesänderung lässt auf sich warten. Im Justizministerium können sich die renommierten Forschungseinrichtungen, die in der „Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen“ zusammengeschlossen sind, bislang kaum Gehör verschaffen. Stattdessen gingen dort vor allem die Interessensvertreter der Verlagsbranche ein und aus, meint Bibliotheksdirektor Müller. „Die betreiben sehr intensive Lobbyarbeit.“ Auch deshalb sei in naher Zukunft kaum mit einer Gesetzesänderung zugunsten der Urheber zu rechnen.

Umso wichtiger ist der Druck, der nun von den Forschern selbst ausgeht. Das betont auch Goran Krstin, Sprecher des Präsidenten der Freien Universität Berlin. „Wenn Wissenschaftler nun weltweit initiativ werden, ist das natürlich ein wichtiger Schritt, um Marktmacht auszuüben.“ Das Umdenken im Wissenschaftsbetrieb müsse aber noch weitergehen, zum Beispiel, indem die Vergabe von Fördergeldern zwingend an eine spätere „Open Access“- Veröffentlichung geknüpft wird.

„Damit wäre uns in der Tat sehr geholfen“, sagt Bibliotheksleiter Zick. Zurzeit muss er Aufsätze aus Zeitschriften, die die TU aus Kostengründen nicht abonniert hat, als Fernleihe von anderen Bibliotheken besorgen. Die Texte kommen digital, in Form von PDFs, dürfen aber von den Bibliothekaren wiederum nur ausgedruckt weitergegeben werden. Die Fachverlage hatten diese Verschärfung des Nutzungsrechts vor einigen Jahren politisch durchsetzen können – obwohl sie die Kommunikation und den inhaltlichen Austausch zwischen Wissenschaftlern damit unnötig behindern und verzögern.

„Hier läuft etwas völlig schief und muss grundlegend geändert werden“, resümiert Mathematiker Grötschel. Er und seine Kollegen denken nun intensiv nach, wie es nach dem Elsevier-Ausstieg weitergehen soll. Am Peer-Review-Prozess wolle man unbedingt festhalten, aber wie, wo und unter welchen Dach soll wissenschaftliches Open-Access-Publizieren künftig stattfinden? Gründet man eine eigene Gesellschaft, beauftragt man eine Universität mit der redaktionellen Betreuung? Noch sind die meisten dieser Fragen unbeantwortet.

„Wir müssen nachhaltige Strukturen schaffen“, sagt Grötschel. Den Anspruch, dabei gleich eine pauschale Lösung für alle Fachrichtungen zu finden, haben die Mathematiker nicht – zu unterschiedlich seien die jeweiligen publizistischen Gepflogenheiten. „Aber wenn wir für unser Fach einen Weg finden, vielleicht werden wir dann auch für andere zum Vorbild.“

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