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12 Quadratmeter Freiheit: Ziyi Huang wohnt im neuen Wohnheim in der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg. Sie hat Glück. Denn jeden Tag bekommen inzwischen über 20 Bewerber eine Absage.

© Thilo Rückeis

Budenzauber: Berlins Studentenwohnheime sind begehrt wie nie

Studentenwohnheime sind unschlagbar billig, der Weg zur Uni ist meistens nicht weit und nette Nachbarn hat man auch. Doch erstmals werden in Berlin jetzt die Zimmer knapp.

Zum Studentenleben gehört natürlich die Studentenbude. Ein Zimmerchen, die Wände voller Poster und Postkarten, der Teppich regen Genussmittelkonsum bezeugend, Bücher und Papierstapel von neuen Wissenswelten kündend, in der Mitte ein Tisch, an dem man mit den Kommilitonen die Weltrevolution planen kann. Zwölf Quadratmeter Freiheit reichen schon.

Doch von derartiger Studentenbudenromantik träumen in Berlin inzwischen mehr Studierende, als es Wohnheimzimmer gibt. Erstmals kann das Berliner Studentenwerk in diesem Sommersemester nicht allen Bewerbern einen Platz anbieten. „Zwischen 20 und 25 Studierenden müssen wir täglich absagen“, bedauert Jürgen Morgenstern, Sprecher des Berliner Studentenwerks. Ein EDV-Programm für die Warteliste wird gerade getestet. Ab Juli soll es die Bedürfnisse und Kriterien der zu vielen Bewerber in eine gerechte Ordnung überführen. „Bislang war eine solche Liste überhaupt nicht nötig. Wir konnten immer alle Wohnwünsche erfüllen“, sagt Morgenstern. Jetzt musste man auch 60 Studierenden aus dem Ausland absagen. Sie müssen nun auf Jugendherbergen und Gästewohnungen ausweichen. Zwei Plätze wurden zwar am Wochenende auf der Homepage des Studentenwerks als frei gemeldet. Aber die sind auch sofort wieder weg, sagt Morgenstern.

In Berlin verteilen sich 7,4 Prozent der Studierenden auf 34 Wohnheime. Das ist deutlich weniger als der bundesdeutsche Schnitt, der bei 11,3 Prozent liegt. Dabei sind gerade Studierende aus finanziell schwachen Familien auf das Angebot der Studentenwerke angewiesen. Die Mieten sind unschlagbar billig. Nur 175 Euro bezahlt man durchschnittlich. Besonders attraktive Wohnheime sind etwas teurer, die unattraktiven etwas preiswerter. Als Murnauer in München studieren – ohne Studentenwohnheime könnten sich das viele nicht leisten.

Anders als München konnte Berlin jahrelang auf dem freien Markt günstige Wohnungen anbieten. Doch diese Zeiten sind vorbei, besonders in den zentralen Bezirken. Zugleich steigen die Studierendenzahlen wegen der doppelten Abiturjahrgänge und wegen der Abschaffung der Wehrpflicht. Die Kapazitäten der Wohnheime sind bereits überstrapaziert. Denn während der Andrang zunimmt, schrumpft der subventionierte Wohnraum sogar. Für ein Haus in Berlin-Hohenschönhausen bestanden Restitutionsansprüche des Jewish Claim Fonds, so dass im Februar 245 Plätze verloren gingen. Einem anderen Haus steht eine Erbpachtablösung bevor, der Verlust von insgesamt 400 Plätzen und ein Absinken der Versorgungsquote auf sieben Prozent droht. Politische Unterstützung, also finanzielle Hilfe vom Land, ist für das Studentenwerk nicht in Sicht, auf Neubauten wagt man nicht zu hoffen.

Das Studentenwerk wirbt trotz der schwierigen Lage in seiner Info-Broschüre mit Wohnheimromantik und „Budenzauber“. In der Hardenbergstraße in Berlin-Charlottenburg sind Studierende richtig, die gerne in Ikea-Katalogen blättern. Weiße, moderne Möbel bestücken die 46 Apartments, grasgrüne Küchenfronten sorgen für freundliches Ambiente. Im Gemeinschaftsraum brütet man über einer Matheaufgabe und verteilt Kekskrümel auf der Couch, die noch nach Möbellager riecht. Erst 2009 wurde das Haus vollständig saniert neu eröffnet. „Mir wird jetzt erst klar, was ich für ein Glück hatte, hier ein Zimmer zu ergattern“, sagt Christoph Groth-Tonberge. Der 24-Jährige studiert International Business Management und schreibt gerade seine Bachelorarbeit. Nach WG-Leben in Kreuzberg und dem Auslandsaufenthalt in Frankreich war er froh, im März das Apartment auf dem Campus der TU beziehen zu dürfen. „Ich wollte diesmal ein einfaches Wohn- und Mietverhältnis, wollte flexibel bleiben“, erzählt Groth-Tonberge. Übersichtliche Verträge, geringe Kaution, nur sechswöchige Kündigungsfrist, das sei einfach praktisch. „Ich bin hier mit drei Koffern eingezogen, muss keine Wände streichen, kann jederzeit ohne eigene Möbel umziehen. Eigenständigkeit ohne Risiko.“

Beim Plausch im loungeartigen Gemeinschaftsraum betont auch Ziyi Huang die praktische Seite des Wohnheimlebens. Zu den Vorlesungen in ihrem Studienfach Wirtschaftsingenieurwesen komme sie dank Campusnähe des Wohnheims quasi nie zu spät, und die Mensa sei auch gleich nebenan. Das Besondere liegt für sie allerdings im Gemeinschaftsleben. Schon ihre Mutter war für ein Studium aus China nach Berlin gekommen, an die UdK, die damals noch Hochschule der Künste hieß. Auch sie lebte damals in einem Wohnheim, wo sie auch ihren späteren Mann kennenlernte. „Dass ich heute ebenfalls in einem Wohnheim lebe, hat also auch nostalgische Gründe“, erzählt die 23-Jährige Ziyi Huang. Ob man denn einen Blick in ihr Apartment werfen dürfe? „Auf keinen Fall“, lacht Huang. „Es ist unordentlich und ich mache gerade Frühjahrsputz!“

Der äußeren Erscheinung nach macht das Wohnheim jedenfalls einen geradezu unheimlich aufgeräumten Eindruck. Die Tore der Studentenbude 2.0 lassen sich nicht mit einem ollen, schon durch etliche Generationen gewanderten Schlüssel öffnen – sondern mit dem individuell programmierten Alleskönner Mensa-Card. Auf langen, geraden Fluren reiht sich nüchtern Tür an Tür, nur ein Paar ausgelatschter Turnschuhe auf einer abgetretenen Fußmatte lässt die Geschäftigkeit und eine Portion des Chaos erahnen, das sich höchstwahrscheinlich hinter den meisten dieser Türen verbirgt und von Hausarbeitenstress und Examenspanik erzählen könnte.

Ob hier auch mal eine Party steigt? „Na klar“, berichtet Daniel Bedon-Gomez. Er ist hier schon ein alter Hase, wohnt seit nunmehr zwei Jahren in der Hardenbergstraße. Typischerweise sei ja die Fluktuation recht hoch und das Studentenleben eine „dynamische Sache“, wie Morgenstern sagt, der selbst ein nostalgischer Wohnheimveteran ist. Leute zögen aus und ein und um, Partnerwechsel, Ausland, neue Träume, neue Wohnung, man plane eben immer wieder neu.

Studentischen Zusammenhalt und Wohlfühlatmosphäre subventioniert das Studentenwerk daher in regelmäßigen Abständen in Form kleiner finanzieller Zuschüsse. „Mindestens einmal pro Semester veranstalten wir eine Party, für die wir eine gemeinsame Kasse haben“, so Bedon-Gomez. Der 26-Jährige studiert Musik an der UdK und steht kurz vor seinem Diplom – und das schwarze Klavier mit einem Stapel Notenpapier in seinem Apartment sieht dann doch nicht mehr so sehr nach Ikea-Katalog aus. Dass er hier Klavier spiele, sei kein Problem, sagt Bedon-Gomez. „Die Leute hier sind sehr entspannt. Wir fühlen uns eigentlich nie voneinander gestört.“ Schließlich sei er ja auch deswegen ins Wohnheim gezogen, weil er nicht allein sein wolle, erzählt der Kolumbianer, der in Bogotá eine deutsche Schule besucht hat und perfekt Deutsch spricht.

Immerhin 325 Euro kostet der Charlottenburger Budenzauber. Könnte man für dieses Geld nicht auch ein WG-Zimmer haben und ein bisschen etwas vom bürgerlichen Berliner Lebensgefühl mit Dielen, Stuck und Flügeltür im angesagten Kiez? „Naja, das kommt später mal“, sagt Huang, und auch Bedon-Gomez meint: „Das Leben im Wohnheim ist eine Übergangslösung, wenn auch eine sehr, sehr gute.“

Rund 9500 Wohnheimplätze vermietet das Berliner Studentenwerk zurzeit – Raum für Lebensentwürfe. Glücklich kann sich schätzen, wer dort seinen Traum wahr machen kann. Die anderen werden sich zufrieden geben müssen mit einem Zimmer in den Außenbezirken und mit weiten Wegen zur Uni.

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