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© dpa

Brustkrebs: Aufwändige Diagnose

Seit fünf Jahren gibt es in Deutschland das Brustkrebs-Screening. Kritiker sagen, es schadet mehr als es nützt

Angenommen 2000 Frauen lassen von ihrem 50. bis zu ihrem 70. Lebensjahr alle zwei Jahre eine Mammografie machen. Wie viele Todesfälle werden dann in dieser Gruppe durch das Screening verhindert?

Zehn, sagt Karin Bock, Leiterin des Mammografiereferenzzentrums Südwest. Sie möchte alle Frauen ermutigen, der Einladung zum Brustkrebs-Screening zu folgen: „Ich bin mir sicher, dass wir unser Programm noch verbessern können, aber in der jetzigen Form finde ich es sehr gut.“

Zwei, sagt Peter Götzsche, Direktor des Cochrane-Instituts in Kopenhagen. Höhere Zahlen nennt er Propaganda. Er hält das Screening für sinnlos und teuer. „Jedes Screening-Programm hat Nachteile, aber dieses hat kaum Vorteile“, sagt er.

Bock und Götzsche bilden die beiden Pole einer Debatte, die schon seit Jahren äußerst emotional geführt wird. Das war auch beim Deutschen Krebskongress zu spüren, wo die beiden sich am Freitagabend zu einer Diskussion über Vor- und Nachteile der Brustkrebsfrüherkennungsuntersuchung trafen.

Dänemark sei ein hervorragendes Land, um den Effekt des Screenings zu untersuchen, erläuterte Götzsche. Denn hier sei 17 Jahre lang nur in bestimmten Gegenden ein Screening angeboten worden, 80 Prozent der dänischen Frauen hätten nicht daran teilnehmen können. „Der Anteil der Frauen, der an Brustkrebs stirbt, geht in beiden Gruppen über die Jahre aber gleichermaßen zurück“, sagt Götzsche. „Offensichtlich liegt der Rückgang nicht am Screening, sondern zum Beispiel an Fortschritten in der Therapie.“

Dass es einen solchen Effekt gebe, sei klar, sagt auch Bock. Das sei bei der Zahl von zehn verhinderten Todesfällen auf 2000 Patientinnen aber bereits berücksichtigt. Insgesamt rechne man mit 90 Brustkrebs-Überlebenden, von denen zehn nur aufgrund des Screenings gerettet würden. Viele der Studien, die Götzsche zitiere, seien alt, seine Schätzungen übertrieben. Das deutsche Programm sei allerdings noch zu jung, als dass es eigene Zahlen zur Sterblichkeit gebe.

Ohnehin gehe es nicht nur um gerettete Leben, sagt Bock. So sei fast ein Drittel der entdeckten Tumoren kleiner als zehn Millimeter. Das mache es weniger wahrscheinlich, dass der Krebs bereits gestreut habe – und die Behandlung leichter. Ohne Screening würden in Deutschland nur etwa 14 Prozent der Brustkrebserkrankungen so früh entdeckt. Götzsche ist anderer Meinung: Studien in Schweden und Kanada hätten kaum einen Unterschied in der durchschnittlichen Größe der entdeckten Tumoren festgestellt. „Selbst ein Unterschied von 18 zu 25 Millimetern, der in einer Studie festgestellt wurde, ist minimal, weil dafür nur zwei Zellteilungen nötig sind.“ Dass ausgerechnet diese beiden Zellteilungen dafür entscheidend sein sollten, wie gefährlich der Krebs sei, ergebe biologisch keinen Sinn. „Wir entdecken überhaupt nichts früher“, sagt er.

Stattdessen würden viele Erkrankungen entdeckt, die besser unentdeckt geblieben wären. „Wir behandeln zahlreiche Tumoren, die den Frauen niemals schaden würden“, sagt Götzsche. Dass es zu solchen Überdiagnosen kommt, darin sind sich alle Experten einig. „Wir rechnen für jede gerettete Frau auch mit einer Überdiagnose“, sagt Bock. Das heiße aber nicht, dass diese Frauen fälschlicherweise operiert würden. „Das sind reale Brustkrebsfälle. Die Frauen wären nur nicht daran gestorben und hätten möglicherweise nie gewusst, dass sie an Brustkrebs leiden.“

Gleichwohl gebe es in früheren Phasen des Screenings auch Hinweise auf Krebserkrankungen, die sich hinterher als falsch herausstellten, sagt Götzsche. Er sieht darin einen besonders großen Nachteil. Frauen würden zu Unrecht verunsichert und verängstigt. Bock weist aber darauf hin, dass die Wartezeiten für eine Abklärungsuntersuchung inzwischen äußerst kurz seien. „Wir schaffen es in 95 Prozent der Fälle, die Teilnehmerinnen innerhalb einer Woche nach der Untersuchung über das Ergebnis zu informieren, und wenn ein zweiter Termin nötig sein sollte, erhalten sie in der Regel auch diesen Termin innerhalb einer Woche.“

Für 600 der 2000 Teilnehmerinnen werde irgendwann so ein zweiter Termin nötig, sagt Bock. Davon werde in 200 Fällen eine Biopsie nötig, von denen wiederum in der Hälfte der Fälle Entwarnung gegeben werden könne.

„Das sind doch riesige Unsicherheiten“, sagt Götzsche. Hinzu komme, dass die Frauen Röntgenstrahlen ausgesetzt würden, die wiederum selbst in einigen wenigen Fällen zu Krebs führen könnten. „Und das Ganze kostet sehr viel Geld.“ Bis zu 400 Millionen Euro kostet das Programm in Deutschland jedes Jahr. Könnte man damit, anders eingesetzt, möglicherweise mehr Leben retten? Bock will sich auf eine solche Rechnung nicht einlassen: „Ich bin Ärztin und nicht Gesundheitsökonomin“, sagt sie.

Immerhin, in einer Sache sind Bock und Götzsche sich einig: Zumindest für Frauen mit einem erhöhten Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, ist ein Screening sinnvoll. Denn Frauen, die eines der beiden Gene BRCA1 oder BRCA2 in veränderter Form im Erbgut tragen, haben ein 50- bis 85-prozentiges Risiko, im Verlauf ihres Lebens Brustkrebs zu bekommen. Auch ohne diese genetische Besonderheit ist die Gefahr deutlich erhöht, falls schon nahe Verwandte in jungen Jahren erkrankt sind.

Allerdings gibt es auch hier eine Frage: Welche Methode ist die richtige? In den zuletzt im Februar aktualisierten Leitlinien zur Brustkrebs-Früherkennung der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie werden Kombinationsstrategien von ärztlicher Untersuchung, Röntgen-Mammografie, Ultraschall und Magnetresonanztomografie (MRT) vorgeschlagen. Christiane Kuhl von der Radiologischen Klinik der Uni Bonn empfiehlt nun im „Journal of Clinical Oncology“, es bei der MRT allein zu belassen. An der deutschen Multicenterstudie namens EVA, die die Mediziner zu dieser Schlussfolgerung führte, haben 687 Frauen zwischen 25 und 71 Jahren teilgenommen. Sie wurden an den Unikliniken in Bonn, Münster, Ulm und München untersucht.

Nur einige hatten eine genetische Veränderung, aber alle hatten sie ein über 20-prozentiges Risiko, eines Tages Brustkrebs zu bekommen. Alle Frauen wurden mehrmals in unterschiedlichen Methoden-Kombinationen untersucht, die Bilder wurden jeweils von mehreren Untersuchern unabhängig voneinander ausgewertet. Das Schicksal der Frauen wurde über zweieinhalb Jahre verfolgt.

Bei 27 Frauen wurde in dieser Zeit Brustkrebs diagnostiziert: In 11 Fällen war es ein auf die Milchgänge beschränktes Vorstadium, in 16 Fällen hatte sich der Krebs weiter ausgedehnt. Dabei zeigte sich die MRT mit einer 93-prozentigen Erkennungsrate deutlich überlegen, auch mit einer Kombination von Röntgenaufnahme und Ultraschall konnten nicht annähernd so viele Veränderungen der Brust entdeckt werden. Kein einziger Fall wurde zudem bei dem halbjährlich dazwischengeschobenen Ultraschall entdeckt.

Wegen der Strahlenbelastung, die sich im Lauf des Lebens summiert, hält Kuhl aber auch die jährliche Röntgen-Mammografie für junge Frauen mit erhöhtem Brustkrebs-Risiko für „nicht mehr vertretbar“. „Wir stützen unsere Empfehlungen auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand, die neue Studie wird bei der nächsten Überarbeitung sicher einbezogen werden“, sagt Michael Untch, Chefarzt der Gynäkologie am Helios-Klinikum Berlin-Buch und Mitautor der Früherkennungs-Leitlinie.

Viele Frauen werden sich angesichts dieser Ergebnisse fragen, ob die MRT nicht auch in die Screening-Untersuchung Einzug halten sollte, die allen Frauen zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre als Kassenleistung zusteht. Hier warnt Untch jedoch: „Mit der MRT werden häufig Auffälligkeiten gesehen, die gar kein Krebs sind.“ Das würde die Zahl der unnötigen Eingriffe weiter erhöhen.

Bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebs-Risiko sieht die Lage anders aus, bei ihnen muss auf jeden Fall sorgfältig nach Vorstufen von Krebs gefahndet werden. Zudem tut sich die klassische Röntgentechnik beim besonders dichten Brustgewebe jüngerer Frauen oft schwer – ein weiteres Argument für die MRT. „Wir sprechen hier aber von einer Minderheit von etwa zehn Prozent der Frauen, und bei ihnen zahlt die Kasse die MRT auch heute schon im Rahmen der Vorsorge“, sagt Brustkrebs-Experte Untch. Wenn viele Krebsspezialisten sie bei der Untersuchung von Frauen mit hohem Brustkrebs-Risiko von Röntgenaufnahmen und Ultraschall flankiert sehen wollen, dann auch deshalb, weil die Entdeckungsraten beim MRT von der Erfahrung der Untersucher abhängen. „Die MRT der Brust ist zwar vorangeschritten, es gibt aber längst noch nicht genug Mediziner, die sich damit wirklich gut auskennen“, sagt auch Kuhl. Trotzdem kommt die MRT auch im Rahmen des bevölkerungsweiten Mammografie-Screenings dann zum Einsatz, wenn die Röntgenaufnahmen nicht eindeutig zu interpretieren sind.

 Kai Kupferschmidt, Adelheid Müller-Lissner

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